Wednesday, November 12, 2014

Musik und Film – ‘Touching the Sound’

“Die Hauptsache ist es immer noch eine aussagekräftige Geschichte zu erzählen (alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Rosen Productions und dem ‘Close Encounters with Music’ Festival) Zusätzlich zu seiner Konzertreihe erkunden die jährlich stattfindenden ‘Close Encounters with Music’ des Berkshire Festivals, die von dem charismatischen Cellisten und Unterhalter Yehuda Hanani geleitet werden, die vielfältigen Themen klassischer Musikkultur. Als Teil des diesjährigen Musikfestivals stellte Peter Rosen seinen die Gefühle ansprechenden Dokumentarfilm Touching The Sound über den blinden japanischen Pianisten und den Van Cliburn Goldmedaillisten Nobuyuki Tsujii vor. “Dies ist ein Film über den Triumpf des Menschen wie auch den Triumpf der Kunst,” kommentiert Hanani. “Man denkt an Beethoven, der alle Widerstände überwindet. Ein gehörloser und ein blinder virtuoser Pianist … die Art wie Peter die Geschichte von der frühen Kindheit an entwickelt … ganz bis hin zum Van Cliburn Wettbewerb, ist ein inspirierendes Crescendo,” führt Hanani an, dessen wöchentliches Classical Music According to Yehuda bei den Round Table Discussions von WAMC, dem öffentlichen Radiosender im Nordosten der USA, ausgestrahlt wird Northeast Radio’s Round Table Discussions. In unserem ersten Gespräch über die letzte Veröffentlichung in seiner langjährigen Karriere definiert Rosen, der New Yorker Dokumentarfilmkenner, das “Geschichtenerzählen“ als wesentlichen Bestandteil eines jeden Films: eine Herausforderung, die sich nicht hinsichtlich der Botschaft unterscheidet, die ein Film in Bezug auf Musik hat. “Jedes Projekt hat ein anderes Thema und Konstellation, entsprechend der Art und Weise wie der Film entstand und wie seine Produktion erfolgte. Und dennoch bezieht sich im Grunde genommen die gleiche Struktur einer traditionellen Erzählung– ihre charakteristische Einteilung in drei Akte– auf alle Filme,” erklärt der Filmemacher, der von seiner Ausbildung her Architekt ist. Gleich ob Rosen Arthur Rubinsteins Leben oder Van Cliburns Internationalen Klavierwettbewerb porträtiert, zielt er nie darauf ab, die technischen Einzelheiten eines jeden bei der Beherrschung des jeweiligen Instrumentes zu zeigen, was letztendlich – so wichtig auch diese Details auch sein mögen – recht langweilig anzuschauen wäre. Außer den aufgezeichneten Live–Aufnahmen, die einen Auftritt in ihrer Gesamtheit zeigen, wie bei Tsujiis Live at Carnegie Hall, zeigt Rosen selten ein Musikstück in voller Länge, das auf Film festgehalten wird. “Es ist immer eine Gradwanderung, auf die man sich begibt, wieviel Musik man tatsächlich gebrauchen kann, ohne den Erzählfluss der Geschichte zu unterbrechen. Wir bekommen immer Zuschriften von Lesern, die sich gewünscht hätten, mehr Musikstücke hören zu können, aber die durchschnittliche Aufnahmebereitschaft eines Zuschauers erlaubt nur 2-3 Minuten, ohne dabei den roten Faden der Geschichte zu verlieren,” meint Rosen. Das trifft auch auf Touching the Sound zu, welcher dem Goldmedaillengewinner von den rührenden Beschreibungen seiner Mutter von den ersten Momenten an folgt, als seine Blindheit, wie auch seine außergewöhnliche Begabung klar wurden, bis hin zum Gewinnen von Gold und dem Gewinnen der Herzen: “Nobu” wie ihn seine Fans liebevoll nennen, behauptet sich auf der Konzertbühne. Foto: Nobu und seine Mutter Itsuko
Von seiner Geburt an blind, gewährt der nun 23-jährige Nobu Einblick in seine inspirierende, heldenhafte Reise und außergewöhnliche Begabung am Piano und zeigt die Facetten seiner Identität als internationaler Auftrittskünstler und als kultureller Botschafter seiner Heimat Japan. Seine Aufrichtigkeit kommt ebenso in seiner Kunst zum Vorschein wie auch im Filmmaterial, das während verschiedener Konzerttourneen aufgenommen wurde und seine Freude und wissbegierige Begeisterung darstellt, unterschiedliche Orte, Leute und kulinarische Überraschungen zu erleben. Zieht man in Betracht, dass er extreme Widrigkeiten bewältigen musste, , erscheint ein Vergleich seiner pianistischen Leistungen mit denen seiner “Kollegen” noch willkürlicher, als die bereits fraglichen und subjektiven Entscheidungen jeglicher Wettbewerbsjuroren. Die Van Cliburn Juroren, dem auch der ausgezeichnete Pianist Menahem Pressler angehörte, gaben zu, extra an ihrem Objektvitäts-Maßstab gearbeitet zu haben, um ihre prestigeträchtige Anerkennung nur auf der Basis künstlerischer pianistischer Exzellenz auszusprechen. Nobu selbst gesteht ein, dass er lieber als großer Pianist bekannt sei, als ein “großer blinder Pianist,” dessen erstaunliche Begabung etwas ist, über das über das die Leute staunen. Mit der Hilfe von Übersetzungen von Nobus ständigem Reisegefährten und Manager Nick Asano und Nobus Klavierlehrer aus der Kindheit, Masahiro Kawakami, drückt der Film viel von der aufrichtigen Leidenschaft aus, andere an seinen, ihm angeborenen musikalischen Talenten, an seiner Bescheidenheit, Dankbarkeit und Offenheit teilhaben zu lassen, mit denen er den Herausforderungen des Lebens begegnet und voller Freude dessen Sinnesfreuden annimmt. Der Film konzentriert sich schließlich auf sein tatsächliches Können an der Tastatur. Vor dem Hintergrund der Musik von Tschaikowski, Chopin, Rachmaninow, Liszt, Beethoven und Mussorgski richtet sich Rosens Kamera immer auf die menschliche Empfindung und ihr Blickwinkel wird darauf eingestellt: Nobus schweres Atmen mit dem ruhelosem Wunsche, direkt vor seinem Carnegie Hall Debüt die Bühne zu erobern, gefolgt von der Entladung all der aufgestauten Spannung in einer schluchzend-geführten und Tränen rührenden Zugabe, bestehend aus seinen eigenen Kompositionen, die zu Ehren der die japanischen Opfer der Tsunami geschrieben wurde. Rosen sucht sich seine Film-Charaktere entsprechend der Dramatik aus, der er Ausdruck geben will. Er sucht nach den Erzählsträngen, die von den Konflikten der Individuen, ihren Beziehungen mit anderen und vor allem von ihrer Erlösung herrühren: dem Überwinden ihrer individuellen Herausforderungen – das ist die Geschichte, die er erzählt, inmitten eines jeden spezifischen Soundtracks. Indem er den Fokus der Kamera auf die emotionalen Reaktionen der Charaktere richtet, die den Bogen spannen, um die sich die Geschichte rankt, zieht es Rosen vor, lieber etwas visuell aufzuzeigen, als zu erzählen. Rosen begann seine Karriere in den späten 70-igern mit USIA Projekten, die darauf abzielten, die kulturelle Reputation der USA in Übersee zu stärken. Einer dieser Aufträge – ein Porträt von Leonard Bernstein – wurde zum Meilenstein für Rosens Weg. “Ich bin nicht selbst ein Musiker. Voller Ressentiment überstand ich zwölf Jahre Klavierstunden, ohne das dabei viel herausgekommen ist - ich kann Musik lesen, aber ich kann nicht eine Sache spielen” gibt er freiwillig von sich.” Natürlich wusste ich von der enormen Rolle von Bernstein in der Musik, aber ich näherte mich seiner Persönlichkeit nicht vom Standpunkt eines Musikers – ich hatte nicht diese Art von hochgestochener Perspektive. Das war, wie er überzeugend weitergibt, sein Rezept zum Erfolg: “Während Filme über Musik im Allgemeinen auf ein bereits kenntnisreiches Publikum ausgerichtet sind, habe ich eine intuitive Ader dafür, was das Publikum sehen will und womit es sich identifizieren kann,” sagt er. Dies trifft sicherlich auf die Filme in Rosens umfassender Filmographie zu, die ich die Gelegenheit hatte, zu sehen. Ein gutes Beispiel wäre sein Meisterstück The Maestro, ein Film über den legendären Dirigenten Arturo Toscanini, in dem Rosen von dem üblichen Weg abweicht, die tatsächliche musikalische Karriere des Maestros darzustellen und stattdessen sich darauf konzentriert, wie der berühmte Dirigent seinen Status nutzte, um ideologisch den Faschismus zu bekämpfen. Natürlich ist es die Musik, die wesentlichen Soundtracks dieser Dokumentarfilme über Persönlichkeiten aus der Musikwelt, die die anhaltende Besonderheit der Geschichten ausmacht; der Instrumentalbegleitung, die der Entwicklung der Geschichte folgt und ihre Höhepunkte ausdrückt. Die wesentlichen Botschaften, die Rosens Filme mit scharfsinniger Perspektive vermitteln, gehen über seine Erkundung der menschlichen Natur durch die Anstrengungen der Charaktere unter widrigen Bedingungen hinaus, drücken ihre Entwicklung und individuelle Freundlichkeit aus und beleuchten die äußersten Höhen ihrer künstlerischen Leistung. Und das ist die Art emotionaler Beziehung, auf die das Publikum beim Musik- wie beim Filmemachen mit Applaus reagiert.
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Monday, November 3, 2014

Im Equilibrium der Künste: Der Pianist Roman Rabinovich

Dunkelheit, und dann der evokative, fast schon abstrakte Klang eines Tongemäldes für Klavier und Cello. Eine Leinwand zeigt den weiten Blick auf die New Yorker Skyline bei Nacht, und Bild und Klang scheinen wie im Gespräch. Die Kamera sucht und findet einen jungen Maler, zeigt, wie er in seinen Entwürfen zu verschiedenen Selbstporträts nach künstlerischer Perfektion strebt. Realität, Vision und Selbstzweifel verschwimmen, die Musik hält zusammen, was auseinanderzudriften droht … http://youtu.be/AQSbmf9-Pow (Selbstportrait : Roman Rabinovich)
“Portrait” heisst dieses Kurzfilmportrait des Pianisten und Malers Roman Rabinovich, das eine fast schon satirisch anmutende Mischung aus Chaos, Angst und Verzweiflung als essentiellen Teil des künstlerischen Prozesses darstellt. Im wirklichen Leben zeigt sich Roman Rabinovich jedoch als jemand, der diesen inneren Kämpfen nicht nur gewachsen ist, sondern fast schon geläutert aus dem Prozess hervorgeht. (Foto: Balazs Borocz)
Was natürlich nicht heissen soll, dass dem 1985 im usbekischen Taschkent geborenen israelischen Pianisten die Qualen eines konsequenten Strebens nach Perfektion unbekannt sind.
Sein Debut gab der 10-jährige Rabinovich mit dem Israeli Philharmonic Orchestra unter Zubin Mehta. Dem folgten Jahre intensivster Studien mit Lehrern wie Arieh Vardi an der Rubin Academy of Music in Tel Aviv, Seymour Lipkin am Curtis Institute of Music in Philadelphia und Robert McDonald an der New Yorker Juilliard School. 2008 dann der Triumph: Rabinovich gewinnt den Arthur Rubinstein International Piano Master-Wettbewerb. Der Lernprozess geht weiter.
“Mich inspirieren viele Dinge”, sagt Rabinovich. “Zunächst natürlich die Musik grosser Komponisten. Es ist ein aussergewöhnliches Privileg, durch die Musik in direkten Kontakt mit den Komponisten zu treten. Je mehr man über ihre Musik lernt, desto realer werden sie als Menschen. Und dann inspirieren mich die kreativen Musiker, mit denen ich arbeite. Manchmal ist es auch ein wunderbares Klavier, oder eine bestimmte Konzerthalle, oder die Energie, die vom Publikum ausgeht.”
Doch dann schränkt er ein: “Inspiration ist ein ausgesprochen mysteriöser und flüchtiger Prozess. Ein guter Auftritt basiert auf penibler Vorbereitung, harter Arbeit und strenger Disziplin.” (Foto: Balazs Borocz)
Auf seiner Zielgeraden in Richtung Exzellenz und Genauigkeit hatte Rabinovich kürzlich die Gelegenheit, den Pianisten András Schiff zu treffen. Dessen Können beschreibt er als ‘perfektes Gleichgewicht von Verstand, Händen und Herz’, und vor allem dafür bewundert er den Ausnahmepianisten. Im Rahmen von Schiffs Carnegie Hall-Meisterklassen unter dem Titel “Bach and Beyond” spielte Rabinovich schliesslich für sein Idol: “Es war ein Schlüsselerlebnis für mich”, sagt er. “Diesen grossen Künstler zu treffen hat zu neuen Impulsen in meiner eigenen Entwicklung geführt, und es ist eine grosse Ehre, mit ihm in Europa zu arbeiten und von seinen wertvollen Ratschlägen und profundem Wissen in Sachen Musik und Kunst profitieren zu können.”
Für die Eröffnungssaison 2014/15 seiner neuen Konzertserie András Schiff Selects: Young Pianists wählte Schiff Rabinovich als einen von drei jungen Pianisten aus, die er als die nächste Generation von Künstlern präsentieren möchte.
Das Programm mit Werken von Bach, Brahms, Bartók und Smetana bietet Rabinovich die Möglichkeit, sein Feingefühl für eine breite Palette von Klaviermusik unter Beweis zu stellen.
Während San Franciscos Classical Voice den Musiker für dessen individuelle, ja ergreifende Interpretationen lobte, und ihm “reifes und selbstbewusstes Spiel jenseits seines Alters” attestierte, erklärt Schiff seine Wahl wie folgt:
“Roman ist ein sehr talentierter junger Pianist, hochintelligent und pfiffig und wirklich authentisch. Er verdient es, gehört zu werden und ich hoffe, dass ich ihm dabei helfen kann.”
Die beiden anderen Pianisten in der Serie sind Kuok-Wai Lio, wie Rabinovich Absolvent des Curtis Instituts (Lio sprang kürzlich für den legendären Radu Lupo bei einem Town Hall-Konzert in New York ein), und Adam Golka, Gewinner des Gilmore Artist-Preises 2008.
Ein weiterer Meilenstein auf Rabinovichs Weg ist sein “Ballets Russes”-Album vom März 2013, für das er von der Classical Recording Foundation als ‘Künstler des Jahres’ ausgezeichnet wurde. Das Album ist nicht nur ein Beispiel für die gefühlsintensiven und eindrucksvollen Darbietungen des Pianisten, sondern auch für die einfallsreichen Arrangements von Werken, die bislang nicht als Solo-Material galten.
Prokovievs “Romeo and Juilliet”, Ravel/Rabinovichs “Daphnis und Chloe”, und Stravinskys “Petrushka” hatten es Rabinovich schon länger angetan, was letztendlich an der starken Verbindung der Werke zu den Ballets Russes liegen mag:
(Roman Rabinovich:Patrushka und Ballerina)
“Wenn auch zu unterschiedlichen Zeiten, und ästhetisch verschieden, ist doch der Einfluss eines Mannes immer spürbar: Sergei Diaghilev, eine Naturgewalt,” erklärt Rabinovich. “Die Werke sind Teil der Ära, in welcher der Schöpfer der Ballets Russes wirkte, und diese Ära beeinflusste die künstlerischen Trends der nächsten Generation auf entscheidende Weise, indem sie Avantgarde-Musik, Tanz und Kunst zusammenbrachte und neu interpretierte”, erklärt Rabinovich.
Leon Bakst, der das berühmte Bühnenbild für Diaghilevs Produktionen schuf, liefert die Inspiration für Rabinovichs Skizzen und Entwürfe, die figurative Motive aus den Balletten von Prokoviev und Stravinsky umgestalten, und so den Umformungen seiner Transkriptionen von Orchestermusik nicht ganz unähnlich sind: Rabinovichs Transkriptionen verwandeln wesentliche Elemente der Musik in eine intime Auslegung des differenzierten Texts; das komplexe Ballet wird zu einer gezeichneten Repräsentation seiner Hauptdarsteller.
“Visuelle Kunst und Musik haben eine ganze Menge Parallelen – Farben und Linien, Form, Struktur und Textur … sie ergänzen einander und beide Kunstformen fördern meine Kreativität. Ich würde weder die eine noch die andere missen wollen”, kommentiert Rabinovich sein Doppeltalent.
Seine künstlerischen Darstellungen der Petrushka, der Ballerina, die der Daphnis, oder die Zeichnungen von Romeo and Juilliet, sind - wie auch seine musikalischen Arrangements - Teil einer Homage an eine Zeit mit einem ganz spezifischen künstlerischen Flair: dem Paris des frühen 20. Jahrhunderts – einer Stadt voller künstlerischer Dynamik und gegenseitiger Bereicherung, eine Metropole, deren kreatives Ambiente weit über ihre Grenzen hinaus strahlte.
Vielleicht ist es genau dieses Ambiente, das junge Künstler wir Rabinovich in der heutigen zielorientierten Zeit vermissen.
Der Prozess künstlerischer Erkundung mit Gleichgesinnten, und Inspiration durch Interaktion sind denn auch die Elemente, die Projekte wie den Kurzfilm “Portrait” entstehen liessen. Wenn auch das Resultat etwas selbstgefällig scheint, so hat diese Dynamik, wie schon in den Pariser Künstlerkolonien der Zwanziger Jahre, das Potential, medienübergreifende Werke zu schaffen, die den Kern der künstlerischen Erfahrung authentisch wiedergeben.
Der Ausgangspunkt für den Film, der seine Premiere beim Morab Music Festival 2013 in Utah hatte, war eine Komposition von Michael Brown.
“Die Zusammenarbeit hat wirklich Spass gemacht“, sagt Rabinovich über seine Arbeit mit Cellist Nicholas Canellakis and Komponist und Pianist Michael Brown, mit denen er die Musik zum Film aufnahm.  Beide Musiker sind enge Freunde Rabinovichs, und haben vor kurzem ein Duo gegründet. Bekannt sind sie auch für ihre satirische Interview-Show auf YouTube, “Conversations with Nick Canellakis”. Die Gruppe trifft sich regelmässig, um zusammen zu spielen und zu komponieren.
“Nick und ich sind alte Freunde; wir haben uns 2003 am Curtis Institute of Music getroffen und seither spielen wir zusammen. 2008 dann trafen wir Michael, einen ausgezeichneten Pianisten, am Ravinia's Steans Institute for Young Artists in Chicago, und wir klickten sofort. Wir lieben es, zusammen zu improvisieren, und inspiriert durch meine ‘surface paintings’ schreibt Michael zur Zeit ein Klavierstück für mich.”  (Roman Rabinovich)
Man kann diese Art von Zusammenarbeit zwischen hochtalentierten jungen Künstlern nur begrüssen, und die polymorphe gegenseitige ‘Befruchtung’ über verschiedene Kunstformen hinweg stellt eine Bereicherung für die klassische Musikszene dar. Und vielleicht ebnet sie auch den Weg, auf dem Roman Rabinovich seinem Ideal näher kommt – dem perfekten Equilibrium zwischen Verstand, Händen und Herz, das er an András Schiff so bewundert …
Erschienen in PianoNews November 2014

Wednesday, October 1, 2014

Pianist Lily Maisky und Cellist Mischa Maisky – Musik in den Genen

Veröffentlicht im neuen Heft von Ensemble Magazine 
Lily Maisky, Tochter des weltberühmten Cellisten Mischa Maisky, hatte schon immer eine ganz besondere Verbindung zu ihrem Vater. Er war es, der die Musikleidenschaft der jungen Pianistin durch sein musikalisches Vorbild und seine mitreissende Persönlickeit förderte.
Nicht viel anders verhält es sich mit Lilys jüngerem Bruder, dem Violinisten Sasha Maisky. Mit beiden Kindern abwechselnd oder zusammen aufzutreten, hat den Traum des Vaters vom eigenen Familientrio mit Cello, Geige und Klavier in Erfüllung gehen lassen. “Mein Vater hatte immer diese Vision, dass wir alle zusammen Musik machen würden, aber erzwungen hat er es nicht”, erzählt Lily. “Er bestärkte uns eher sanft, indem er uns musikalisch beriet, aber so, dass es Spass machte - nicht durch Spieltechnik, sondern dadurch, dass er die Fantasie beflügelte.”
(Foto - Benjamin Brolet)
Lily räumt ein, ein etwas ungelenkes Kind gewesen zu sein, das nicht so richtig in das soziale Ambiente ihrer Klassenkameraden passte: “Ich wurde nie akzeptiert; ich war exzentrisch und ständig auf dem Weg zu einer Stunde oder zum Üben. Musik war einfach immer Bestandteil unseres Lebens”, sagt sie.
Wenn Lilys Vater auf Tournee war - und das kam sehr häufig vor -  überwachte Mutter Kay die tägliche Routine am Klavier. Sie war es, die Lily um 6 Uhr morgens aus dem Bett holte, damit Lily noch vor Schulbeginn ans Klavier konnte, und sie sorgte dafür, dass ihre Tochter nach der Schule zusätzlich mindestens eine Stunde spielte.
Ab ihrem vierten Lebensjahr nahm die in Paris geborene und in Brüssel aufgewachsene Lily Klavierunterricht bei Lyl Tiempo, Hagit Kyrbel, Ilana Davis und Alan Weiss. “Als Kind war ich nicht die eifrigste Klavierschülerin; ich fand immer Mittel und Wege, die täglichen Stunden beim Klavierspiel abzukürzen. Oft habe ich ein Buch gelesen und nur so getan, als ob ich aufpasste; dabei habe ich mit nur einer Hand gespielt”, gesteht sie.
Ihre Kindheit und Jugend in Musikerkreisen übten jedoch eine Faszination auf sie aus, der sie sich letztlich nicht entziehen konnte.
“Ich habe mich immer besser mit Erwachsenen als mit Gleichaltrigen verstanden”, sagt sie. “Ich betrachtete die Erwachsenen, die um meine Eltern herum waren, auch als meine Freunde. Und im Sommer reisten wir dann als Familie zu den Musikfestivals, bei denen mein Vater auftrat.”
(Foto: Ilona Oltuski - bei der Probe mit Vater Mischa und Bruder Sasha , beim Progretto Martha Argerich in Lugano)
Ihr erstes Festival - in Verbier - erlebte Lily mit sechs Jahren, und dann begleitete sie ihren Vater auf seinen Reisen nach Siena und Israel, wo er Meisterklassen gab. Als Vierzehnjährige schrieb sie sich schliesslich als Studentin an der englischen Purcell School of Music ein und studierte neben klassischer Musik auch Jazz.
Bald schon besuchte sie Meisterklassen weltberühmter Musiker wie Dimitri Bashkirov, Joseph Kalichstein, Pavel Giliov, Vitali Margulis und Oleg Maisenberg, und mit 15 schliesslich trat sie zum ersten Mal mit ihrem Vater auf. Sie nennt dieses Ereignis eine Offenbarung:
“Ich arbeitete gerade an der sehr intensiven Brahms E-minor Sonate, und fragte ihn, ob er sie mit mir durchgehen würde. Wir planten an diesem Tag eine Party für meine Mutter und beschlossen, sie mit unserem gemeinsamen Spielen zu überraschen. Meine Mutter war ein bisschen nervös, aber als wir dann zusammen spielten, schien es das Natürlichste der Welt zu sein; es fühlte sich an, als ob wir schon immer zusammen gespielt hätten.”
Vater Mischa bestätigt das: “Wir hatten nicht geübt, sondern setzten uns einfach hin und spielten; es war fantastisch. Lily war einfach bereit für diesen Moment – so wie man je bereit sein kann – und wir spielten mit soviel Instinkt, Emotion und Sensitivität. In diesem Augenblick begriff ich, dass mein Traum Wirklichkeit geworden war, und dass wir wirklich zutiefst miteinander verwandt waren.”  (Foto - Vater und Tochter Maisky, vom Künstler bereit gestellt)
Mischa Maisky erzählt auf seine warme und humorvolle Art weiter: “Ich bin mit vielen verschiedenen grossen Musikern aufgetreten, und mit einer ganzen Reihe von ihnen verbinden mich sehr spezielle Freundschaften. Aber mit unseren Kindern zu spielen ist etwas ganz anderes. Musik beginnt dort, wo Worte nicht genügen und wird Teil unserer persönlichen Beziehung. Ich liebe alle meine Kinder, unabhängig davon, ob sie Musik machen oder nicht, aber diese gemeinsame Erfahrung schafft eine emotionale Bindung, die sehr stark und einmalig ist.”
(Foto:Ilona Oltuski - nochmals proben in Lugano)
2005 gab Lily in Emola und Ravenna ihre ersten professionellen Konzerte mit ihrem Vater. Lily erinnert sich: “Ich war noch nicht ganz mit der Schule fertig, und im Begriff, mir ein Repertoire aufzubauen, und dies war meine erste ernsthafte Kollaboration als Kammermusikerin. Damals begriff ich, dass Kammermusik meine Stärke werden würde, und dass dies der Weg für mich war. Ich war für eine Karriere als Virtuosin einfach nicht geschaffen, und eigentlich auch gar nicht interessiert daran”, sagt die zierliche Pianistin, die zu jener Zeit unter Ermüdungserscheinungen und einer schweren Sehnenscheidenentzündung litt.  Der im Vergleich zur Orchestermusik weniger anstrengende Probenplan einer Kammermusikerin entsprach der Pianistin, die sich selbst als ‘unbelehrbar’ bezeichnet, sehr viel eher.
“Meine Lehrer sagten mir, dass ich zu dickköpfig sei, um unterrichtet zu werden; ich lernte, indem ich spielte, und am ehesten auf der Bühne. Ich habe das Gefühl, dass es dieser erste, spezielle Auftritt mit meinem Vater war, der mein Interesse an Kammermusik weckte.”
2008 dann trat Lily auch als Solistin mit Werken von Scriabin, Chopin und Janacek beim alljährlichen Progetto Martha Argerich - Festival in Lugano auf und baute ihre Erfahrungen mit anderen Kammermusikern weiter aus.
“Es ist wichtig, dass man seine Stärken und Schwächen kennt. Ich glaube, dass es mir gegeben ist, auf andere zu hören und dann flexibel genug zu sein, mich auf verschiedene Stilrichtungen und Auftritte einzustellen; ich finde den Dialog, der auf der Bühne stattfindet, sehr aufregend. Jeder Kammermusiker kann auf seine Art und Weise inspirieren und das Repertoire erkunden und präsentieren”, sagt sie.
Die junge Pianistin weiss um die Probleme und Tücken einer Tochter, deren Vater weltberühmt ist: “Natürlich ist da immer der Kampf um die eigene Stimme, aber die Tatsache, dass ich kein Saiteninstrument spiele hilft”, kommentiert Lily. (Foto: Bernhard Rosenberg)
Und über die Zusammenarbeit mit ihrem Vater sagt sie: “Vielleicht fühlte ich mich etwas mehr unter Druck auf der Bühne; das bringt die Verantwortung des Namens mit sich. Letztendlich aber musst du deine eigene Stimme finden und dem, was andere Leute denken oder sagen, nicht zuviel Bedeutung beimessen. Er würde nicht mit mir auftreten, wenn er das Gefühl hätte, mein Spielen sei nicht gut genug. Dafür ist er zu sehr Musiker. Die Tatsache, dass sich unsere musikalische Zusammenarbeit so natürlich entwickelte und wir derart gut harmonieren, hat mir das nötige Selbstvertrauen gegeben, um das Gefühl, mich ständig beweisen zu müssen, zu überwinden. Natürlich ist es ein andauernder Lernprozess, der mit jeder neuen Kollaboration wächst. Mein Vater bleibt mein wichtigster musikalischer Einfluss, aber ich schaffe es, Vater und Cellist auseinanderzuhalten. Ich habe viele wichtige musikalische Prinzipien von ihm gelernt, mehr als von irgend einem anderen Musiker, und ich bin immer noch sehr wählerisch, was die Zusammenarbeit mit anderen Cellisten angeht; der Klang seines Spiels ist sehr tief in mir verwurzelt.”
Bei Proben sprechen Vater und Tochter nur wenig miteinander. Was immer kommuniziert werden muss, wie z.B. Timing und Phrasing, vermittelt sich über genaues Zuhören und Körpersprache. “Natürlich versuche ich Erfahrung und Wissen und meine Liebe zur Musik zu teilen, aber es ist keine Einbahnstrasse, und ich bin sehr offen”, sagt Vater Mischa über seine Zusammenarbeit mit Lily. “Sie beinflusst mich genauso oft, wie ich sie beeinflusse; das ist ja gerade das Schöne am gemeinsamen Musizieren und Kommunizieren – das hält mich jung”, fügt der für seinen sehr individuellen Klang und seine lockere und jugendliche Erscheinung und Garderobe bekannte Cellist hinzu.
“Ich bin der glücklichste Cellist der Welt“, sagt Mischa Maisky. “Ich habe Pablo Casals getroffen, mit Mstislav Rostropovich und Gregor Piatigorsky studiert, über zwanzig Aufnahmen mit Leonard Bernstein gemacht und in vielen Konzerten, die er dirigierte, gespielt.”
Und sein geliebtes Cello, das er mit Musikern wie Zubin Mehta, Gidon Kremer, Martha Argerich, Radu Lupo, Evgeny Kissin, Vladimir Ashkenazy und Daniel Barenboim gute 40 Jahre lang während vieler preisgekrönter Auftritte teilte? Zuerst nur Leihgabe, ging es schliesslich endlich in seinen Besitz über.
Die Liebe ihres Vaters zu seinem Instrument hat Lily immer beeindruckt. Sie meint: “Es ist nicht gerade unüblich, dass Kinder aus Musikerfamilien vom Elternhaus die nötige Obhut und Disziplin, an der es den meisten Kindern fehlt mitbringen und so dazu beitragen, eine neue Generation von Musikern zu schaffen.“
Dies dürfte vor allem dann der Fall sein, wenn sich Musikereltern und Kinder sehr nahe stehen, wie es bei Maiskys der Fall ist.
(Foto:Ilona Oltuski -Lily mit Bruder Sasha und Mutter Kay, beim Besuch des Progretto Martha Argerich in Lugano)
Doch es gab auch Krisen. Lily war gerade mal 14, als sich ihre Mutter sehr öffentlich von ihrem Vater  trennte - ein Einschnitt in Lilys Leben, der sie schnell erwachsen werden liess. “Oft war ich der Mediator”, erinnert sich Lily. “ich war empört und es dauerte Jahre, bis ich mich wieder gefangen hatte, aber ich wurde dadurch auch äußerst unabhängig und war sehr daran interessiert, mich selbst zu behaupten und auch zu finanzieren.”
Inzwischen steht Lily beiden Elternteilen sehr nahe, und liebt ihre jungen Geschwister aus der zweiten Ehe ihres Vaters. Die Kammermusik vermittelt ihr ein Gefühl von Geborgenheit und Zugehörigkeit zu der Musikerszene, in der sie aufwuchs und die sie liebt. “Es fühlt sich bedeutend besser an als das einsame Leben einer Solistin – auf der Bühne und auf Reisen.“
In den letzten neun Jahren sind Vater und Tochter oft als Duo oder auch als Trio mit Lilys Bruder Sasha aufgetreten, und die Deutsche Grammophon erweiterte Misha Maiskys 25-jährigen Katalog um zwei Alben, die Vater und Tochter zusammen vorstellen. Die Doppel-CD Song of the Cello enthält Werke von Rachmaninoff und Brahms, die bei Festivals in Verbier und Utrecht aufgenommen wurden. Das zweite Album unter dem Titel España! Songs and Dances from Spain ist eine Studioproduktion.
Zusammen mit Violinistin Alissa Margulis und dem Pianisten Nicholas Angelich ist Lily mit Werken von Shostakovich auf einem EMI-Album zu hören; wie auch die Musikerfamilie Maisky nehmen Margulis und Angelich regelmässig am Progetto Martha Argerich-Festival teil.
Opera Breve, ihr letztes Album mit Transkriptionen, die auf Themen bekannter Opern-Arien basieren, und das auch in der New York Times Beachtung fand, hat Lily im November 2013 mit Violinist Philippe Quint auf dem Avanti Label herausgebracht. Mit dem Violinisten Hrachya Avanesyan, der ihr musikalisch und persönlich sehr nahe steht, bereitet sie zur Zeit eine Auftrittsserie vor, und für das Jahr 2016 planen Vater und Tochter eine Tour mit dem charismatischen Violinisten Julian Rachlin. Vater und Tochter beim Auftritt

Monday, July 14, 2014

Mostly Martha: Das Progetto Martha Argerich in Lugano


 
Foto: Martha Argerich Plakat des Festivals–Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Carlo Piccardi (Progretto Martha Argerich)

“Man sollte nicht mir, sondern all diesen grossartigen Leuten hier danken; ich komme einfach nur dazu”, meint Martha Argerich, und rückt ein paar Strähnen ihrer berühmten grauen Mähne zurecht, während sie im Gedränge der Festivalgäste auf den Künstler des Abends wartet.

Eher dafür bekannt, ihr Programm in allerletzter Minute umzustellen, scheint dieser Ausdruck von Bescheidenheit unerwartet. Und dann nickt sie in Richtung eines schlanken, etwas angespannt wirkenden Herrn, der jede ihrer Bewegungen aus respektvoller Distanz aufs Genaueste beobachtet.

Der Blickkontakt zwischen den beiden bedarf keiner Worte, denn der Herr ist niemand anders als Carlo Piccardi, consigliere und einer der Pfeiler des Festivals; immer bereit, auf Argerichs Wünsche einzugehen und anbahnende Katastrophen abzuwenden, steht er der künstlerischen Leiterin des Luganer Festivals zur Seite.

 

   Foto: Martha Argerich - Copertina


 
Vielleicht möchte sie einige der Künstler zum Abendessen treffen, bevor sie sich auf den Weg zur Luganer Radiostation macht, um dort wie fast jede Nacht eine Probespätschicht einzulegen. Vielleicht möchte sie aber auch den Menschen aus dem Weg gehen, die von ihrer Präsenz fasziniert, auf eine Gelegenheit warten, sich mit ihr fotografieren zu lassen. Natürlich könnte es auch sein, dass sie den Wünschen ihrer Verehrer an diesem Abend gerecht werden möchte. 

        
Es ist ein Tanz, der von grosser Nähe und gegenseitigem Verständnis spricht, und der sich beim Progetto Martha Argerich-Festival in diesen Juni-Wochen ständig wiederholt.

Verliebt in die Idee, Kammermusik und Martha Argerich in seine Region und somit sein Leben zu bringen, hatte der frühere Radio della Svizzera Italiana - Direktor und Musikologist das Festival mit ins Leben gerufen. Initiator war der damailge EMI-Aufnahmeleiter und Fernsehproduzent Jurg Grand (Spitzname ’Abdul’), der sich die Frage gestellt hatte, warum seine grossartige Freundin, die Pianistin Martha Argerich, ein (heute nicht mehr bestehendes) Festival in Buenos Aires und eines im japanischen Beppu leitete, aber keines in Europa.

Für die in Argentinien geborene Argerich, die heute in Brüssel lebt und Schweizer Staatsbürgerin ist, schien der Projektvorschlag der logische nächste Schritt, nicht zuletzt auch ob ihrer Faszination mit allem Italienischen. Dazu kam noch die Tatsache, dass Piccardis enge Verbindungen zu Rete Due und der Banca Svizzeria Italiano – damals wie heute ein wichtiger Sponsor des Festivals – ideale Voraussetzungen für ein Kammermusikfestival in der italienischen Schweiz schufen. Piccardis Ausdauer und Argerichs überzeugender Persönlichkeit und überragenden muskialischen Grösse ist es zu verdanken, dass Jurg Grands Frage derart erfolgreich beantwortet wurde, und Lugano nun ein Festival von Weltklasse beherbergt.
“Martha ist wie ein Fluss”, sagt Piccardi, während er gleichzeitig vier wichtige Telefonate nacheinander führt. “Als wir sie kontaktierten, um die Möglichkeit eines Luganer Festivals zu besprechen, sagte sie: ‘Hmm, ja, es ist vielleicht möglich.’ Und dann war das erste Festival 2002 eine Katastrophe”, erinnert sich Piccardi.

“Als Direktor der Kulturabteilung eines Radiosenders hatte ich keinerlei Erfahrung mit Live-Konzerten. Am Ende war ich völlig erschöpft, und Martha and Jurg übernahmen die Zügel. Morgens fanden Konzerte in einer Kirche statt, abends im Sender, und die 32 Künstler mussten abends auch noch proben. Heute legen wir zwischen Proben und Aufnahmen einen freien Tag ein; dafür haben wir inzwischen 82 Musiker, und die Konzerte verteilen sich über drei Wochen; viele Konzerte werden live aufgenommen und gesendet, oder auch live gestreamed.” 

Im zweiten Jahr war Piccardi besser vorbereitet: “Ich war nun mit den Problemen vertraut, die eine Produktion dieser Grössenordnung mit sich bringt, aber dann kam es zu einer Katastrophe: Jurg, der Gründer des Festivals, starb plötzlich. Martha war zu der Zeit in Buenos Aires, und wir mussten schnell entscheiden, ob wir weitermachen. Wir entschieden uns, zumindest die bereits geplante Saison durchzuführen”, sagt Piccardi. Was erschwerend dazu kam, war , dass … “vom Klavier abgesehen, Martha nicht sehr systhematisch denkt. Sie ist oft ambivalent, und bleibt vage, wenn man sie etwas fragt. Es ist immer ein ‘vielleicht’.”

       
Die Offenheit eines ‘vielleicht’ kommt Argerich bei ihrer Talentsuche möglicherweise zugute. Empfehlungen von Freunden, auf deren Urteil sie vertraut, sowie ihre Teilnahme als Jurymitglied internationaler Wettbewerbe bringen sie ständig in Kontakt mit vielversprechenden neuen Künstlern.

Foto: Andrej Grilc
“Sie vertraut auch meinem Urteil, und einige der jungen Künstler, die beim Festival aufgetreten sind, waren von mir vorgeschlagen worden; aber sie ist auch sehr spontan und entdeckt manchmal Künstler auf YouTube”, erläutert Piccardi, der sich hauptsächlich um das Programm kümmert.    

Meist ist es schon sehr spät, wenn Piccardi die legendäre Pianistin nach ihrer nächtlichen Programmvorbereitung nach Hause bringt; es wird oft genug 3 Uhr morgens. “Martha ist eine Nachteule”, sagt Piccardi, “Sie übt manchmal gern gleich nach einem Konzert und bereitet das nächste vor.” Argerich legt nur kurze Verschnaufpausen ein, zum Beispiel um ab und zu eine Zigarette mit einem ihrer Musiker Kollegen zu rauchen und zu plaudern.

Bekannt dafür, dass sie sich nie ausreichend vorbereitet fühlt, hat Argerich vor Auftritten häufig Lampenfieber. Dieses Jahr war es Tchaikovskys Concerto No.1, das sie nervös machte, und das obwohl ihre Interpretation aus dem Jahr 1994 unter dem legendären Claudio Abbado als Massstab für dieses Werk gilt. Trotzdem: Vor ihrem Auftritt im Luganer Palazzo Dei Congressi, wo sie mit dem Orchestra Della Svizzera Italiana unter Alexander Vedernikov auftrat, meldete sich wieder einmal die Bühnenangst.

 

Der Gemütszustand der Pianistin mag die Teilnehmer und Besucher des Festivals bewegen, doch Piccardi nimmt an diesen Spekulationen nicht teil. Er vertraut lieber bewährten Rezepturen, wie dem alten Künstlerhaus, das die Künstlerstiftung Pro Helvetia Martha Argerich für die Dauer des Festivals zur Verfügung gestellt hat, und in dem sie sich wohlfühlt. Nur wenige Schritte von Piccardis eigenem Haus entfernt, vermittelt das Haus die zeitlose Atmosphäre eines Ortes, der sich seit vielen Jahren von der Energie seiner Künstlergäste nährt.

“Martha ist kein Mensch, der einen Monat lang in einem Hotel wohnen kann; sie braucht ein familiäres Ambiente; es sind all die kleinen Dinge, die einen Unterschied machen”, erklärt Piccardi. “Wenn wir mitten in der Nacht zur Casa Pantrova zurückfahren, ist da ein Gefühl von Zugehörigkeit, von zu Hause ankommen.
Mit Programmen, die die Interaktion des Klaviers in allen möglichen Formen und mit verschiedenen Instrumenten zelebrieren – seien es Piano-Duos, Trios, Quartette oder Quintette, oder mitunter auch mehrere Pianos gleichzeitig – hat sich das bereits seit 13 Jahren bestehende Festival einen internationalen Namen gemacht. Fester Bestandteil des vielfältigen Konzertangebots sind Martha Argerichs Auftritte mit Freunden, Kollegen und jungen Musikern. 

“Sie macht soviel Mut”, sagt die venezuelanische Pianistin Gabriela Montero, deren internationale Karriere nicht zuletzt durch Argerichs Ermunterung, bei Auftritten ihr besonderes Improvisationstalent auszuleben, positiv beeinflusst wurde.

Das Festival, das an verschiedenen Veranstaltungsorten in und um Lugano stattfindet, rühmt sich seines unbürokratischen Procederes: hier gibt es keine Formalien in Form von Bewerbungen, und der sonst übliche Wettbewerb um Zugang zum Festival fällt gänzlich weg. Martha Argerich ist offen für neue Talente; ihr musikalischer ‘Inkubator’ ist ein Versuchslabor, das jungen Musikern erlaubt, mit international anerkannten Künstlern aufzutreten. Mehr noch: das hohe Mass an Respekt für die Künstler des Festivals bewirkt, dass Kapazitäten wie der Geiger, Pädagoge und Schauspieler Ivry Gitlis, ebenfalls ein langjähriger Freund Argerichs, seine Beteiligung am Festival trotz fortgeschrittenen Alters zwar nicht mehr als Performer, aber durch seine Lehrtätigkeit weiterführt.

“Martha liebt es, von anderen Künstlern umgeben zu sein, und die eher belastenden Aspekte der Auftritte, als auch die Freude am gemeinsam Erlebten,  mit ihnen zu teilen“, sagt Picardi. Oft sieht man sie mit Künstlern lachen, oder sich über ihre Schwierigkeiten mit einer Partitur beschweren. Von jungen Musikern umgeben, scheint die Energie der 73-jährigen Pianistin kein Alter zu kennen.

In letzter Zeit beunruhigt sie jedoch die Entscheidung einiger Kollegen, nicht mehr öffentlich aufzutreten.” Im Gegensatz zu Alfred Brendel und Maria Joan Pires, die ihre Auftrittskarriere an den Nagel gehängt haben und es lieben, Masterklassen zu geben, ist Martha nicht am Unterrichten interessiert.  

“Martha muss geradezu auftreten; sie kann ohne Musik nicht leben”, sagt Piccardi, und fügt hinzu: ”Kammermusik ist ihr Lebenselixier.” Wer Argerich spielen sieht und hört, wie zum Beispiel im eleganten Grand Hotel Villa Castagnola, oder beobachtet, wie sie im Kreis junger Künstler auf ihren Auftritt wartet, weiss wovon Piccardi spricht. Und in all den Jahren ihrer langen Karriere hat sie nichts von ihrem meisterlichen Spiel verloren. Es ist immer noch eine wunderbare Erfahrung dabei zu sein, wenn sie ihr Piano mit Leib und Seele zum Erklingen bringt.

Künstler aller Herren Länder kommen jedes Jahr in Lugano zusammen, aber neben gemeinsamer musikalischer Aktivitaten ist es vor allem der persönliche Kontakt zu Argerich, der für viele von Bedeutung ist. Der gemeinsame Nenner der Freundschaften, die über die langen Jahre Argerichs internationaler Konzertkarriere hinweg entstanden, ist oftmals Argerichs Fähigkeit, ihren Platz im Rampenlicht mit anderen Künstlern zu teilen und diese zu unterstützen. So hat das Festival auch seine familiären Aspekte, und kann vor allem für Musiker zu Beginn ihrer Laufbahn Wunder wirken: Foto: Andrej Grilc

“Am Festival teilzunehmen kann dich wirklich vorwärts bringen”, sagt Nora Romanoff, eine junge Musikerin, die seit ihrem 16. Lebensjahr am Festival teilnimmt. Die Tochter der berühmten Geigerin Dora Schwarzberg hatte ihren sprichwörtlichen Sprung ins kalte Wasser, als das Festival in seinen frühen Tagen eine zusätzliche Bratschistin suchte. “Kann sie es schaffen?”,  hatte Argerich Dora Schwarzberg gefragt, mit dem Ergebnis, dass Nora ohne jegliche Vorerfahrung in Sachen Kammermusik zur jüngsten Musikerin des Festivals wurde.
 

 
 

Misha Maisky und Martha Argerich

 

Martha Argerichs musikalischer Partner und langjähriger Freund, Cellist Misha Maisky, bringt seine beiden Kinder - Pianistin Lily und Geiger-Sohn Sasha - regelmässig zum Festival, um sie vom ‘learning by doing’-Prinzip des Festivals profitieren zu lassen. Und die Pianistin Lilya Zilberstein, ebenfalls eine langjährige Weggefährtin Argerichs, tritt nun mit ihrer ehemaligen Schülerin Akane Sakai sowie ihren beiden  Pianistensöhnen Anton und Daniel Gerzenberg auf.

Die Liste der alljährlichen Lugano-Pilger umfasst auch Künstler wie Gidon Kremer, Stephen Kovacevich und Charles Dutoit, die Teil von Argerichs Leben sind; sie alle würdigen die grosse Martha mit ihrer Anwesenheit, und Martha Argerich teilt die Bühne nur zu gerne mit ihnen. 

         

(Foto: Annie Dutoit mit Carlo Piccardi)
Annie Dutoit, Argerichs mittlere Tochter aus ihrer Ehe mit dem Dirigenten Charles Dutoit, gab beim diesjährigen Festival mit ihrer Adaption des Textes von C.F. Ramus zu Igor Stravinskys L’histoire du soldat ihr Schauspieldebut. Auch Bratschistin Lyda Chen, Argerichs älteste Tochter aus ihrer ersten Ehe mit Dirigent Robert Chen, nimmt regelmässig am Festival teil, oft als Partnerin bei den Auftritten ihrer Mutter. 

         

Argerichs jüngste Tochter Stephanie stellte beim Festival 2013 den von ihr produzierten Film Bloody Daughter vor; der Dokumentarfilm gewährt intime Einblicke in das Leben ihrer eher zurückgezogen lebenden Mutter. Der Titel des Films spielt auf die Spannungen im Familienleben des Piano-Superstars an, aber – wie Stephanies Vater, der Pianist Stephen Kovacevich im Film erklaert - ist Stephanie’s Spitzname “bloody daughter” eher liebevoll gedacht. Was der Film leistet ist, dass er die rein menschliche Seite der grossen Pianistin vorzustellen weiss.  (Foto: Ausschnitt des Films)

“Martha mochte den Film, und obwohl sie ihre Privatsphäre sehr schützt und es ein bisschen unheimlich sein muss, derart persönlich porträtiert zu werden, hätte der Film doch von niemand anderem als ihrer Tochter gemacht werden können”, kommentiert Piccardi.

Keiner der Gäste verlässt das Festival ohne eine Verabschiedung von Argerich. Egal in welcher Sprache – die Pianistin spricht fliessend Italienisch, Englisch, Spanisch, Französisch und auch ziemlich gut Deutsch – der Ton ist immer sehr persönlich und engagiert.

Seit 2002 bringt EMI unter dem Titel “Martha Argerich & Friends: Live from Lugano” eine Reihe von Aufnahmen heraus, die über Warner Classics vertrieben werden. Unter dem Titel “Martha Argerich: Lugano Concertos” veröffentlichte die Deutsche Grammophon ein 4-CD-Album, das die erste Dekade des Festivals mit dem Orchestra della Svizzeria Italiana vorstellt. Das Album wurde letztes Jahr mit dem Echo Klassik-Preis ausgezeichnet. 

Ohne Rücksicht auf ihr Prestige wurden alle Künstler von Anfang an gleich und pro gespieltem Konzert bezahlt. “Wenn sie mehr verdienen wollen, müssen sie mehr Konzerte spielen. Egal ob sie einen grossen Namen haben oder nicht – jeder Musiker tut hier das Seine”, sagt Piccardi.
“Zu Anfang des Festivals ging es wirklich hauptsächlich um die künstlerische Grossfamilie, aber mit der Entwicklung des Festivals wuchsen auch die Egos, Fragen wie ‘wer spielt mit wem’ kamen auf den Plan, und Wettbewerbsdenken machte sich breit“, meint Piccardi.  “Meine Rolle ist es, alles im Sinne der ursprünglichen Idee von Aufgeschlossenheit zu organisieren, Musik im Zentrum der Aufmerksamkeit zu belassen und ein anspruchsvolles Programm auf die Beine zu stellen.”

Das sollte Martha Argerich und Carlo Piccardi auch in Zukunft gelingen.

 

Das 14. Progetto Martha Argerich-Festival findet voraussichtlich wieder  im Juni 2015 in Lugano statt.

 

 

Monday, June 30, 2014

Adrienne Haan bahnt sich mit sprengender Energie und Lust am Freidenkertum den Weg zum Kabarett und zum amerikanischen Kunstlied

“Ich mag es, den Leuten Musik und die Leidenschaft, die sich in ihr verbirgt, nahe zu bringen. Das bedeutet jemanden zu verzaubern, einen Moment die Realität in Vergessenheit geraten und die Sinne walten zu lassen …” sagt die in Deutschland geborene Adrienne Haan, die im Jahre 1999 ein Studium an der ‘American Academy of Dramatic Arts’ abschloss. Und sie zieht tatsächlich das Publikum in ihren Bann, indem sie auf lebendige Weise eine Vielzahl von Charakteren in einer sexy Routine porträtiert, die eine hochkarätige Stimme mit lebhaft, anregendem Schwung und perfekter Diktion in Deutsch, Französisch und Englisch kombiniert. Ab und zu, wenn die thematische Programmauswahl es erfordert, kann sie auch ein jiddisches Lied hinzufügen, was besonders wirksam ist, wenn sie ihre Lieblings-Epoche erkundet: die Geburtsstunde des deutschen Kabaretts und Kunstliedes und deren Helden wie Marlene Dietrich, Kurt Weill und Bert Brecht. Ihre letzte Kabarett Show ‘The Streets of Berlin’, welche dem deutschen Lebensgefühl der zwanziger und dreißiger Jahre und all den turbulenten gesellschaftspolitischen und kulturellen Einflüssen Tribut zollt, baut auf dem Repertoire ihrer CD von 2010 auf: ‘Berlin, mon amour,‘ einschließlich der Werke für Orchester und Gesang, von Komponisten wie Misha Spoliansky bis Kurt Weill, arrangiert und unter der Leitung des preisgekrönten Filmproduzenten Heinz Walter Florin. Die CD ist sowohl in Englisch als auch in Deutsch erhältlich. Die Aufnahme wurde von ‘Das Beste,’ einem deutschen Musikverlag, mit dem Haan zuvor für ihre erste CD Veröffentlichung im Jahre 2007 zusammen gearbeitet hatte, mitproduziert. Haan nahm auch an einigen Rundfunksendungen des deutschen Fernseh-und Radiosender WDR, teil. Haan, die in Bonn lebt, aber einen Großteil ihrer Zeit in New York verbringt, hat erfolgreich eine Solokarriere ins Leben gerufen, die auf den vielen Erfahrungen und der breiten Palette ihres kulturellen und musikalischen Verständnisses aufbaut.Die Programmauswahl der Schauspielerin und Sängerin erweckt die Vorstellung ihrer schier grenzenlosen, stimmlichen und theatralischen Bandbreite; ihre Ausbildung im Bereich Liedinterpretation stellte sie durch den Unterricht an der Julliard School auf eine breitere Basis, was ihr erlaubte, sich mit so unterschiedlichen Projekten wie mit Shakespeare Stücken, mit Musiktheater wie Cabaret oder Evita und mit Dramen wie unter anderem O’Neills Anna Christie zu beschäftigen. Es ist jedoch die freche Charakter-Rolle der lebhaften und dreisten Chanteuse, in der Haan, die die doppelte Staatsgehörigkeit Deutschlands als auch des französischsprachigen Luxemburg besitzt, ihre ideale Nische gefunden hat, um ihr strahlendes Selbstbewusstsein und ihre dramatische Energie als Solistin auf die Bühne zu bringen. Wenn sie singt, wird ihre frische Sopran Stimme von jazzigem Tosen aufgerührt, einschließlich des zusätzlichen französischen ‘Spatzenstimmen-’ Tonfall à la Edith Piaf. Während viele Mitglieder von Haans Zuhörerschaft mühelos ihrem für sie typischen, provokativen Charme und dem Reiz ihres blondes Fräulein-Aussehen erliegen, ist es ihr glühendes Engagagement, ein inniges Verständnis dieser Zwischen-Epoche zwischen dem ersten und zweiten Weltkrieg wachzurufen. Haan vertritt eifrig die frische Perspektive der heutigen jungen Generation, die zwischen der Geschichte der Zerstörung und der bohrenden Suche nach einer wahrhaftig liberalen, demokratischen Gesellschaft existiert; Haans Bewusstsein für Frauenrechte, sexuelle Revolution, ethnische und religiöse Gleichberechtigung liegt beständig im Zentrum ihres künstlerischen Strebens, was zum Nachdenken anregt, wobei es aber immer unterhaltend bleibt. Als Künstlerin hat sie eine Gabe, Dinge persönlich zu machen:”Solange die Leute zuhören, erzähle ich Geschichten. Weil es genau das ist, wenn ich auf der Bühne bin: ich singe, aber ich erzähle auch immer wieder neue Geschichten. Es gibt Geschichten der Freude und des Leidens, immer auch Geschichten über ein ‘joie de vivre’, das Hoffnung, Lust, Sexualität und Verführung beinhaltet. Man wird eine Kombination all dieser Dinge in ‘From Berlin to Broadway’ finden.” Die Fragen des Kabaretts, die in ‘The Streets of Berlin’ angesprochen werden, legen auch heute wesentliche Wahrheiten offen und Haan ist fasziniert von der allgegenwärtigen Relevanz des Kabaretts und seiner genre-übergreifenden Methode, menschliche Gefühle zu beschreiben: “Innerhalb dieser Melodien und Dichtungen liegt eine Art dunkler Humor verborgen, der die Menschen befähigt, das vom Krieg, Verlust und Tod  verursachte Leid in sich aufzunehmen, aber auch den Humor, die Freude und die Trauer der Gefühle zu teilen, die in der Liebe und in menschlichen Beziehungen zum Ausdruck gebracht werden.”Die Berliner Mauer fiel, als Haan 11 Jahre alt war und ein neues Gefühl einer globalen Wiedervereinigung die Grenzen öffnete; mit dem Fall kamen Berlins Probleme finanzieller Unsicherheit und politischer Instabilität neu hervor. Haan hebt den Einfluss der Rezession der Berliner Weimarer Republik vor dem zweiten Weltkrieg und das Drohen des heraufziehenden Nationalsozialismus hervor und folgt der kreativen Denkweise, die diese, geboren in einer verzweifelten Zeit und hineinreichend bis in die heutigen globalen kulturellen Zentren, hervorbrachte. Indem Haan das Persönlichste der Geschichten herausfiltert, stellt sie über alle Grenzen hinweg die Fortsetzung des Kampfes gegen Diskriminierung, Verfolgung und die Engstirnigkeit sicher. Mit großer Liebe und Ausdauer, ob sie in den Botschaften von Deutschland oder Luxemburg auftritt, ob sie bei den kleinsten Zusammenkünften erscheint oder weithin im Rundfunk ausgestrahlt wird, Haan hat die Persönlichkeit und den Esprit ihre Stimme rüberzubringen. (Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin) In New York konnte man letztens Adrienne Haan im ‘National Arts Club’ erwischen, und sie wird mit ihrem Temperament sicher bald weitere Herzen der New Yorker erobern, wie zum Beispiel bei geplanten Auftritten in der Neuen Gallerie und bei GetClassical. Es sind auch am 2.und 3. Oktober Auftritte für Feierlichkeiten der UN  im Central Park  und am 15. Oktober zur Neueröfnung des Deutschen Konsulats in Washington D.C. angesagt.

Monday, June 9, 2014

Der freudige Klang der Musik – Cellistin Ani Aznavoorian

 
Ich kenne den Preis der Stille
Wenn an der Schwelle des Klangs
Es sich in der Kontour der Leere verbirgt

Mit dem schlagenden Herzen verschmilzt

(Teil des Gedichtes “Schlaflosigkeit” – von Lera Auerbach)

 

Die Cellistin Ani Aznavoorian und die Pianistin/Komponistin und rundum künstlerisch schaffende Kraft Lera Auerbach waren während ihrer gemeinsamen Jahre bei Julliard Mitbewohner. Vielleicht ist es diese persönliche Vertrautheit, die zwei außergewöhnliche Musikerinnen miteinander verbindet, oder vielleicht ist es ihre ungemein harmonische musikalische Seelenverwandtschaft, die eine besondere Verbindung schmiedet; wie auch immer, es bleibt eine Tatsache, dass wenn sich beide junge Frauen zu einem Konzert zusammenfinden oder als Komponist und Solist zusammenarbeiten, Funken sprühen.

Wir hatten immer eine starke Verbindung und genossen die Gegenwart des jeweils anderen, meint Aznavoorian, die vor kurzem von Santa Barbara aus zu einem Konzert in New York anreiste. Sie hatte bei Aldo Parisot studiert und war die jüngste Cellistin, die den Julliard Konzertwettbewerb während ihres ersten Jahres dort gewann. Seitdem ist Aznavoorian international mit vielen renommierten Orchestern und Musikern aufgetreten. Und doch, Aznavoorians und Auerbachs Live Performance von Auerbachs 24 Preludes für Cello und Piano, die sie 1999 im Alter von 26 Jahren komponierte und, vor 11 Jahren als Ballet aufgeführt, von John Neumaier an der Deutschen Staatsoper in Hamburg choreographiert wurden, waren gemäß Aznavoorian bisher “ihre größte Sache zusammen.”

Dies stimmte zumindestens bis Auerbachs neues Konzert namens Dreammusik, das für Camerata Pacifica und Ani Aznavoorian geschrieben wurde und am 7. März dieses Jahres am ‘Colburn School Zipper Auditorium’ in Los Angeles von Aznavoorian und Mitgliedern des renommierten Westküsten Kammermusik Ensembles uraufgeführt wurde.

Es war das Konzert der 24 Preludes im Jahre 2010 gewesen, das Sandra Svoboda, ein langjähriger Fan von Aznavoorians dynamischem Performance Stil und der neuartigen Programmgestaltung von Camerata Pacifica, dazu anregte, eine neue Komposition von Auerbach in Auftrag zu geben, welche von der sehr geschätzten Cellistin gespielt werden wird, die seit fünf Jahren die Stelle als erste Cellistin beim Camerata Pacifica innehat. Die Absicht, die sich hinter diesem Auftrag verbarg, war es, für das Ensemble und Aznavoorian den belebenden Geist der 24 Preludes wiedererstehen zu lassen, was als vor muskulärem Elan und Heftigkeit strotzend” beschrieben und “als eine richtungsweisende Performance einer bemerkenswerten Ergänzung des Kammermusik Repertoires” bezeichnet wurde.” 

Die Veröffentlichung im März 2013 von Celloquy, einer
gemeinsamen Aufnahme von Aznavoorian und Auerbach auf dem Cedille Label, stellte 24 Preludes zusammen mit Sonata, die 2002 komponiert worden war, und mit Postlude vor, einem Werk aus dem Jahre 2006, und hielt  – gepaart mit weiteren Live Konzerten der 24 Preludes  – den Schwung des Werkes in Gang, was dessen charakteristische Stimmung frisch in den Köpfen der Zuhörer hinterließ. Die zyklische Komposition von 24 Miniaturwerken - je eine in jeder Tonart und – beruhend auf der Tradition der Präludien Niederschriften von Bach bis Schostakowitsch – erstreckt sich auf die ganze emotionale Bandbreite von Auerbachs dramatischer und dennoch intensiv lyrischen Komposition. Das tonale Zentrum ihrer Vorgänger wird buchstäblich anhand von chromatischen Tonfolgen und einem Wirrwarr musikalischer Strukturen zerfranzt, was seine dramatische Energie lebendig hält.

Das neue Konzert für die Cellistin und ein kleines Kammer Ensemble, auf das Aznavoorian und Camerata Pacifica lange gewartet hatten, war für Aznavoorian, als es endlich ankam, eine unerwartete Überraschung: “Das Stück unterschied sich sehr von dem, was ich erwartet hatte. Leras Werke, die ich zuvor gespielt habe, waren sehr virtuos und voller Gestik, bei Dreammusik hingegegen geht es vielmehr um Struktur und Klangfarbe und diese lullt den Zuhörer in einen dem Title entsprechend angemessenen, traumartigen Zustand ein. Anders als bei traditionellen Konzertkompositionen mit voneinander getrennten Sätzen, handelt es sich um ein ungefähr 35-minütiges Werk ohne Pause und so sind dessen Umfang und Struktur zwei sehr vielschichtige Aspekte. Es ist düster und grüblerisch und unglaublich schön,” meint Aznavoorian. Als es für Aznavoorian Zeit wurde, Dreammusik mit den neun Mitgliedern des Camerata Pacifica uraufzuführen, war sehr zur Erleichterung der Cellistin, Auerbach zugegen und während des Verlaufs der Proben sehr hilfreich. Schließlich war es das erste Mal, dass die Cellstin die Gelegenheit hatte, das Stück als Ganzes zu hören; sicherlich ein komplexer Moment, selbst für eine intuitive und einfühlsame Musikerin wie Aznavoorian, deren allgegenwärtigste Leidensschaft die Kammermusik ist. “Ich mag alles daran, an erster Stelle die Musik, aber auch den ganzen Prozess gemeinsam zu proben und dann gemeinsam mit Freunden auf der Bühne zu sein. Manchmal lache ich hysterisch und sage mir – ich kann nicht glauben, dass dies mein Beruf ist!” In der Tat, beobachtet man Aznavoorians Art und Weise mit ihrem Cello umzugehen, erkennt man sogleich die große Freude, die sie in ihrer Verbundenheit für ihr Instrument empfindet. Ihr Cello wurde für sie von einem ihr sehr am Herzen liegenden Fachmann hergestellt – ihrem Vater Peter Aznavoorian. Armenischer Herkunft und wohnhaft in Chicago, folgte er spät in seinem Leben einem inneren Ruf und wurde Violinenbauer in Chicago: “Er weiß mehr über Instrumente als jeder, den ich kenne und er ist auf seine Weise sehr genau. Mein Cello hat den Buchstaben A in die Schnecke eingeschnitzt, mein Vater sagt, dass dieses für Aznavoorian steht, aber für mich steht es für Ani – es ist meins, ganz allein,” lacht sie und schüttelt ihr lockiges Haar. Während ihrer Konzerte, kann

füehlen, dass sie sich das Instrument vollständig zueigen gemacht hat und beherrscht, um fein nuancierte Klangfarben, einen subtilen, warmen Ton und eine brillante, natürliche Technik auszudrücken.

Aznavoorians Karriere hat viele unterschiedliche Wege eingeschlagen und schließt das Unterrichten mit ein, das sie mit ganzem Herzen genießt. Aber wie so viele junge Mütter hat sie ein bisschen damit zu kämpfen, das richtige Gleichgewicht zwischen ihrem Familienleben und ihrer Karriere zu finden. “Es ist schwierig sichtbar zu bleiben,” sagt sie. Mit einem kleinen Sohn Alexander, der zweieinhalb Jahre alt ist, und mit einem weiteren Kind auf dem Weg, hat die Künstlerin ihre Reiseauftritte zurückgefahren. Während sie, bevor sie Kinder hatte, zweimal monatlich nach New York kam, kommt sie nun nur noch viermal im Jahr, oft um mit den ‘Jupiter Symphony Chamber Players’ aufzutreten, deren einzigartiges Programm sie sehr schätzt. Vom Alter von drei Jahren an mit Musik aufgewachsen, blieb diese ein wesentlicher Bestandteil ihres Lebens und machte sie zu einem einfallsreichen und verlässlichen musikalischen Partner, was viele derer, mit denen sie zusammenarbeitete, unter ihnen Auerbach, in ihr auch sahen.

Auerbach, die im Ural geboren wurde, hatte sich aus der Sowjetunion abgesetzt, um zu den weiteren Ufern ihrer scheinbar endlosen kreativen Energie aufzubrechen. Sukzessiv fügte sie ihrem ungeheuren Pianismus, weitere verschiedene künstlerische Medien, hinzu. Seit nunmehr fünf Jahren hat sich diese Kreativität in ein anwachsendes Oeuvre von Gemälden und Skulpturen übertragen. In Verbindung mit ihrem neuen Konzert für Aznavoorian hat Auerbach eine an Chagall erinnernde Traumlandschaft gemalt, die sie zur Auktion anbot, und die Hälfte der daraus erwachsenden Einnahmen für den weiteren Ausbau von Camerata Pacifica Programmen gestiftet.

Entzückt von dem lebendigen Werk – ein perfektes Relikt ihrer unvergesslichen Erfahrung mit dem Konzert, das für sie in Auftrag gegeben worden war – entschlossen sich Aznavoorian und ihr Ehemann es zu kaufen. Das Werk verkündet das Konzert auf dem Camerata Pacifica Poster, das von einem tief ozean-blauen Terrain beherrscht wird und mit einem dahintreibenden Cello und anderen im Ozean driftenden Lebewesen; das Original Öl- und Sepia-auf-Leinwand-Gemälde, das ca. 100 - 75cm breit ist, wird gegenwärtig für Aznavoorian gerahmt.

Was aber die Bedeutung des Konzertes selbst anbelangt, verhüllt sich Auerbach unerbittlich ins Schweigen. In einem Interview mit Daniel Kepl im Vorfeld der Konzert-Premiere sagte sie: “Ich möchte, dass das Publikum es selbst in Erfahrung bringt. Ich denke, dass die Worte des Komponisten recht gefährlich sein können, wenn es um Musik geht. Dies stellt vielmehr eine wunderbare Einladung an das Publikum dar, seine eigene Imaginationskraft zu erkunden.”

Das scheint angemessen zu sein, wenn es um sich um Träume handelt – und Musik: eine sehr persönliche und flüchtige Dimension, die in ihrer eigenen Welt existiert.