Thursday, December 26, 2013

Huang Ruos Oper ‘Dr. Sun Yat-Sen’ – ein zeitgenössisches Meisterstück gibt asiatischer Fusion neue Wertschätzung

Foto: Huang Ruo bei der ‘Asia Society’ (GetClassical)

Als Vorschau auf die bevorstehende amerikanische Premiere präsentierten am 2. Dezember der Komponist Huang Ruo und sein kreatives Team von der ‘Santa Fe Opera’ Ausschnitte der auffallend lyrischen, modernistischen Oper, die sowohl in Mandarin – Chinesisch als auch im kantonesischen Dialekt gesungen wird, bei der “Asia Society.’
Im Rahmen einer Podiumsdiskussion, die von dem Journalisten Ken Smith moderiert wurde und den Komponisten Huang Ruo vorstellte, diskutierten Bühnenregisseur James Robinson, Kostümbildner James Schuette, Choreograph Sean Curran und die Dirigentin Carolyn Kuan die der Produktion innewohnenden Herausforderungen; kreative Lösungen zu diesen wurden von den unterschiedlichen Perspektiven all der beteiligten Künstler beleuchtet.
“Die Oper entwirft ein Bild von der historischen Figur Dr. Sun Yat-Sen, dem Gründungsvater des modernen China …” erklärt Ken Smith.
Der Inhalt der Oper basiert größtenteils auf wirklichem historischem Material, wie Sun Yat-Sens politische Reden, Briefen und Fotografien. Dennoch dient seine Stellung als politischer Revolutionär nur als farbenfrohe Kulisse für das seinen Ausgang nehmende persönliche Drama, das in drei Akten, die jeweils unterschiedliche Schauplätze darstellen, auf die Bühne gebracht wird: “Es handelt sich um eine recht persönliche Lebensgeschichte, die ich zeigen wollte und die recht unbekannt ist,“ sagt Ruo, “seine leidenschaftlich und revolutionäre Persönlichkeit.”
Und es ist die sehr ergreifende, künstlerische Ausdruckskraft in solch feinfühligen Arien wie Lu Muzhens (Sun Yat-Sens verlassene erste Frau) Klagelied, die die Erkenntnis einer menschlichen Binsenweisheit, persönlichen Glauben, Trauer und Erfüllung darstellen, die Sun Yat-Sens persönliche Geschichte charakterisieren. “Diese abgebundenen Füße können nicht mit der Zeit mithalten,” singt Lu Muzhen und bringt damit die grundlegende Wahrheit des Einflusses historischen Wandels mit ihrer eigenen Geschichte einer persönlichen Transformation in einen direkten Zusammenhang, die mit Sensibilität durch die Helden und die Opfer der Saga verallgemeinert werden. Foto: Zhou Yi, Pipa und Guqin (GetClassical)

In traditioneller chinesischer Oper – und es gibt eine Vielzahl verschiedener Opernstile – werden die Charaktere explizit durch ihr äußeres Erscheinungsbild symbolisiert; Ruo erklärt, wie man anhand einer unmissverständlichen Illustrierung nicht unbedingt die Geschichte kennen muss, um die Persönlichkeiten der auf der Bühne Anwesenden zu erkennen. Mit Wagners ‘Leitmotiven’ vergleichbar stellt Ruo die musikalische Einleitung mit dem Erscheinen einer jeden Figur in Zusammenhang, indem er bestimmte musikalischen Phrasen nutzt, um eine ästhetische Verbindung zwischen dem musikalischen Thema und der dramatischen Darstellung der Charaktere zu erzielen. “Man hört die Figur bevor man ihn oder sie auf der Bühne sieht,” stellt er abschießend fest.
Die Produktion der Oper  eröffnet einige interssante Gesichtspunkte: Nachdem diese von der ‘Opera Hong Kong’ im Jahre 2011 in Auftrag gegeben worden war, hatte sie das ‘Hong Kong Culture Centre Theatre’ mit dem ‘Hong Kong Chinese Orchestra’ im Oktober 2011 uraufgeführt und schuf damit die allererste Oper im westlichen Stil, die von einem vollständigem Orchester mit chinesischen traditionellen Instrumenten begleitet wird. Es gibt zwei Versionen der Partitur, die geistreich von Ruo unterschieden werden: “Dies sind nicht zwei grundverschiedene Partituren, es handelt sich vielmehr um unterschiedliche Instrumentalversionen des Gleichen. Eine für ausschließlich chinesische Instrumentierung, die andere ist zusätzlich zu den traditionellen chinesischen Instrumenten an eine Westliche angepasst. Ich würde dies als eine spiegelbildliche Transkription beschreiben: Man hält den Spiegel hoch und das eigene Bild im Spiegelbild erkennen.” Foto: Huang Ruo (GetClassical)

Zusätzlich wurde der Text der Partitur verändert und Teile der gesprochenen Zeilen wurden zugunsten einer erfolgreichen Darstellung von Ruos Dimensionalität, der von ihm angewandten Kompositionsmethode, gestrichen. Die Produktion hatte mit Sicherheit auch die Geduld eines westlichen Publikums im Auge, das die kantonesischen Dialekte nicht beherrschte. Ruo beschreibt diese Art Musik zu kreieren und wahrzunehmen als eine Weise, vielschichtige musikalische und textliche Bedeutungsebenen zuzulassen: “Ich habe nicht absichtlich versucht, eine stilistische Fusion zu schaffen. Ich habe mir einfach das Libretto angeschaut und nachgedacht, wie es klingen sollte und wie jede Zeile zu interpretieren sei. Zurückschauend kann ich feststellen, dass ich es weder als Darstellung einen strikt westlichen Opern- noch als einen chinesischen Volksmusikstil betrachte. Obwohl ich es für westliche Stimmvarianten schrieb, wird es durch das Singen chinesischer Wörter zu einer einzigartigen Kombination.“
Der erste Akt der westlichen Version der Oper hatte im Jahre 2011 bei der ‘New York City Opera’ seine Vorpremiere.
Im Januar 2012 dirigierte Ruo ein von ihm gegründetes Ensemble mit dem Namen FIRE bei der Konzertversion von Ausschnitten im ‘Le Poisson Rouge’, gefolgt von einer Vorstellung bei der ‘Asia Society” im Mai 2012.
Um was für ein außergewöhnliches Unterfangen es sich bei Ruos Meisterstück sowohl in den USA als auch in China bei Santa Fes geplanter vollständiger Produktion von Dr. Sun Yat-Sen handelt, machte das Erhaschen eines kurzen Blickes in diesem Dezember klar. Das Konzert in Hongkong kennzeichnete die erste Aufführung einer zeitgenössischen Oper mit einem vollständigen Orchester bestehend aus traditionellen chinesischen Instrumenten. “Es motivierte mich diese Oper zu schreiben, um so etwas dem kleinen Repertoire an zeitgenössischer Oper, das in Chinesisch geschrieben ist, hinzuzufügen. Schließlich handelt sich bei Chinesisch um eine sehr rhythmische und musikalische Sprache. Obwohl China einen lange, reiche Geschichte traditioneller Opern hat, ist diese Tradition mit dem Schwinden eines Publikums und dem Mangel an einem neuen Repertoire in Gefahr geraten,” sagt Ruo, und drückt damit eine Besorgnis aus, die sicherlich international eine Entsprechung hat.
Dr. Sun Yat-Sen wird in der vollen Länge an der ‘Santa Fe Opera’ am 26. Juli 2014 aufgeführt werden.
Ilona Oltuski

Ausscnitte aus 'Dr.SunYat-Sen' 

Thursday, December 5, 2013

Yuja: “Ich mach’ mein eigenes Ding”


Es gibt viele großartige Auftrittskünstler, die ihr Publikum auf eine persönliche Reise in die Tiefen der Welt eines Komponisten mitnehmen, und dann ist da Yuja Wang, die diese musikalische Welt mit ihrer ganz eigenen Lebendigkeit erlebbar macht. Ihr letzter Auftritt in der Carnegie Hall im Oktober 2013 war ein perfektes Beispiel dafür – ein genialer Wurf und ein Bravourstück virtuosen Repertoires, das die junge Pianistin mit großartiger Beherrschung meisterte. Darüber hinaus war es die von ihr ausgehende innere Vitalität, die das Publikum in ihren Bann zog und Yujas eigene Wahrheit durch die Musik vermittelte.
            Zum Interview mit dem 26-jährigen Superstar trafen wir uns bei ‘Indies’, einer kleinen Lounge, wo wir beide Stammkunden sind und die nicht weit entfernt von ihrer New Yorker Wohnung in der Nähe des Lincoln Centers ist.
            “Ich reagiere sehr auf das Publikum und lebe von der Energie, die ich im Saal empfinde”, meint Yuja. “Ich bin schon immer aufgetreten, von früh an, und ich lerne mein Repertoire durch meine Auftritte, durch das Spielen kennen – und das hat sich nicht wirklich verändert. Ich muss auftreten, um mich lebendig zu fühlen. Jedesmal ist es anders, es ist ganz organisch. Wenn ich mit anderen Künstlern auftrete, kommen verschiedene Seiten von mir zum Vorschein. So kann ich jeweils eine andere Person sein.”
           Ihre Bühnen-Outfits mögen dies ab und zu reflektieren, und so gibt es denn auch immer wieder kritische Kommentare zu Yujas äusserem Erscheinigungsbild, wie zum Beispiel anlässlich ihres sexy 'Hollywood Bowl' Auftritts. Yujas Antwort darauf? “Ich bin wie ein Chamäleon; ich reagiere auf meine Umgebung und passe mich dementsprechend an.” Und: “Diese Kritik sagt viel mehr über die Kritiker als über meine Kleiderwahl aus.”
            Ihre Freimütigkeit mag etwas mit der Tatsache zu tun haben, dass sie nicht wirklich über den Kritiken brütet: “Ich lese sie nie – was vorbei ist, ist vorbei”, sagt sie mit sonnigem Lächeln. Sie zeigt auch eine erstaunliche Gleichgültigkeit gegenüber der Masse an Publicity, die sie umgibt. Von dem ganzen Zirkus unberührt vermittelt ihre selbstbewusste Persönlichkeit eine leidenschaftliche Unabhängigkeit und fast exzentrische Glaubwürdigkeit, die es ihr erlaubt, ihr verletzliches Selbst zu verstecken und zu schützen. “Ich mag nicht wirklich zu viel über mich selbst in einem Interview preisgeben,” sagt sie, “und irgendwie werde ich sowieso nie ganz korrekt zitiert.”
            Für Yuja liegt die Wahrheitsfindung in der Musik: “Ich spiele am besten, wenn ich aufrichtig bin”, erklärt sie. “Genau dann gelingt es mir, mein Publikum zu bewegen. Aber die Wahrnehmung kann sich leicht verändern: als ich zum Beispiel mit dem Aufnehmen begann, war das, was ich zu spielen glaubte, anders als das, was ich dann in der Aufnahme hörte. Manchmal hatte es gar nichts mit dem zu tun, was ich fühlte – es ist so eine Art Schmetterlingseffekt.”
            Yuja beschreibt den Prozess, die von ihr angestrebte Aufrichtigkeit in ihrem Spielen zu finden: “Ich spiele, und wenn ich es dann höre, hasse ich es. Ich denke mir, dass ich so viel besser spielen könnte. Dann probiere ich es dreimal, viermal, fünfmal und höre erneut zu, und vergleiche es dann ... nur um herauszufinden, dass das erste Mal das Beste war.”
            Ein anderer Stein des Anstoßes für Kritiker ist, was sie als ‘reißerischen‘ Stil ihrer Interpretationen bezeichnen - eine Kritik die Yuja so beantwortet: “Ich habe gelernt, Beethoven zu spielen, und ich habe Bach gelernt, aber nie war ich so hingerissen wie bei Rachmaninoff.” Trotzdem wird Yuja im Februar 2014 Beethovens Konzert Nr. 3 zusammen mit dem ‘London Symphony Orchestra’ während ihrer Residenz bei dessen ‘Artist Portrait Series’ spielen.
            “Virtuose Partituren haben nicht unbedingt etwas mit einem reißerischem Stil zu tun”, erklärt sie. “Meine Veranstalter planen all diese romantischen und post-romantischen Werke zwei Jahre im voraus, und ich möchte mein Bestes auf die Bühne bringen. Wenn mich aber ein Stück reizt … je mehr es mich persönlich anspricht, umso besser kann ich es spielen und mein Publikum fesseln. Das bedeutet nicht, dass ich nicht manchmal bei soviel Feuer ermüde, das ist sicherlich so. Und man kann immer noch soviel lernen.”
            Im Sommer 2014 wird Yuja wieder mit dem Violinisten Leonidas Kavakos zusammenarbeiten; dieses Mal stehen Sonaten von Brahms für Violine und Piano auf dem Programm. Durch Kavakos lernte sie auch den legendären, ungarischen Pädagogen Ferenc Rados kenne; für Yuja ist Rados, der schon als Lehrer für Andràs Schiff bekannt wurde, ein Genie. “Auf der Grundlage seines inhärenten Veständnisses von harmonischen Zusammenhängen gewährt er einen völlig anderen musikalischen Einblick in ein Stück und wie es zu strukturieren ist,“ schwärmt sie bewundernd.
            Bei jährlich über 80 Konzerten und Aufnahmeterminen auf der ganzen Welt bleibt Yuja eher wenig Gelegenheit, Zeit an einem Ort zu verbringen. “Irgend jemand fragte mich kürzlich: ‘Wo fühlen Sie sich zuhause?’ Und ich antwortete: ‘Mein Wohnzimmer ist in New York, mein Studio ist in Paris, und in Deutschland nehme ich auf,’ aber letztendlich geht es nicht so sehr um Orte, sondern um die Menschen.”
            Sie genießt es, Weltbürgerin zu sein, und es gibt viele Abenteuer jenseits des Klaviers, die sie gerne erleben würde, wie zum Beispiel nach Indien zu reisen und dort eine Weile ohne Internet zu leben. Gleichzeitig weiß sie, dass es jede Menge Mut erfordern würde, sich von ihrem rigorosen Auftrittskalendar frei zu machen. “Trennungsangst” nennt sie es. Und das ist ziemlich genau das, was die 14-jährige Yuja empfunden haben mag, als sie vor 12 Jahren ihre Familie in Peking verließ.
            Damals hatte Yujas Lehrer am Zentral-Musikkonservatorium in Peking eine Fortsetzung ihres Studiums am ‘Curtis Institute of Music’ in Philadelphia empfohlen, in der Hoffnung, sie würde mit dem bedeutenden Pädagogen Claude Frank studieren können. Als Yuja schließlich bei Curtis zu einem Probespielen ankam, war es Gary Graffman, der sie unter seine Fittiche nahm.    
            “Er liebt die chinesische Kultur und er ist ein großer Sammler chinesischer Kunst”, sagt sie über Graffman, der auch den Superstar-Pianisten Lang Lang betreute. “Er lehrte mich vieles über chinesische Geschichte und Kultur. Obwohl er einer anderen Generation angehört, haben wir eine wunderbare Beziehung.” Und zu seinem Lehrstil sagt sie folgendes: “Künstlerisch gab er mir sehr viel Freiheit und mochte es sehr, wenn ich etwas Unerwartetes in der Musik fand. Sein Gesicht leuchtete dann auf und ich liebte diese Reaktion. Ich ‘arbeitete’ daran und fühlte mich inspiriert, ihn erneut zu überraschen.” Graffman, zu dessen 85. Geburtstagsehrung sie im März 2014 am Curtis Institut auftreten wird, ging 2008 als Präsident von Curtis in den Ruhestand. “Ohne ihn wäre meine Karriere gar nichts,” sagt sie. “Er inspirierte mich zutiefst, und stellte durch seine pianistische Traditionsverbundenheit eine direkte Verbindung zur gesamten europäischen Klassik für mich her  … Als ich jung war, träumte ich davon, in Europa zu studieren … bei Curtis spielte ich dann für Künstler, die mich indirekt mit diesen grossartigen Traditionen in Kontakt brachten. Schließlich habe ich auch für Claude Frank, Pamela Frank und Leon Fleisher und viele andere gespielt.”

            Yuja schätzt es, dass Curtis Wert darauf legt, Freundschaften statt Wettbewerb unter den Studenten zu fördern. “Curtis bietet eine erstaunliche Umgebung; es ist eine kleine Schule, super-freundlich und einladend. Und alles dreht sich darum, Musik zu entdecken und neugierig zu machen. Sie behandeln jeden als sei er die grosse Ausnahme. Curtis hat einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen.”
            Und wie ist es, nicht mehr Teil einer Gruppe von Studenten zu sein? Yuja lächelt und sagt in Gedanken verloren: “Ich bin oft einsam, aber daran bin ich gewöhnt. Selbst als Kind habe ich selten mit anderen Kindern gespielt. Ich war nicht sehr sozial, war aber auch nicht unglücklich darüber. Ich übte und machte mein eigenes Ding.”
            Und genau das macht sie immer noch, und nach wie vor sehr erfolgreich.





Yuja Wangs fünfte Aufnahme mit der Deutschen Grammophon: Piano Concertos, Rachmaninov #3 und Prokofjews Konzert Nr. 2, Op. 16 mit dem Simón Bolívar Symphony Orchestra of Venezuela unter Gustavo Dudamel ist ab Januar 2014 im Handel erhältlich.

Wednesday, December 4, 2013

Joshua Bell läutet die Feiertage zum Ende des Jahres mit einem live-übertragenen Konzert ein – von seinem Zuhause direkt in das Ihre

Foto: Joshua Bell, Renée Fleming  (Clint Spaulding/Patrick McMullan.com)
Um ein einzigartig erfreuliches, musikalisches Erlebnis zu bieten und die im Oktober erfolgte Veröffentlichung von Joshua Bells neuem Album Musical Gifts zu feiern, haben WFYI Public Media und Adrienne Arsht eine besondere Veranstaltung in Bells New Yorker Privatwohnung gesponsert. Diese besondere Veranstaltung fand am 26. November statt und stellte den außergewöhnlich begabten Geiger zusammen mit einigen der auf dem Album Mitwirkenden beim Spielen einer buntgefächerten Auswahl feierlicher Weihnachts- (und Hanukkah) Melodien vor. Mit dabei im Kreis der illustren Vortragenden waren: Renée Fleming, Michael Feinstein und Frankie Moreno, Rob Moose und der ‘Young People’s Chorus of New York City’. Dies war die erste Ausstrahlung dieser Art überhaupt: “Musikalische Geschenke: Joshua Bell und Freunde – Live aus Joshuas New Yorker Zuhause.” Der Webcast dieser Veranstaltung wird bis zum 31. Januar 2014 bei ‘Medici.tvzum direkten Ansehen abrufbar sein.
Die Gruppe der Auftrittskünstler versammelte sich ungezwungen um einen antiken Steinway Konzertflügel in der Mitte von Bells großem, länglich ausgedehnten Wohnzimmer, während die Kinder des ‘Young People’s’ Chores dekorativ entlang der kerzenerleuchteten Treppe saßen, die auf die Dachterrasse hinaufführt. Die herzerwärmenden Auftritte bezogen Sänger, Pianisten und sogar einen Harfenspieler mit ein, die sich alle abwechselten, um mit Bell zusammen zu musizieren, der humorvoll von der leichten Anspielung als einem der Sache innewohnenden Exhibitionismus spricht, der einen begnadeten Auftrittskünstler ein Leben lang begleitet:  “Er bemerkte bzgl. seiner Stellung im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und der Tatsache, dass er bei jedem Stück mitmachte: letzten Endes”... handelt es sich ja schliesslich um mein Haus.”
 (Foto: Clint Spalding/Patrick McMullan.com)
Während mein Mantel an der Garderobe der bemerkenswerten Wohnung Bells im New Yorker ‘Flatiron’ Distrikt abgegeben wurde, konnte ich mir nicht verkneifen, seine persönliche Autogrammsammlung zu bewundern, die solche ikonenhaften Persönlichkeiten wie Albert Einstein beinhaltet, der zusammen mit Bronislaw Huberman, dem Begründer des ‘Palestine Symphony Orchestra’ und Vorgänger des ‘Israel Philharmonic Orchestra’ posiert. Huberman ist auch der frühere Besitzer der dreihundert Jahre alten Stradivarius, die Bell heutzutage spielt und liebevoll als seine teuerste und kostbarste Habe würdigt.
Heidi, die seit mehr als 10 Jahren als persönliche Assistentin von Bell tätig ist, gab eine Führung über die zwei Etagen und die Dachterrasse von Bells luxuriösem Penthouse, in dem er nunn auch schon ein Jahrzehnt, wenn er in New York ist,  lebt. Sie erklärt: Es ist vom großartigen amerikanischen Architekten Charles Rose entworfen und für solche Abende wie dem heutigen, im Sinn ausgelegt worden. Der Raum bietet Platz für ungefähr 150 Gäste.” Wie ich den sparsam dekorierten Medienraum auf der unteren Etage durchschritt, wo sich die  ‘Medici.tv’ Crew mit einem wilden Kabelgewirr niedergelassen hatte, erspähte ich eine weitere von Bells Obsessionen. Wenn er nicht gerade mit Auftritten beschäftigt ist, reist oder für Auftritte probt, ist Bell, der am 9. Dezember seinen 45-jährigen Geburtstag feiert, auch ein fanatischer Fan von ‘American Football’ und zeichnet jedes Spiel auf, um auch nicht nur ein einziges zu verpassen. Er ist besonders, zufolge Heidi,  ein eingeschworener Fan seiner Heimmannschaft: den ‘Indianapolis Colts’.
Fund-raiser Veranstaltungenund andere musikalische häusliche Abendveranstaltungen, die sowohl großartige Musik als auch kulinarische Köstlichkeiten einem gemischten Schwarm an Gästen, einschließlich von Prominenten, der Presse, Musikern, Freunden und Kollegen, anbieten, sind keine Seltenheit in Bells Heim.
 (Foto: Clint Spalding/Patrick McMullan.com)
Offensichtlich lässt dieser Grammy prämierte Künstler, der im Alter von vier Jahren begann, Geige zu spielen, nicht seine Liebe im Stich, auch jenseits der Vorhänge der Welt andere an seiner Musik teilhaben zu lassen, sondern hat er vielmehr den Hang, seine privaten Räumlichkeiten in seine eigene persönliche Spielstätte zu verwandeln, was an den Stil der großen Salons erinnert.
Bells Begeisterung für ein Erleben aus unmittelbarer Nähe bei der Herstellung und der Präsentation von Musik inmitten einer vertrauten Umgebung kleinerer Presentationen, um einen direkteren, intensiveren und vertraulicheren emotionalen Austausch zu erzielen, stellt einen derzeitigen Trend in der klassischen Musikwelt dar.
Selbst die ‘New York Philharmonic’ hat das Potenzial eines neuen Interesses an kleineren, eklektischeren Vorstellungen realisiert, indem es am New Yorker Downtown Veranstaltungsort SUBCULTURE, der sich dem Ansturm klassischer Musikveranstaltungen bei Downtown Musikdrehscheiben wie Le Poisson Rouge und Joe’s Pub angeschlossen hat, Konzerte plant. Veranstaltungen des ‘Classical Salon’ wie GetClassical werden ebenfalls in ästhetisch anspruchsvollen und dennoch herausragend ‘cool’ wirkenden Lounges des Downtown New Yorker Nachtlebens, wie der ‘Gramercy Park Hotel Rose Bar‘ besonders herausgestellt. Diese neuen Veranstaltungsorte bringen klassische Musik einem neuen Publikum nahe und steigern das Erleben durch den Faktor einer entspannten Umgebung; sie fügen ebenfalls die verlockende Aussicht hinzu, während eines Auftritts und nicht nur während der Pause ein Glas Wein genießen zu können. 
Foto: GetClassical - Salon in der Rose Bar, Gast: pianist Evgeny Kissin  (Alex Federov)
Das persönliche Element dieser neuen Darbietungen klassischer Musik ist etwas, das in der Luft liegt und das ohne Zweifel von dem charmanten Franzosen Hervé Boissière, dem Gründer von ‘Medici.tv’, aufgegriffen wurde und ihn und Joshua dazu inspirierte, diese Veranstaltung zu planen. Dieses Programm stellt die erste Übertragung von Bell durch ‘Medici.tv’ in New York dar und die erste Übertragung des Senders direkt aus einem Privathaus: “Zuvor hatte ich Joshuas Auftritte beim Verbier Festival und anderen internationalen Bühnen übertragen. Die Entscheidung, diese Idee nun in die Tat umzusetzen, wurde im Mai getroffen, als wir ihn das letzte Mal ausstrahlten, während er in Deutschland konzertierte, “sagt Hervé.
‘Medici.tv’ wurde im Jahre 2008 ins Leben gerufen, aber war bereits in Europa wohlbekannt, bevor es sich auch in Amerika einen Namen machte.  Das innovative ‘Medici.tv’ Team benutzt ferngesteuerte Kameras, um einen direkten Fokus auf die Auftretenden und eine Nahaufnahme der instrumentalen Details während der Live Übertragung zu ermöglichen. Indem es auf Abonnement Basis durch eine technologisch versierte Live Übertragung von Konzerten und eine vielfältige Video-Bibliothek auf Abruf eine weltweite Gemeinde von Musikliebhabern zusammenbringt, besitzt ‘Medici.tv‘ nun Amerikanische Universitäten als Kunden, einschließlich ‘Stanford’, dem ‘Massachusetts Institute of Technology’, ‘Columbia’, der ‘Juilliard School’ und der ‘Manhattan School of Music’.
(Facebook Foto) Hervé arbeitet eng mit seinen Teamkollegen zusammen, von denen die meisten, darunter der Produktionsverantwortliche, Teil seiner französischen Crew sind; sein Team besteht in der Regel vorwiegend aus Leuten vom französischen Personal von ‘Medici.tv’, selbst dann, wenn in den USA gedreht wird. Aber langsam ändern sich die Dinge: “Anfangs brachten wir die gesamte Mannschaft aus Frankreich rüber, aber in der Zwischenzeit waren wir auch in Zusammenarbeit tätig. Diesmal sind in Zusammenarbeit mit ‘WFYI Public Media’ fünf von den Crew Mitgliedern und Produzenten in Amerika beheimatet und wir brachten nur 10 Leute unserer ursprünglichen Gruppe mit.”
Die Gewährung öffentlichen Zugangs zur Nähe eines privaten Konzertauftritts, wie dem der “Musical Gifts” zu gewähren, erscheint als ein optimales Gegenmittel müder Publikumsmassen und ein magisches Anziehungsmittel für energetische Konzertbesucher.
Ilona Oltuski

Sunday, December 1, 2013

Konzert-Ankündigung mit einem Twist – die Interpretation des Pianisten Jonathan Levin von PR-trivial pursuits





“Er ist so vielseitig, er wird Ihren Rasen mähen,” verkündigt lobend diese ausgelassene Konzertankündigung, die von dem sehr talentierten Pianisten Jonathan Levin erstellt wurde, den ich, nachdem ich diese sah, unbedingt treffen musste. Bedauerlicherweise schaffte ich es nicht zu seinem “sehr bedeutenden Konzert,” aber machte mir auf dem Internet ein Bild von seinem Spielen und glaube wirklich, dass dieser Absolvent der ‘Manhattan School of Music’ mehr Aufmerksamkeit, als er, wie er behauptet, verdient bekommt.  

 

Obwohl er bisher der Entdeckung durch Record Labels und Management entkommen ist, hat er – über die ausgezeichnete Klavierkunst hinaus – etwas sehr Brauchbares zu bieten: Bescheidenheit und zurückhaltenden Humor, der ihn auf dem Boden der Tatsachen lässt, und er hat ein äußerst ungekünsteltes Auftreten, während er untentwegt seine Träume verfolgt: Und das ist das Klavierspielen, Komponieren, Unterrichten... und er produziert in seiner Heimatstadt Clayton in North Carolina ein Klavierfestival, das sich nun seiner dritten Saison nähert. Damit das Festival an Schwung gewinnt, hat er soeben einen Dokumentarfilm fertiggestellt, der Jonathans Vision und die Ziele des Festivals beschreibt: klassische Musik für jedes Publikum zugänglich und erfahrbar zu machen.

“Ich denke die meisten Leute, egal ob sie regelmäßige Konzertbesucher sind oder nicht, nähern sich klassischer Musik mit etwas, das eher einer Befürchtung ähnelt, erklärt Jonathan.” Es gibt ein Gefühl, dass sie etwas nicht verstehen oder sich unangenehm fehl am Platz fühlen. Mein Ziel ist es, ihnen ein bisschen die Angst zu nehmen und ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass sie ‘mit dabei’ sind.”

Jeder der Auftritte des zweiwöchigen Piano-Festivals hat spezifische Themenstellungen und beinhaltet eine Erzählung der Auftretenden. Sie teilen ebenfalls ihre eigenen Gefühle über die Darbietung dieser Werke mit und beziehen dabei das Publikum mit ein, um so das ganze Gesamterlebnis zu verbessern.




“Es gibt keinen Druck, viel über Musik vorab wissen zu müssen… und das Publikum kann auf diesem Weg ein neues Lieblingsstück oder einen neuen Lieblingskomponisten entdecken. Live-Auftritte sind ein zentraler Bestandteil dieser Kunstform …das gemeinsame Erlebnis kann nicht anders als einfach magisch sein.”

 

Für weitere Informationen über das Clayton Piano Festival und Jonathan Levin



 

 

 

Wednesday, November 6, 2013

Jerome Rose – Visionär am Klavier

Dieser Artikel erschien im Original vom Autor, Ilona Oltuski, bei PianoNews Nov. 2013
Jerome Rose zu Hause
Fünfzehn Jahre schon eröffnet Jermone Rose das alljährliche International Keyboard Institute and Festival (IKIF) an der School of Music des Mannes College in New York mit seinem Klavierkonzert. Das zweiwöchige Festival, das Rose 1999 an seiner Alma Mater gründete, zelebriert das Piano mit Vorträgen, Meisterklassen und Darbietungen der Lehrenden, sowie zwei Gastspielserien.
Das ist selbst für New York eine Menge Klavier.
Das breitgefächerte Angebot und die Vielfalt der Ansätze und Annäherungen an das Klavier tragen zu einer offenen und zugleich sehr entspannten Atmosphäre bei und machen das Festival zu einem ganz besonderen Event. Die Verleihung des mit 10 000 Dollar dotierten Dorothy MacKenzie Competition - Preises, der dem Gewinner/der Gewinnerin einen Auftritt beim nächstjährigen Festival garantiert, ist ebenfalls Teil des Festivals. Der diesjährige Gewinner heisst Kho Woon Kim und kommt aus Korea.
“Um die enorme Menge an organisatorischen Aufgaben zu bewältigen, bedarf es wirklich zweier Elemente, die von ebenbürtiger Bedeutung sind: einer Quelle für das Konzept, und einer Kraft, die die Sache dann durchzieht”, sagt Rose, dessen Frau Julie Kedersha als geschäftsführende Direktorin des Festivals fungiert.
Für die Konzerte, mit denen Rose das Festival eröffnet und die von WFMT Chicago and NPR weltweit ausgestrahlt werden, vertieft er sich ganz in das Werk eines einzelnen Komponisten. Die Auswahl der jeweiligen Werke erscheint jeweils als Teil der “Jerome Rose plays: ‘featured composer’ Live in Concert”-Reihe, die er seit sieben Jahren auf seinem eigenen “Medici Classics” Label bei Yamaha Artists Services in New York aufnehmen lässt. Dieses Jahr hat sich Jerome Rose den Sonaten Beethovens verschrieben.
Doch mehr als das: zusätzlich zu seiner sehr persönlichen Einführung, in der er auch seinen Platz im Universum der Klaviergeschichte erklärt, liefert er auf der diesjährigen DVD eine “Waldstein” - Interpretation, die keinen Zweifel darüber zulässt, dass sich hier künstlerische Reife und persönliche Ausstrahlung zu einer ganz speziellen musikalischen Patina verbunden haben.
Auch das Gespräch mit dem inzwischen 75-jährigen Rose zeigt, dass dieser unternehmerische Pianist and Pädagoge weder an Energie noch an Visionen nachgelassen hat, sondern weitherhin unbeirrt seinen Weg geht, egal wie hoch der Einsatz und das Risiko auch sein mögen.


Jerome Rose am IKIF
Und wenn es denn wahr sein sollte, dass Pianisten - laut Rose’s Maxime -  so spielen wie sie sind – dann passt sein Ruf als einer der letzten Romantiker einfach perfekt. Und wie versteht er den Begriff  ‘Romantik’? “Am Abgrund spielen, so als hinge dein Leben davon ab”, erklärt Rose.
‘The Romantics’ ist auch der Name des Ersten Internationalen Festivals der Romantischen Bewegung in den Künsten”, das Rose 1981 ins Leben rief und das under der Schirmherrschaft von Prinzessin Alexandra in Londons Royal Festival Hall stattfand.
Rose war einer der ersten, der sich dem Trend einer neuen Gattung von interdisziplinären Festivals verschrieb, deren Mission es war, Theorie und Praxis – Lehre und Aufführungen - zusammen zu bringen. Er erinnert sich daran, wie es dazu kam, dass er sich dieser grossen Aufgabe stellte: “Man sagte mir, dass es nicht machbar sei, und das hat mich herausgefordert”, meint er. Schon damals setzte er sich unermüdlich dafür ein, seiner engen Verbundenheit mit den Komponisten, deren Kunst er während seiner gesamten Karriere studiert und gelebt hatte, eine breitere Perspektive zu verleihen.
In der Planungsphase des Festivals setzte Rose alles daran, dem Direktor des britischen Central Bureau for Educational Visits and Exchanges James Platt sein Konzept nahe zu bringen. Mit Erfolg: Platt liess sich überzeugen und unterstützte Rose. “Tief in meinem Herzen wusste ich, dass es machbar war”, sagt Platt, der auch den Vorsitz des Festivals übernahm.
Was natürlich auch half war, dass Rose ein wasserdichtes Budget vorlegte, in dem es keinerlei Spielraum gab.  Er wollte auf keinen Fall die Fehler, die er bei der Planung eines früheren Projektes fast ein Jahrzehnt vorher gemacht hatte wiederholen. Im Jahre 1973 hatte er das Konzept eines nationalen Festivals amerikanischer Symphonieorchester initiiert, deren Konzerte international übertragen werden sollten. Obwohl er den Gewinner des Emmy-Awards und bekannten Produzenten Curtis Davis sowie Channel 13 bereits auf seiner Seite hatte und namhafte Orchester ihre Unterstützung zusagten, scheiterte das Projekt letztendlich an politischen Divergenzen und Interessenskonflikten. “Wer war ich schon, um zu sagen, wie es gehalten werden sollte’, sagt Rose nicht ohne kritischen Unterton.





Unbeeindruckt machte Rose trotzdem weiter, zu stark war sein  Bedürfnis, Musikkultur in einem breiteren Zusammenhang zu präsentieren. “Es wird einem klar, dass alle grossen Komponisten sehr kultivierte Individuen waren: Pianist zu sein durchdringt alles”, sagt er, und kommentiert damit auch sein eigenes Leben.
Ein Schubert und Brahms Festival in der Library of Congress in Washington, D.C. und ein umfassendes Liszt-Fest im Jahre 1986 folgten.

Jerome Rose und Rudolf Serkin beim Marlboro Festival (mit freundlicher Genehmigung des Künstlers)

Wenn Rose über die Einflüsse auf seine Entwicklung als Musiker und Pädagoge spricht, zitiert er immer wieder Marlboro Music, das alljährliche Festival im US-Bundesstaat Vermont. Im Einklang mit der Mission des Festivals, künstlerische Qualität und neue Talente zusammen zu bringen, schaffte Marlboro einen Rahmen, der es vielversprechenden jungen Musikern erlaubte, mit renommierten Künstlern gemeinsam zu proben, zu musizieren und aufzutreten.
“Ich kam 1956 von Rudolf Serkin und Leonard Shure betreut, nach Marlboro”, erzählt Rose. Das Festival veränderte meine ganze Sicht darauf, was es bedeutet, Künstler und Musiker sowie Fürsprecher der Künste zu sein. Nie habe ich mich derart inspiriert gefühlt als hier.”
Zusammen lernen und auftreten – das entspricht genau dem Ansatz, den Rose im Rahmen seiner lebenslangen Karriere als Pianist schon immer verfolgt.
Der hohe Standard musikalischen Könnens und die Unterschiedlichkeit seiner aussergewöhnlich gebildeten Künstlerkollegen motivierte Rose dazu, das Feuer weiter zu tragen: “Mit den grössten Talenten unserer Zeit an einem Ort zu sein – mit James Levine, Van Cliburn, Claude Frank, Alexander Schneider [Budapest Quartet], und so vielen anderen … und dann die Aufführung von ‘Cosi fan Tutte’ in der Marlboro Cafeteria … die ganze Kameradschaft … das war schon alles sehr aufregend”, schwärmt Rose. Und so nimmt es denn auch nicht Wunder, dass er beim Marlboro-Festival ein fast schon kathartisches Erlebnis hatte, welches ihm aufzeigte, dass die Liebe zur Musik auch eine transzendente Dimension hat - eine Erfahrung, die er vor allem an die jüngere Generation weitergeben möchte. Über die kulturelle Wirkung der von ihm organisierten Festivals hinaus hat er das nicht zuletzt auch durch seine Arbeit als Pädagoge geschafft.

Als Beispiel seines pädagogischen Ansatzes mag seine Arbeit mit der  polnischen Pianistin Magdalena Stern-Baczeswska gelten. Rose traf Stern-Baczeswska 1996 in einer Meisterklasse in Warschau. Die Pianistin beschreibt ihren Lehrer, der 1961 die Goldmedaille des internationalen Busoni Wettbewerbs gewann, als unschätzbaren Mentor und Vaterfigur: “Die Zeit, die ich mit Herrn Rose am Klavier verbrachte gehört zu einer meiner lebhaftesten Erinnerungen. Er hat mir vor allem geholfen, meine Identität als Künstlerin zu finden, und meine Persönlichkeit und emotionale Bandbreite zu entwickeln.”
Und über die Methodologie ihres Lehrers sagt sie: “Jede Unterrichtsstunde war anders; so interpretierte er die Art, wie wir spielten, und wusste genau, was uns beschäftigte. Manchmal gab es auch eine lange Diskussion über ein scheinbar völlig anderes Thema; ein andermal sass er einfach nur am Klavier und begann zu spielen, ohne ein Wort zu verlieren. Durch ihn habe ich eine wichtige Sache gelernt: dem Publikum ist die Musik nur so wichtig, wie sie es für dich ist.”
Besonders beeindruckend fand Stern-Baczeswska ihre Erfahrungen mit Performer Jerome Rose: “Wenn er spielte, schien es, als ob Musik das Einzige auf der Welt wäre, das zählt. Und obwohl er einschüchternd wirken kann, ist er gleichzeitig der bescheidenste Mensch, wenn es um Musik
geht. Bei seinem Debut im Salle Cortot in Paris zum Beispiel bat er mich, an seiner Generalprobe teilzunehmen. Ich sollte ihn darauf aufmerksam machen, wenn er zu schnell spielte. Wenn es für die Musik von Bedeutung war, wurde der Meister zum Studenten.”
Stern-Baczeswska meint,  “… es gibt viele Pianisten, deren Finger nie danebengreifen, und deren musikalisches Gedächtnis sie nie im Stich lässt. Trotzdem – man verlässt den Konzertsaal und fühlt eine innere Leere … Doch bei den Konzerten von Herrn Rose gibt es immer wieder unvergessliche Momente. Jerome Rose spielt sich eben selbst.”

Seine internationale Karriere startete der im US-Bundesstaat Iowa geborene und in San Francisco aufgewachsene Rose mit Anfang Zwanzig. Als seine Karriere dann durch den Einberufungsbefehl während der Kuba-Krise im Oktober 1962 abrupt unterbrochen wurde, war er bereits in vielen bedeutenden Konzerthäusern der Welt aufgetreten. Dank der Aufschiebung seines Wehrdienstes aus Ausbildungsgründen konnte er jedoch als ‘artist-in-residence’ an der Bowling Green State University in Ohio bleiben, was es ihm ermöglichte, jeweils drei Wochen lang aufzutreten und Meisterklassen zu geben.
Noch heute denkt Rose über seine damalige Entscheidung gegen intensive Konzertreisen nach: “Ich habe mich oft gefragt, ob ich mir aus schierem Sicherungsdenken etwas Wichtiges versagt habe, oder ob ich eine kluge Entscheidung traf. Ich habe geheiratet, wir hatten vier Kinder, und ich hatte eine Stelle an einer Universität mit all den Leistungen, die so eine Position mit sich bringt. Jeder Performer weiss, das wir alle Opfer unserer eigenen Standards sind, und auch Opfer der Erwartungen, die die Öffentlichkeit und wir selbst an uns stellen. Für mich waren die Unsicherheiten einer Karriere als Pianist und die Abhängigkeit von Kritikern, Managern und Dirigenten nicht der richtige Weg.”

Interview mit David Dubal am IKIF, New York
Aber vielleicht ist er auch ein zu kontaktfreudiger Mensch, um sich ausschliesslich auf lange Proben und ständige öffentliche Auftritte zu beschränken. “Es ist mein Job, viele Menschen zu kennen,” sagt er. Und eines ist sicher: Er hat in seiner langen Karriere die Leben vieler Menschen berührt, und viele andere hat er mit seiner grenzenlosen Begeisterung für klassische Musik inspiriert -  sei es durch seine Präsentationen oder seine Auftritte.

Bonnie Barret (Yamaha Artist Services)
Bonnie Barret, New Yorker Direktorin der Yamaha Artist Services, sagt zum Beispiel: “Ich bin wegen ihm zu Yamaha gekommen.” Barret, die zuvor für Steinway und danach für eine Künstleragentur gearbeitet hatte, erlebte Rose bei einem Schubert-Konzert am IKIF, und war von seiner Ausstrahlung begeistert. Rose hatte an dem Abend auf einem Yamaha CFX-Modell, das gerade auf den Markt gekommen war, gespielt. “Auf jedem Sitz lag eine Broschüre, und ich wurde neugierig”, meint sie. “Ich habe das neue Klavier recherchiert und dann Yamaha angerufen, um der Firma meine Dienste anzubieten.”
Für seine DVD-Aufnahmen bei Yamaha Artists Services spielt Rose seit 2007 auf dem Vorgängermodell des Yamaha CFX (dem Yamaha CF3), und seit 2011 ausschliesslich auf dem gegenwärtigen Topmodel, CFX. Mit dieser visuellen Komponente bereichert er bereits bestehende Aufnahmen, die er bei Monarch Classics, Sony, Newport Classics und Vox auf CD gemacht hat. Für seine Liszt-Aufnahmen bei Vox wurde ihm der Grand Prix du Disque verliehen.
“Mir geht es um die Tradition der grossen Meister und um die Bedeutung dieser Aufführungen,” sagt Rose. “Ich möchte aufnehmen, woran ich wirklich glaube”.
Diese Einstellung ist vielleicht auch der Grund, warum Jerome Rose nicht nur seine Ideen in Sachen klassischer Musik im weitesten Sinne durchsetzen konnte, sondern auch dafür, dass er selbst herkömmliche Definitionen einer Karriere am Klavier weit hinter sich gelassen hat.
Pianists Marc-André Hamelin, Jerome Rose

Thursday, October 31, 2013

‘Peoples Symphony’ Konzerte –Frank Salomons Musikoffenbarung für das Volk



’Town Hall’
Für die ‘Peoples Symphony’ Konzerte wird nicht wirklich geworben und dennoch sind die Veranstaltungsreihen an den beiden Spielstätten, tagsüber die ‘New York City Town Hall’ und am Abend die ‘Washington Irving High School’ dank ihres begeisterten und treuen Publikums, das diese weitgehend durch Abonnements unterstützt, normalerweise ausverkauft.
Angeregt durch die Lehren, durch den intimen Kontakt mit den Großen in der Welt klassischer Musik erlernt, ist es die anhaltende Aufgabe von Impresario Frank Salomon, diese großen Werte jedem Publikum zugänglich zu machen, wie er sagt: “im guten alten sozialistischen Geiste.” Die Idee, es jedem recht zu machen, der sich nach großartigen Konzerten sehnt, unabhängig wie hoch auch das Einkommen sein mag, ist die Botschaft, der Konzerte der ‘Peoples Symphony’ seit ihrer Gründung im Jahre 1913.
Das Zielpublikum ist gleichermaßen jung und alt und die Vorstellungen zielen besonders auf Musikliebhaber mit einem geringen Einkommen ab, die das Privileg zu schätzen wissen, eine hervorragende Auswahl von Künstlern zu hören, unter ihnen Superstars der klassischen Musikszene, die alles möglich machen, indem sie nur für den Bruchteil des gewöhnlichen Honorars auftreten.
Es ist das ethische Prinzip, das es allen möglich sein sollte, aus ihrer kulturellen Wertschätzung Nutzen zu ziehen, die es dieser sehr etablierten Reihe erlaubt hat, zu bestehen. Klassische Musik wird oft dafür kritisert, nur seinem elitärem Establishment zu gehören, aber dieses Brandmal gilt mit Sicherheit nicht für die ‘Peoples Symphony’ Konzerte.

Die Konzerte werden in drei verschiedenen Reihen vorgestellt’.  Die Arens und Mann Reihe finden an der ‘Washington Irving High School’ und die Festival Reihe findet Sonntag nachmittags in der historischen ‘Town Hall’ statt, einem Saal, in dem Isaac Stern, Janet Baker und viele andere großartige Künstler ihre New York Debüt Auftritte hatten. Die zwei Reihen am Samstag Abend, die nach Franz Arens, dem ursprünglichen Gründer der ‘Peoples Symphony’ Konzerte und nach Joseph Mann, der 59 Jahre lang der Organisation als Manager diente, benannt worden sind, haben so legendäre Künstler wie Claudio Arrau, Gina Bachauer, Josef Szigeti und Isaac Stern vorgestellt. Nach seinem Tod im Jahre 1973 wurde Frank Salomon der Manager der ‘Peoples Symphony’ Konzerte.
Als die Reihe im Jahre 1900 ihren Anfang hatte, fanden die Konzerte im alten Saal der ‘Cooper Union’ statt.” Diese Konzerte wurden von Gönnern wie Nora Godwin, Henry Clay Frick, William K. Vanderbuilt, Mrs. Otto Kahn und Solomon und Danile Guggenheim gesponsert. Der erste Vorsitzende der ‘Peoples Symphony’ war Severo Mallet-Prevost. Im Jahre 1918 wurde das Orchester, das der Reihe seinen Namen gegeben hatte, aus Kostengründen in den Ruhestand versetzt und nur die Kammerkonzerte und die Solo Konzert Programme wurden fortgeführt. In den Siebziger Jahren wurde die Festival Reihe von der ‘Washington Irving High School’ an Samstag Abenden in die ‘Town Hall’ an Sonntag Nachmittagen verlegt, um Familien und den Mitgliedern des Publikums entgegenzukommen, denen es unmöglich war, abends auszugehen.
Bei den Konzerten der ‘Peoples Symphony’ kosten die Eintrittskarten jeweils 13 Dollar, aber bei sowohl der Arens als auch der Mann Reihe’, werden die Eintrittskarten für jeweils eine Reihe von sechs Konzerten für einen Preis von 37 Dollar verkauft, und bei den Festival Reihen für 39-59 Dollar.  Für diese geringe Gebühr bekommt man bei vielen anderen Konzerten gerade mal eine Eintrittskarte, also ist das Abonnement für die Stammgäste seinen Preis wert, selbst dann, wenn ein oder zwei Auftrittstermine verpasst werden. Wenn das passiert oder ein Abonnent sein Abonnement kündigt, mag ein begeisterter Kunde in der letzten Minute das Glück zusätzlicher Verfügbarkeit haben. “Oft erfahren wir einen Ansturm auf die Stehplätze,“ meint Salomon während unseres Interviews in seinem bescheidenen Geschäftsführungsbüro, dem Ort von ‘Frank Salomon and Associates’ im siebten Stock des unscheinbaren Gebäudes in der West 27th Street. Ein kleiner Konferenztisch, der von wenigen Arbeitsbereichen für Büromitarbeiter umgeben ist, scheint an Größe zu gewinnen, als sich Salomon vorstellt, sich hinsetzt und damit beginnt, einige seiner Anekdoten kundzutun, indem er eine Erzählung spinnt, die mit vielen Namen großartiger Musiker gespickt ist, mit denen er während seiner langwährenden Karriere in Berührung kam und ihm viele Türen geöffnet haben. Ohne sein großes Talent, seine Freunde hinter den Kulissen mit den Auftritten der Künstler auf der Bühne in Verbindung zu bringen, wäre die moderne Geschichte der ‘Peoples Symphony’ Konzerte unvorstellbar. Die Künstler in Salomons Leben sind unumstößlich mit seiner Vision für die Reihe verbunden, die eine der wenigen ist, die die Wichtigkeit, Musikprogramme günstig und zugänglich zu machen, befürwortet.
Salomon ruft die festen Wurzeln in Erinnerung, die seine Eltern im Bereich deutscher Hochschulen und der Medizin hatten, bevor sie sich 1935 auf Ellis Island ankommend als jüdische Immigranten wiederfanden. Gefühlsgeladen beschreibt er, wie hart es für sie war, ihr Leben im amerikanischen Exil wiederaufzubauen, nachdem der Vater, ein gelehrter Soziologe und ein Opfer von Kinderlähmung, von dem Mitbegründer und Präsidenten Alvin Johnson engagiert worden war, der neu gegründeten Graduierten Fakultät an der ‘New School’ in New York beizutreten. Seine Mutter war Ärztin, aber praktizierte nicht in den USA und seine Großtante Alice Salomon gründete in Berlin die nun ‘Alice Salomon University’ genannte Lehreinrichtung für Sozialarbeit, von der angenommen wird, die erste in der Welt zu sein.  Salomon erinnert sich, als Fünfjähriger an einem Abendessen ihr zu Ehren, in einem der großen New Yorker Hotels teilzuhaben, und sich den ganzen Abend zu fragen, ob er eine der amerikanischen Fähnchenen, die als Tischdekoration dienten, mit nach Hause zu nehmen dürfe.  Nach all den Ansprachen wurde er aufmerksam, als drei Musikerfreunde seiner Großtante hervortraten, um zu spielen - das Busch-Serkin Trio.  Wer hätte ahnen können, dass achtzehn Jahre später der kleine Junge eine mehr als dreißig-jährige Beziehung zu Rudolf Serkin und eine noch immer andauernde, mehr als fünfzigjährige Beziehung mit der ‘Marlboro Music School’ und dem Festival in Vermont aufbauen würde und sein Leben verändern würde. Er beschreibt die Weltanschauung seiner Eltern und ein Milieu in dem Kultur im Allgemeinen, und Musik und Theater im Besonderen eine lebhafte Rolle spielten, was die Richtung für sein späteres Mitwirken bei der darstellenden Kunst tonangebend war.
Salomon ist nicht selbst ein Musiker, sieht man von einem kurzen Beitag als Mitglied des ‘Interracial Fellowship Chorus’ ab, während er seinen Studienabschluss am College der New York University absolvierte. Er hatte aber immer die Gabe, Konzertveranstaltungen zu organisieren. Er arrangierte Interviews für den Dirigenten des Chors und Besprechungen ihrer Konzerte mit der New York Times und dem Radiosender WQXR und er half dabei, die Auftritte des Chors zu arrangieren und schmiedete so schon früh eine Verbindung zum Veranstaltungsort ‘Town Hall’.
Dennoch, nach seinem Reservistenprogramm bei der Nationalgarde im Alter von 22 Jahren war Salomon sich noch unsicher, welchen Weg er einschlagen sollte. Es war 1959 und Eva Simons, die Ehefrau des Präsidenten der ‘New School’ Hans Simons hatte damit begonnen, dort mit Alexander Schneider, dem energetischen Virtuoso Violinisten des berühmten Budapest Quartetts und einer aktiven Kraft in der klassischen Musikwelt, eine Konzertreihe zu beginnen. “Schneider wollte 1 Dollar pro Eintrittskarte,” erinnert sich Salomon. Schneider war auch eine Hauptfigur beim Marlboro Festival und als Mrs. Simons dort im Jahre 1958 als Freiwillige mithalf, konnten sie beide Rudolf Serkin davon überzeugen, einem Auftritt bei einem Benefiz-Konzert für die beiden Organisationen zuzustimmen. Salomon wurde angestellt, um die Veranstaltung zu organisieren und für diese zu werben. “Es gab so einen zu großen Zulauf an Zuschauern für Schneiders reguläre Konzerte für 1 Dollar, so dass zwei Auftritte anberaumt werden mussten – eines fand um 3 Uhr, das andere um 9 Uhr statt. Schwer vorstellbar, Serkin hatte zugestimmt, sein immenses Programm – die Waldstein und die letzten drei Beethoven Sonaten zweimal am Tag zu spielen!” Salomon ist noch jetzt darüber erstaunt. Dieses bemerkenswerte Benefiz-Konzert am 17. Mai 1959, stellate ausserdem eine Ausnahme hinsichtlich des üblichen 1 Dolloar pro Eintrittskarte Grundsatzes dar, und brachte dadurch sowohl der New School als auch dem Marlboro Festival einen erheblichen Profit ein.  Es kennzeichnete ebenso Solomons offiziellen Einstieg in das Musikgeschäft.

                                                                                                                                 Foto:@getclassical - Frank Salomon
Nachdem er Rudolf Serkin von Mrs. Simon vorgestellt worden war, begann Salomon im folgenden Jahr bei Marlboro als Teilzeitkraft neben Fagottist Anthony Checchia, der die schnell anwachsende Verwaltung von Marlboro übernommen hatte. Marlboro wurde zu viel mehr als nur einem Job, war es doch zugleich ein Kennzeichen Salomons Zugehörigkeit und lebenslangen Verpflichtung einer Wahlfamilie gegenüber und seiner unablässlichen Begeisterung.
Heute arbeitet Salomon immer noch eng mit Anthony Checchia zusammen, den er als einen teuren Freund beschreibt: “Ich mache Witze, dass wir miteinander sogar länger als mit unseren Ehepartnern verheiratet sind, die wir beide bei Marlboro kennengelernt haben.” Salomon beschreibt mit großer Bewunderung Marlboro zu Zeiten seines Gründungsveteranen Rudolf Serkin. “Er hatte Intuition und eine großartige Vision,” meint er. Als wir das sechzigjährige Jubiläum von Marlboro feierten, wurde mir klar, dass die Art und Weise, wie man sich hier mit Musik befasst, ebenso mit den Lehren des Lebens selbst als auch mit den Musiklehren zu tun hat.“ Zusammen Kammermusik zu spielen, erfordert von einem nicht nur, seinen eigenen Anteil zu kennen, sondern die gesamte Partitur. Man muss zuhören lernen – und lernen, Kompromisse zu schließen. Man muss in der Lage sein, viele Stimmen zu einer zu bündeln, um die Vision des Komponisten wahrhaftig rüberzubringen. Man hat die Chance, die Musik ständig neu zu entdecken und damit einher geht ebenso viel Selbstfindung. “
Salomon erklärt die einzigartige Situation, die Marlboro bietet, unterscheidet dessen Atmosphäre von der üblichen Eile und dem Mangel an Zeit für Proben an anderen Orten und erklärt, wie es ein ruhige, großartige Umgebung darstellt, in der es den Künstlern möglich ist, die Musik intensiver zu erkunden. “Manchmal arbeiten die Musiker die gesamten sieben Wochen an einem Stück und man entdeckt vieles mehr als nur die Noten und die notwendigen Techniken, das Stück zu meistern. Es geht wahrhaftig um die Musik und deren Menschlichkeit und soweit ich weiß, findet das bei keiner anderen Einrichtung eine Entsprechung, auf der gleichen Ebene.”
Ein weiterer menschlicher Aspekt von Marlboro, der es so vielen nah ans Herz legt, ist das Gefühl, einer größeren Familie anzugehören, die man erlebt, wenn man das Festival besucht. “Serkin selbst hatte sechs Kinder und seinen Famile verhalf zu einem Gefühl dieser erweiterten Gross-Familie. Eines der großartigen Momente für jeden ist das Zusammensein im Speisesaal, wo viele Generationen ihre Mahlzeit miteinander teilen und miteinander ins Gespräch kommen. Und dann gibt es natürlich die Idee, die von Marlboro ihren Ausgang nahm, dass junge Künstler mit dem Meister zusammenspielen sollen, statt von ihm betreut zu werden  - wie ein Lehrling im Mittelalter - das Lernen durch diePraxis, wird hier noch praktiziert.” Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, das dieses einen Austausch schafft, der wirklich begeistern kann und das sich hier eine neue Generation selbstbewusster und kreativer Auftrittskünstler entwickeln kann.
                                                                                                                                                                                                                   Foto:@getclassical - Frank Salomon
Im Jahre 1964 führte eine Sache zur anderen und Salomon begann mit seiner eigenen Management Firma, deren Liste von Pianisten allein schon Meister wie Leon Fleisher und Richard Goode umfasst. “Alle Einflüsse in meinem Leben kamen zusammen und die Tatsache, dass ich alle die fantastischen Talente durch Marlboro kannte, half mir enorm dabei, ein besserer Manager und Verwalter zu werden.”
“Alexander Schneider nun, der als Mitglied des Budapest Quartetts bei der ‘Peoples Symphony’ aufgetreten war freundete sich mit Joseph Mann, meinem Vorgänger bei der ‘Peoples Symphony’ an. Mann kam zur Schneider Konzert Reihe und wir lernten uns so kennen.
Er lud Schneider jedes Jahr dazu ein, mit Künstlern seiner Wahl zu kommen, einschließlich von Pianisten wie Peter Serkin, Rudolf Serkins Sohn, und Murray Perahia, neben anderen Marlboro Musikern.  Als ihn seine Gesundheit im Stich ließ, bat mich Mann, nach einer kurzen Zusammenarbeit in der Saison 1972-1973 darum seine Nachfolge anzutreten. Wir arbeiteten bis zu seinem Tode im Jahre 1973 zusammen.” 
Salomon entwickelte eine wahre Leidenschaft und die ‘Nase’ dafür, wirkliche Talente zu entdecken. Etwas   was er als eine ‘periphere Sicht’ bezeichnet. Als solches Talent schätzt er etwa Künstler ein, die mit ganzem Herzen die Absichten des Komponisten kommunizieren können und dadurch die Fähigkeit besitzen, andere zu bewegen, ohne sich selbst in den Vordergrund zu stellen.
Schneider selbst war von der Geschäftsseite des Musikgeschäfts enttäuscht und wollte es als eine Leidenschaft erhalten wissen. Gelegenheit brachte die vielen verschiedenen Rollen die Salomon, als Manager, Verwalter und Produzent vereinte, unter einen Hut. In seinem Fall vereinigt sich sein Wunsch durch Musik einen Unterschied im Leben der Leute auszumachen auf einer kleinen Visitenkarte. Er bringt eine großer Reichweite an weltbekannten Künstlern mit sich, die ebenso das Massenpublikum als auch das Nachwuchstalent anziehen; und er agiert mit voller Kraft sowohl bei Marlboro, bei ‘New School’ Konzerten (der ehemaligen Schneider Konzertreihe) und bei den ‘Peoples Symphony’ Konzerten.


Der neu renovierte ‘Washington Irving High School’ Konzertsaal - Foto:@getclassical
“Unser Publikum ist begeistert und Künstler genießen es hier, fast jedes Mal vor einer Menge von 1300-1400 Zuschauern aufzutreten. Es ist Dank dieser großartigen Künstler, die uns helfen, die Eintrittskarten zu verkaufen und das Publikum anzulocken und es uns möglich machen, auch junge und weniger namhafte Künstler vorzustellen. Wer möchte nicht Radu Lupu bei seinem einzigen New Yorker Konzert in diesem Jahr, in der ‘Town Hall’ hören? Es funktioniert dank dieser großartigen Künstler, die die ‘Peoples Symphony‘ Konzerte finanzieren, indem sie minimale Gebühren akzeptieren…weil sie an unsere Mission glauben: an den Wert großartige Musik zu erschwinglichen Preisen zu präsentieren,” meint Salomon.
Salomons Verständnis der unterschiedlichen Bedürfnisse und Vorlieben seines Publikums machen kein Halt vor dem Portemonnaie: Die Sitzplätze in der ‘Irving High School’ sind nicht reserviert, so dass man zusammensitzen kann, selbst dann, wenn man in letzter Minute kommt. Die Sitze in der ‘Town Hall ‘sind dagegen gepolstert und reserviert und sind auf ein Publikum zugeschnitten, das den Nachmittag vorzieht,” bemerkt Salomon.
Salomon liebt seine großen Namen, die meisten von ihnen alte Freunde, aber letztendlich geht es bei den Konzerten der ‘Peoples Symphony’ ebenso um die jungen Künstler, die sich noch einen Namen machen müssen, wie um die Großen.  Salomon ist darauf unglaublich stolz: “Die Leute kaufen ihre Eintrittskarten wegen der Namen, die sie kennen – aber sind dann oft überrascht, wenn sie neues Talent hören und die Vorstellung ebenso oder noch mehr genießen. Es liegt etwas Aufregendes in der Luft – die Vorstellung von etwas Neuem.”  Eines dieser aufstrebenden Talente, die bemerkenswert sind, ist das ‘Israeli Chamber Project’. Das junge Ensemble wird 2014 in der ‘Town Hall’ auftreten.
Mitglieder des Publikums haben der ‘Peoples Symphony’ großartige Dinge zugeschrieben. “Eine Frau im Publikum, die vor kurzem ihren Ehemann verloren hatte, schrieb: “Ihr, die Leute mit den wunderbaren Konzerten, die ich besuchen kann, ihr haltet mich am Leben” teilt Salomon mit und strahlt dabei ein bisschen.  In der Tat eine wertvolle Kritik und eine Anregung, das nächste Konzert zu planen!  Foto:@getclassical - Bühne der ‘Washington Irving High School’

Wednesday, October 30, 2013

Wagners Juden – Ein Dokumentarfilm von Hilan Warshaw

Richard Wagners zweihundertster Geburtstag in diesem Jahr war und ist Gegenstand einer ganzen Reihe kultureller Aktivitäten. Einer der interessantesten Beiträge ist Hilan Warshaws Dokumentarfilm “Wagners Juden”. Overtonefilms
Die Wagner Society of New York präsentierte den 55-minütigen Film kürzlich am Barnard College der renommierten Columbia University in New York. Hauptgegenstand des Films sind Wagners Beziehungen zu den jüdischen Mitgliedern seines Kreises. Der Dokumentarfilm wurde in Deutschland, Italien und der Schweiz gedreht und stellt jüdische Künstler vor, die zu leidenschaftlichen Anhängern des Komponisten wurden, und eine kritische Rolle für dessen Erfolg spielten.
 
Es mag überraschen, dass Wagner sich mit jüdischen Künstlern und Freunden umgab, hatte er doch durch die Veröffentlichung seiner zutiefst antisemitischen Schrift unter dem Titel “Das Judenthum in der Musik” keinerlei Zweifel daran aufkommen lassen, wie sehr er die Juden verachtete. Filmautor Warshaw erläutert, dass es jenseits der Betroffenheit seiner jüdischen Anhänger und Unterstützer über die Schrift genau dieser Antisemitismus war, der oftmals zu einer geradezu pervertierten gegenseitigen Abhängigkeit zwischen Wagner und seinen jüdischen Freunden führte. Es besteht wenig Zweifel darüber, dass Wagner die tiefstliegendsten Verletzlichkeiten seiner jüdischen Freunde ins Visier nahm. “Wagner umgab sich nicht mit Juden, obwohl sie Juden waren, sondern weil sie Juden waren”, sagt Warshaw. Und er fährt fort: “Wissenschaftler, die Wagners intensiven Antisemitismus angesichts seines Umgangs mit Juden in Frage stellen, übersehen viele der Nuancen dieser sehr speziellen Beziehungen. Der Angstfaktor motivierte die Psyche des deutschen Judentums, das gerade erst seine politische Unabhängigkeit gewonnen hatte, und seine kulturelle Gleichstellung erst noch unter Beweis stellen musste; dies zu einer Zeit, in der sich der Antisemitismus verschärfte. Wagner nutzte den Eifer der Juden, sich zu beweisen, schamlos aus, und ‘erlaubte seinen Juden’, sich selbstlos für seine Interessen einzusetzen. So durften sie Partituren kopieren und Gelder beschaffen, und somit ihren Beitrag zur deutschen Kultur leisten.”
Viele junge jüdische Musiker wurden zu glühenden Anhängern Richard Wagners, und trugen nicht nur zur Verbreitung seines Werkes bei, sondern sorgten auch dafür, dass die finanzielle Grundlage seines Schaffens gesichert war.
Unter ihnen waren Künstler wie der hochbegabte junge Pianist und Komponist Carl Tausig, sowie der Orchesterdirigent und Komponist Hermann Levi, Sohn eines Rabbi, der seinen Vater dazu drängte, Mitglied der Wagner-Gesellschaft zu werden. Levi widersetzte sich jedoch Wagners Forderung, zum Christentum überzutreten, und drohte, dessen Mission nicht länger zu unterstützen. Der Bariton und Theaterintendant Angelo Neumann machte sich europaweit mit Wagnerinszenierungen einen Namen, und der junge Joseph Rubinstein, viele Jahre lang Teil der Familie Wagner, nahm sich nach Wagners Tod das Leben.
Stellungnahmen heutiger Künstler zu Wagners Antisemitismus fallen oft differenziert aus. So meint der jüdische Star-Pianist Evgeny Kissin in Christopher Nupens Holocaust-Film “We Want the Light” (2004), dass “… ein Talent oder Genie und dessen Persönlichkeitsmerkmale  einfach nicht dasselbe [sind].” Und Zubin Mehta, Dirigent des Israel Philharmonic Orchestra, gibt zu bedenken, dass ein Verzicht auf Wagner - Wegbereiter von Komponisten wie Bruckner, Mahler und Schönberg - dem Genuss von Früchten eines Baums, dessen Wurzeln man ignoriert, gleichzusetzen ist. (ebenfalls in Nupens “We Want the Light”). Andererseits respektiert Mehta die Gefühle der Generation von Überlebenden des Holocaust.
Warshaw sagt, dass ihm der Film die Möglichkeit bot, seine eigene Ambivalenz Wagner gegenüber zu erkunden. Gross geworden ist er in einer Musikerfamilie, in der dem jungen Hilan eine Begegnung mit der Musik Wagners verwehrt blieb; erst seine Musikstudien in Violine und Komposition gaben ihm die Gelegenheit, sich mit Wagners Werk auseinanderzusetzen. “Es gab derart viele Assoziationen zu Wagner, die mit den Verlusten meiner Familie und den Tragödien der Nazi-Zeit zusammen hingen, und darum wurde das Radio bei Wagner ausgemacht. Als ich dann die Möglichkeit hatte, Wagners Musik zu studieren und zu spielen, fand ich sein Werk sehr markant, ja geradezu elektrisierend. Und als ich anfing, Filme zu machen, wurde mir klar, dass Wagner, was die Verbindung zwischen Musik und Film angeht, eine sehr prägende Gestalt war. Frühe Filmkomponisten wie Erich Korngold und Max Steiner, (“Gone with the Wind”) haben auf Wagners Leitmotiven und seiner unendlichen Melodie aufgebaut.”
Sein formales Musikstudium gab Warshaw eine emotionale Distanz zur Person Wagners, und er lernte, Wagners Kreativität zu schätzen.
“In gewisser Hinsicht denkt Wagner wie ein Filmkomponist”, sagt Warshaw. “Seine dramatische Vision ist eine Art Vorläufer der Filmkunst. Wagners Opern sind niederschmetternd für mich, und ich mache mir keine Illusionen darüber, dass sein Antisemitismus tief im Konzept seiner Kunst verankert ist. Das beunruhigt mich, und muss mich beunruhigen. Aber das ist der Preis, den ich für den Genuss seiner Musik zahle.”
Natürlich gab es auch andere Komponisten, die antisemitische Ansichten vertraten, wie Chopin. Wagner war in dieser Hinsicht jedoch schonungslos offen, und stellte ausserdem eine politische Figur dar.
Der Film thematisiert auch die Wagner-Politik Israels. Obwohl es keinen offiziellen politischen Kodex gibt, der Wagner-Aufführungen verbietet, ist es Musikern und Dirigenten wie Daniel Barenboim, Zubin Mehta und anderen bisher nicht gelungen, Wagners Werk weiten Kreisen von Israelis zugänglich zu machen; dies im Gegensatz zu israelischen Rundfunksendern, wo Wagners Musik oft  gespielt wird. Eine vehemente Opposition beruft sich auf grössere und übergreifende Themen, und es scheint, dass viele Israelis den Neinsagern das Wort erteilt haben.
Der Beginn dieses Konflikts reicht in das Jahr 1938 - das Jahr der Kristallnacht - zurück. Damals war eine Aufführung von Wagners Overture zu “Die Meistersinger von Nürnberg” des späteren Israel Philharmonic Orchestra abgebrochen worden; weitere Aufführungen wurden ebenfalls verhindert. Die Nürnberger Rassengesetze und die Erinnerungen an das gnadenlose Dröhnen von Wagner-Musik aus den Lautsprechern deutscher Konzentrationslager, von denen Überlebende des Holocaust berichteten, führten dazu, dass Wagner aus allen Konzertprogrammen gestrichen wurde…
Selbst die Tatsache, dass viele Wagner-Experten und aufführende Künstler sowie deren Fangemeinde Juden sind, und ein gewisser Jonathan Livny 2011 einen Wagner-Verband in Israel gründete, konnte den Aufschrei der Presse anlässlich der Bayreuth-Reise des Israel Chamber Orchestra unter Roberto Paternostro im Jahre 2011 in keinster Weise mindern.Interview Roberto Paternostro
 
Warshaws Film kann und will nicht alle Fragen zu diesem komplexen Thema beantworten. Der Film setzt jedoch eine Diskussion in Gang und gibt Musikliebhabern und anderen Interessierten Anstösse zu eigener Reflektion. “Das Ziel ist nicht, lediglich die Anklage oder die Verteidigung zu vertreten, sondern es geht um die Darstellung des gesamten Prozesses,” sagt Warshaw.
“Wagner’s Jews” wurde am 19. Mai auf ARTE gesendet; der WDR wiederholt den Film am 18. November 2013.
In den USA wurde der Film bisher an den Universitäten von Yale, Boston und Columbia, sowie am Simon Wiesenthal Center in New York gezeigt, in London am Barbican Centre und am London Jewish Cultural Centre.
In den USA wird der Film von First Run Features vertrieben.

Wagners Juden – Ein Dokumentarfilm von Hilan Warshaw


Richard Wagners zweihundertster Geburtstag in diesem Jahr war und ist Gegenstand einer ganzen Reihe kultureller Aktivitäten. Einer der interessantesten Beiträge ist Hilan Warshaws Dokumentarfilm “Wagners Juden”. Overtonsfilm
Die Wagner Society of New York präsentierte den 55-minütigen Film kürzlich am Barnard College der renommierten Columbia University in New York. Hauptgegenstand des Films sind Wagners Beziehungen zu den jüdischen Mitgliedern seines Kreises. Der Dokumentarfilm wurde in Deutschland, Italien und der Schweiz gedreht und stellt jüdische Künstler vor, die zu leidenschaftlichen Anhängern des Komponisten wurden, und eine kritische Rolle für dessen Erfolg spielten.
Es mag überraschen, dass Wagner sich mit jüdischen Künstlern und Freunden umgab, hatte er doch durch die Veröffentlichung seiner zutiefst antisemitischen Schrift unter dem Titel “Das Judenthum in der Musik” keinerlei Zweifel daran aufkommen lassen, wie sehr er die Juden verachtete. Filmautor Warshaw erläutert, dass es jenseits der Betroffenheit seiner jüdischen Anhänger und Unterstützer über die Schrift genau dieser Antisemitismus war, der oftmals zu einer geradezu pervertierten gegenseitigen Abhängigkeit zwischen Wagner und seinen jüdischen Freunden führte. Es besteht wenig Zweifel darüber, dass Wagner die tiefstliegendsten Verletzlichkeiten seiner jüdischen Freunde ins Visier nahm. “Wagner umgab sich nicht mit Juden, obwohl sie Juden waren, sondern weil sie Juden waren”, sagt Warshaw. Und er fährt fort: “Wissenschaftler, die Wagners intensiven Antisemitismus angesichts seines Umgangs mit Juden in Frage stellen, übersehen viele der Nuancen dieser sehr speziellen Beziehungen. Der Angstfaktor motivierte die Psyche des deutschen Judentums, das gerade erst seine politische Unabhängigkeit gewonnen hatte, und seine kulturelle Gleichstellung erst noch unter Beweis stellen musste; dies zu einer Zeit, in der sich der Antisemitismus verschärfte. Wagner nutzte den Eifer der Juden, sich zu beweisen, schamlos aus, und ‘erlaubte seinen Juden’, sich selbstlos für seine Interessen einzusetzen. So durften sie Partituren kopieren und Gelder beschaffen, und somit ihren Beitrag zur deutschen Kultur leisten.”
Viele junge jüdische Musiker wurden zu glühenden Anhängern Richard Wagners, und trugen nicht nur zur Verbreitung seines Werkes bei, sondern sorgten auch dafür, dass die finanzielle Grundlage seines Schaffens gesichert war.
Unter ihnen waren Künstler wie der hochbegabte junge Pianist und Komponist Carl Tausig, sowie der Orchesterdirigent und Komponist Hermann Levi, Sohn eines Rabbi, der seinen Vater dazu drängte, Mitglied der Wagner-Gesellschaft zu werden. Levi widersetzte sich jedoch Wagners Forderung, zum Christentum überzutreten, und drohte, dessen Mission nicht länger zu unterstützen. Der Bariton und Theaterintendant Angelo Neumann machte sich europaweit mit Wagnerinszenierungen einen Namen, und der junge Joseph Rubinstein, viele Jahre lang Teil der Familie Wagner, nahm sich nach Wagners Tod das Leben.
Stellungnahmen heutiger Künstler zu Wagners Antisemitismus fallen oft differenziert aus. So meint der jüdische Star-Pianist Evgeny Kissin in Christopher Nupens Holocaust-Film “We Want the Light” (2004), dass “… ein Talent oder Genie und dessen Persönlichkeitsmerkmale  einfach nicht dasselbe [sind].” Und Zubin Mehta, Dirigent des Israel Philharmonic Orchestra, gibt zu bedenken, dass ein Verzicht auf Wagner - Wegbereiter von Komponisten wie Bruckner, Mahler und Schönberg - dem Genuss von Früchten eines Baums, dessen Wurzeln man ignoriert, gleichzusetzen ist. (ebenfalls in Nupens “We Want the Light”). Andererseits respektiert Mehta die Gefühle der Generation von Überlebenden des Holocaust.
Warshaw sagt, dass ihm der Film die Möglichkeit bot, seine eigene Ambivalenz Wagner gegenüber zu erkunden. Gross geworden ist er in einer Musikerfamilie, in der dem jungen Hilan eine Begegnung mit der Musik Wagners verwehrt blieb; erst seine Musikstudien in Violine und Komposition gaben ihm die Gelegenheit, sich mit Wagners Werk auseinanderzusetzen. “Es gab derart viele Assoziationen zu Wagner, die mit den Verlusten meiner Familie und den Tragödien der Nazi-Zeit zusammen hingen, und darum wurde das Radio bei Wagner ausgemacht. Als ich dann die Möglichkeit hatte, Wagners Musik zu studieren und zu spielen, fand ich sein Werk sehr markant, ja geradezu elektrisierend. Und als ich anfing, Filme zu machen, wurde mir klar, dass Wagner, was die Verbindung zwischen Musik und Film angeht, eine sehr prägende Gestalt war. Frühe Filmkomponisten wie Erich Korngold und Max Steiner, (“Gone with the Wind”) haben auf Wagners Leitmotiven und seiner unendlichen Melodie aufgebaut.”
Sein formales Musikstudium gab Warshaw eine emotionale Distanz zur Person Wagners, und er lernte, Wagners Kreativität zu schätzen.
“In gewisser Hinsicht denkt Wagner wie ein Filmkomponist”, sagt Warshaw. “Seine dramatische Vision ist eine Art Vorläufer der Filmkunst. Wagners Opern sind niederschmetternd für mich, und ich mache mir keine Illusionen darüber, dass sein Antisemitismus tief im Konzept seiner Kunst verankert ist. Das beunruhigt mich, und muss mich beunruhigen. Aber das ist der Preis, den ich für den Genuss seiner Musik zahle.”
Natürlich gab es auch andere Komponisten, die antisemitische Ansichten vertraten, wie Chopin. Wagner war in dieser Hinsicht jedoch schonungslos offen, und stellte ausserdem eine politische Figur dar.
Der Film thematisiert auch die Wagner-Politik Israels. Obwohl es keinen offiziellen politischen Kodex gibt, der Wagner-Aufführungen verbietet, ist es Musikern und Dirigenten wie Daniel Barenboim, Zubin Mehta und anderen bisher nicht gelungen, Wagners Werk weiten Kreisen von Israelis zugänglich zu machen; dies im Gegensatz zu israelischen Rundfunksendern, wo Wagners Musik oft  gespielt wird. Eine vehemente Opposition beruft sich auf grössere und übergreifende Themen, und es scheint, dass viele Israelis den Neinsagern das Wort erteilt haben.
Der Beginn dieses Konflikts reicht in das Jahr 1938 - das Jahr der Kristallnacht - zurück. Damals war eine Aufführung von Wagners Overture zu “Die Meistersinger von Nürnberg” des späteren Israel Philharmonic Orchestra abgebrochen worden; weitere Aufführungen wurden ebenfalls verhindert. Die Nürnberger Rassengesetze und die Erinnerungen an das gnadenlose Dröhnen von Wagner-Musik aus den Lautsprechern deutscher Konzentrationslager, von denen Überlebende des Holocaust berichteten, führten dazu, dass Wagner aus allen Konzertprogrammen gestrichen wurde…
Selbst die Tatsache, dass viele Wagner-Experten und aufführende Künstler sowie deren Fangemeinde Juden sind, und ein gewisser Jonathan Livny 2011 einen Wagner-Verband in Israel gründete, konnte den Aufschrei der Presse anlässlich der Bayreuth-Reise des Israel Chamber Orchestra unter Roberto Paternostro im Jahre 2011 in keinster Weise mindern.Interview Roberto Paternostro
Warshaws Film kann und will nicht alle Fragen zu diesem komplexen Thema beantworten. Der Film setzt jedoch eine Diskussion in Gang und gibt Musikliebhabern und anderen Interessierten Anstösse zu eigener Reflektion. “Das Ziel ist nicht, lediglich die Anklage oder die Verteidigung zu vertreten, sondern es geht um die Darstellung des gesamten Prozesses,” sagt Warshaw.
“Wagner’s Jews” wurde am 19. Mai auf ARTE gesendet; der WDR wiederholt den Film am 18. November 2013.
In den USA wurde der Film bisher an den Universitäten von Yale, Boston und Columbia, sowie am Simon Wiesenthal Center in New York gezeigt, in London am Barbican Centre und am London Jewish Cultural Centre.
In den USA wird der Film von First Run Features vertrieben.