Tuesday, December 8, 2015

Kein Kinderspiel - Joey Alexander am Klavier

 Ab und zu werden wir einfach vom Hocker gerissen, vor allem dann, wenn wir es mit einem seltenen Ausnahmetalent wie dem erst 11-jährigen Jazz-Pianisten Joey Alexander zu tun haben. Für diesen Knirps scheinen die üblichen Regeln langjährig erworbener Meisterschaft einfach ausser Kraft gesetzt. Mit größter Selbstverständlichkeit setzt er sich ans Klavier und jammt mit den Besten seiner Zunft. Da kann man nur staunen und hoffen, dass das wunderbare Spiel des kleinen Künstlers nicht durch den Werbewirbel um ihn verdorben wird ...

Jazz-Pianist Joey Alexander - sein vollständiger Name ist Josiah Alexander Sila - wurde vor 11 Jahren in Denpasar auf Bali geboren. Er ist einer der neuesten musikalischen Entdeckungen, und einer der wenigen jungen Künstler, dessen einzigartige künstlerische Fertigkeit, verblüffende Intuition und außergewöhnliche musikalische Reife ihn von vielen anderen ‘Wunderkindern’ unterscheidet.

Sein Debut-Album „My Favorite Things“, seit Mai dieses Jahres unter dem Montéma-Label auf dem Markt, hat bereits jetzt die Spitze der Charts erobert und ihn zu einer Ikone gemacht.

Neben bekannten Jazz-Standards von Coltrane und Monk bis hin zu Rodgers und Hammerstein stellt das Album auch eine von Joeys bemerkenswerten eigenen Kompositionen vor.  Von Grammy-Gewinner Jason Olaine produziert und in Zusammenarbeit mit Musikern wie den Bassisten Larry Grenadier und Russell Hall, den Schlagzeugern Ulysses Owens Jr. und Sammy Miller sowie Trompeter Alphonso Horne aufgenommen, beweisen die Aufnahmen, dass Joey mit den Besten seines Fachs jammen kann, und mehr noch: er spielt bereits jetzt in seiner eigenen Liga.

Garantiert wird er sich bei seiner Europa-Tournee diesen Sommer und Herbst ein neues Publikum erschließen; im November stehen auch Auftritte in Deutschland auf dem Programm.

Joeys letztjähriges Konzert-Debut, vom New Yorker Lincoln Center live übertragen, hatte zu einer ganzen Reihe von Einladungen geführt, und ihm neben Auftritten im öffentlichen Fernsehen auch Interviews mit Star-Moderatoren wie Christina Amnapour beschert.
Die Spuren begeisterter Reaktionen lassen sich von YouTube über Facebook zur Titelseite der New York Times nachverfolgen und demonstrieren einen seltenen Konsens zwischen Musikern, Kritikern und Zuhörern.

Ebenfalls im letzten Jahr war Joey mit seiner Familie aus Jakarta in die USA umgezogen; Joeys älterer und bereits verheirateter Bruder, der Joey kürzlich zum Onkel machte, blieb in Indonesien zurück, und die beiden sehen sich nur noch bei Joeys Besuchen in der Heimat.

Joey lächelt, wenn er von seinem kleinen Neffen spricht, dem er vielleicht eines Tages Klavierstunden geben wird; er gefällt sich in seiner neuen Rolle als Onkel. Trotz der Tatsache, dass er sich mit sieben Jahren für das Klavier entschied und ihm danach wenig Zeit für Kinderspiele blieb, hat sich Joey seine sonnige und warme Natur behalten.

Bei seiner ersten Begegnung mit den Grundlagen des Klaviers im Alter von sechs Jahren spielte er spontan die Melodien der Jazz-Standards nach, die er auf den CDs seines Vaters gehört hatte, und bereits in Jahr später jammte er mit grossem Erfolg mit den verschiedensten Musikern. Joey betont immer wieder die Bedeutung dieser CDs für seine Entwicklung, fast als wollte er sein frühes Interesse an Jazz erklären.

“Ich mag viele Arten von Musik, vor allem alles, was mit Jazz zu tun hat, wie zum Beispiel Gospel-Musik”, sagt er. “Im Internet und auf YouTube ist alles einfach zugänglich.” Die neuen Medien haben mit dazu beigetragen, Joeys Musik populär zu machen.

Von der Unterstützung durch seinen Vater, einem Amateurmusiker, abgesehen, hat sich Joey viel selbst beigebracht, und er fand nach einer relativ kurzen Ausbildung in klassischer Musik schon sehr bald seine Stimme in der Welt des Jazz.
Die UNESCO lud den gerade einmal Achtjährigen ein, im Rahmen von Herbie Hancocks Indonesien-Tournee für den Meister zu spielen; Hancocks Begeisterung für das Talent des Jungen verlieh Joeys Ambitionen Flügel.  Mit zehn dann trat er bei Jazz-Festivals in Jakarta und Kopenhagen auf, und gewann einen internationalen Kompositionswettbewerb in Odessa.

“In Jakarta habe ich angefangen ernsthaft zu üben und mit berühmten Musikern zu jammen”, erzählt er. Und das verschaffte ihm nicht nur sehr schnell eine Fangemeinde, sondern stärkte auch sein Selbstbewusstsein. Diese Fangemeinde, in der Musiker, Diplomaten und Leute aus dem Musikgeschäft eine nicht unerhebliche Rolle spielen, sorgte auch dafür, dass Joey ein US-Visum für besonders Begabte bekam. Auf Grund seines Alters gewährte das Sonderbegabtenvisum auch seiner Familie eine Aufenthaltsgenehmigung.

“Es gibt keine andere Stadt wie New York”, meint Joey und ist mächtig stolz darauf, Teil der einmaligen New Yorker Musikszene zu sein.


Hier hat er alles, was er braucht, um sich voll zu entwickeln, und das schliesst Kontakte mit berühmten Musikern ein.
Ebenfalls Teil seines New Yorker Lebens ist auch die Betreuung durch Public Relations-Spezialisten, die u.a. bei Interviews dabei sind, und von Managern, die seinen Tagesablauf bis ins Detail durchplanen.

Aber er hat auch Zeit für Entspannung: „Ich spiele gern Videogames, sehe mir viele Filme an und treibe gern Sport“, sagt er. Am liebsten schwimmt er und spielt Tennis.
Und er interessiert sich für den Aufbau seines public image, und das mit unerwartetem Geschäftssinn.
Der Kontakt zu Gleichaltrigen ist eher spärlich, und seine schulische Ausbildung findet mit Hilfe eines Internet-Programms statt.

“Unter den Musikern, mit denen ich auftrete, finde ich ständig neue Freunde“, sagt er ohne den geringsten Selbstzweifel.

Es mag seinem starken und ausgesprochen unabhängigen Charakter entsprechen, sich im Kreis ausgereifter Künstler musikalisch zu behaupten, doch fragt es sich auch, auf welche Weise Joeys Erfahrungen in der Welt der Erwachsenen letztendlich seine persönliche Entwicklung beeinflusssen werden.

Und während seine eher leise Mutter noch unsicher ist, ob sie sich mit ihrem Sohn für diesen Artikel fotografieren lassen soll, reagiert er wie ein gestandener Profi und entscheidet für seine Mutter: „Vielleicht ein andermal.“

Diese Art von Selbstbewußtsein drückt sich natürlich auch in seiner Musik aus. Trotz seines Alters hat er sein Ziel genau vor Augen: die Entwicklung einer eigenen und sehr persönlichen Stimme. Und diesem Ziel folgt er mit  höchstmöglicher Konzentration und Detailgenauigkeit.

„Es ist wichtig zu üben, um für einen Auftritt total vorbereitet zu sein“, sagt er, „aber dann auf der Bühne muss man frei sein. Und einen kühlen Kopf muss man behalten und den Moment geniessen, und wirklich Teil der Musik werden.“
Genau an diesem Punkt fühlt er sich wohl und zu Hause, und selbst gelegentliches Lampenfieber kann ihm wenig anhaben.

Für seine kleinen Hände wurde eine Methode entwickelt, die es ihm erlaubt, sich ohne jede Einschränkung musikalisch auszudrücken, und das tut er dann auch, mit Imagination und Feingefühl, auf verschiedenste Weise was Stil und Rhythmus angeht, und dank eines erstaunlichen Gehörs für Form und Struktur, in den unterschiedlichsten Sprachen der Harmonielehre.

“Er wird mir den Job wegnehmen“, orakelt Herbie Hancock, und Jazzgrössen wie Wynton Marsalis, künstlerischer Direktor von `Jazz at Lincoln Center´ lud ihn 2014  ein, bei einer Gala für die Jazz Foundation of America aufzutreten, wo Joey prompt mit seiner Interpretation von Monks “Round Midnight” glänzte. Zu seinen zahlreichen Fans zählen auch Prominente wie Bill Clinton und Billy Crystal, und natürlich die Studenten der Juilliard-Musikakademie in New York, die sich, wie viele andere, für Joeys US-Visa eingesetzt hatten.

Nate Chinen schrieb in der New York Times, dass Jason Olaine, der Producer von Joeys Debut-Album und Jazz at Lincoln Center´- Programmdirektor, sehr daran interessiert sei, Joeys Rolle als musikalischer Botschafter zu entwickeln und ihn in pädagogische Outreach-Projekte zu integrieren, damit er vor Kindern seiner Altersgruppe spielen könne. Sagt Olaine: ”Er könnte junge Menschen für Jazz gewinnen.“

Doch Joey erwähnte weniger etwaige Schulbesuche, sondern sprach von seinem neuen Trio mit Schlagzeuger Sammy Miller und Bassist Russell Hall, die auch auf seinem Album zu hören sind.

Teil dieses Albums ist seine Komposition “Ma Blues”, die er im Alter von 10 Jahren komponiert hatte. Das Stück zeigt eine Reife, die weit über Joeys Alter und das, was wir von sogenannten Wunderkindern gewöhnt sind, hinausgeht.

Wir werden noch viel von diesem jungen Ausnahmekünstler hören.

Monday, August 17, 2015

Sir Andràs Schiff: Brückenbauer für die Pianisten der Zukunft

Der Meister in seiner Hotel Suite in New York - Foto Ilona Oltuski
Andràs Schiff, in Ungarn geboren und im Gulasch-Kommunismus aufgewachsen, Pianist von Weltrang, Weltbürger, kritischer Geist und jetzt Förderer der nächsten Generation junger Pianisten: Zwischen zwei Carnegie Hall Auftritten erzählt der von der Queen 2014 zum Sir geadelte Meister von seiner neuen Leidenschaft.
Von Ilona Oltuski  
Dieser Artikel erschien in PianoNews, Juli/August 2015
Ein konzertfreier Tag zwischen zwei grossen Auftritten in New Yorks Carnegie Hall. Andras Schiff hat es sich in seiner Hotelsuite an der New Yorker Upper East Side gemütlich gemacht. Auf dem Steinway-Flügel Noten einiger seiner Lieblingskomponisten - Haydn, Beethoven, Mozart und Schubert. Die Spätwerke der Wiener Klassiker stehen dieses Jahr auf dem Programm seiner Konzertreisen, die ihn von Europa in die Vereinigten Staaten und nach Kanada führen werden.
Auf dem Zenit seiner Popularität hat der 61-jährige keineswegs die mühsamen Zeiten der Aufbauphase seiner Karriere vergessen.
Dies mag ein Grund sein, warum er sich der Förderung von Nachwuchstalenten verschrieben hat. Gleichzeitig erscheint ihm das derzeitige Angebot an Möglichkeiten für junge Künstler verbesserungswürdig.
„Ich bin kein grosser Anhänger pianistischer Wettbewerbe“, sagt er und räumt gleichzeitig ein, selbst an Wettbewerben teilgenommen zu haben. „Damals war es die einzige Möglichkeit, Konzerte zu bekommen und in die Öffentlichkeit zu treten. Wenn man den Preis gewann, waren damit eine Menge Möglichkeiten verbunden. Doch heute gibt es kaum noch  Veranstalter, die es schaffen, den errungenen Sieg tatsächlich mit ausreichend bedeutenden Konzerten zu belohnen. Es gibt dann viele Gewinner, die von einem Wettbewerb zum nächsten ziehen, ohne eine nachhaltige Auswirkung auf den Aufbau ihrer Karriere zu erzielen. Deshalb ist es natürlich nicht genug, Wettbewerbe zu kritisieren; man muss andere Wege finden, dieses Dilemma anzugehen und vor allem alternative Lösungen anbieten.“
Schmunzelnd gibt er zu, nie einen ersten Preis bei einem der berühmten Wettberwerbe, wie etwa beim Leeds International Piano Competition, an dem er 1975 teilgenommen hatte,  gewonnen zu haben. „Beim Wettbewerb gewinnt derjenige, der keinen stört. Niemand kann alles gut spielen. Jeder hat Stärken und Schwächen, " sagt Schiff.

Wie man weiss, führt die Struktur der Wettbewerbe und die Erwartungshaltung, mit denen sich die jungen Künstler konfrontiert sehen, oft genug dazu, dass Nachwuchsmusiker zu Lasten der Kunst auf Nummer sicher gehen. Im Gegensatz dazu sieht Schiff das frei vom Künstler gewählte Konzert. Hier könne ein Pianist erst wirklich zeigen, aus welchem musikalischen Holz  er oder sie geschnitzt ist. 

 „Im Konzert sollte man spielen, was man liebt“, sagt Schiff. „Das muss dann über die Pflichtübung hinausgehen. Emotionales und Intellekt müssen sich das Gleichgewicht halten und ich finde, dass das Instinktive in der Musik zu einem Anteil von etwa 60 zu 40 dominieren sollte. Man muss studieren und analysieren, aber dann auch wieder integrieren. Das Publikum will keine Analyse hören, sondern mitgerissen werden. Es geht sozusagen darum, kontrolliert loszulassen; Risiko muss dabei sein und das erfordert eine gewisse Courage. Wenn der Pianist andererseits kein klares Konzept verfolgt, gibt es Anarchie und das hört man auch. Kontrolliertes Riskieren lernt man erst mit der Erfahrung des Aufführens: Das besteht dann aus einer Mischung der fixierten Elemente der Interpretation und den improvisierten Nuancen der Wiedergabe, die auch immer den etwas unterschiedlichen raumakkustischen Bedingungen entsprechen. Vor allem aber ist Musik auch immer ein Spiel, und da höre ich den Menschen; man kann sich nicht selbst verleugnen. Das Menschliche und das Persönliche ist in der Musik immer ausschlaggebend.“

Trotz aller kritischen Anmerkungen zum Thema Wettbewerb hat Schiffs Karriere letztendlich nicht darunter gelitten, in Leeds nicht gewonnen zu haben. Dies ist vor allem dem glücklichen Umstand zu verdanken, dass ein gewisser Charles Rosen, seines Zeichens eminenter Pianist und Autor der Musikbibel „Der Klassische Stil“ bei Schiffs Auftritt in der Jury sass.
Rosen liess keinen Zweifel an seiner Unzufriedenheit darüber, dass der von ihm auserwählte Spitzenreiter nicht den ersten Platz belegt hatte. „Durch Rosens Empfehlung, der sich sehr für mich engagierte, kam ich damals zu Columbia Artists, was dazu führte, dass ich schliesslich 1979 Budapest verliess und in New York ansässig wurde“, sagt Schiff. Der grosse Durchbruch liess jedoch auf sich warten. “Es war schrecklich mühsam,“ erinnert sich Schiff, „und alles ging sehr langsam. Ein kommunales Konzert nach dem anderen, manchmal auch in einer Sportarena ... es war manchmal schon direkt demütigend.“
Schiffs Teilnahme am Marlboro Festival markierte den Beginn einer neuen Phase in Schiffs Leben. Die intensive Auseinandersetzung mit Kammermusik, die das Festival ermöglichte, inspirierte ihn zutiefst; dazu kam seine Bewunderung für den Gründer des Festivals, den grossen Pianisten Rudolf Serkin.
Auch auf persönlicher Ebene bewegte sich vieles: Neben neuen freundschaftlichen Verbindungen lernte Schiff hier seine zukünftige Frau, die Violinistin Yuuko Shiokawa kennen, der er schliesslich nach Salzburg folgte. 1989 gründete er das „Mondsee-Festival“ in der Nähe von Salzburg und sechs Jahre später mit dem Komponisten und Oboisten Heinz Hollinger zusammen die „Ittinger Pfingstkonzerte“.
Marlboro liefert vielleicht einen weiteren Teil der Antwort auf die Frage, warum sich Schiff der Förderung neuer Talente verschrieben hat: das Festival war Beweis dafür, dass gemeinsames Musizieren und der Austausch zwischen lehrenden und lernenden Künstlern ein Potential in sich birgt, das durch keinen Wettbewerb dieser Welt erreicht werden kann. Es ist diese Erfahrung, die Schiff nun durch seinen persönlichen Einsatz weitergeben möchte.
Natürlich ist es nach wie vor der Traum unzähliger junger Pianisten, für einen Meister spielen zu dürfen. Bei der Auswahl der Kandidaten vertraut Schiff nicht zuletzt auch Vorschlägen seiner Musikerfreunde wie der Berliner Impresarin Sonia Simmenauer, oder der neuen Talenten gegenüber sehr aufgeschlossenen Hanna Arie-Gaifman aus New York.
Gaifman, mit der Schiff eine langjährige Freundschaft verbindet und die als Leiterin des Konzertprogramms des 92Y Schiffs Karriere begleitet hat, war dabei, als sich Schiff erste Gedanken zum Thema Talentförderung machte: „Nach Andràs‘ Konzertauftritt mit seinem Bach-Zyklus beim 92Y vor drei Jahren haben wir bereits über ein solches Empfehlungskonzept gesprochen“, sagt Gaifman. “Wer würde schon ein derart einmaliges Angebot, Konzerte mit jungen Talenten, die auf Empfehlung eines Künstlers wie Andràs auftreten   ablehnen wollen?“
In ihrer ersten Saison und mit Auftritten in Berlin und New York hat Schiffs neue Talent-Konzertserie schon jetzt ein positives Echo gefunden.
Und unter dem Titel „Building Bridges – András Schiff präsentiert junge Pianisten“ sowie „Andràs Schiff selects“ hat Schiff sichergestellt, dass die gesamte europäische und nordamerikanische Musikszene für sein Projekt offen ist: „Die Reihe wird im Laufe der nächsten Jahre beim Klavierfestival Ruhr, in Brüssel, Antwerpen und Zürich, sowie in San Fransisco und Vancouver stattfinden“, sagt Schiff stolz.  „Und vielleicht nächstes Jahr schon in der Wigmore Hall, einer ganz ausgezeichneten Halle,  in der ich auch selbst oft spiele.“
„Abgesehen von Meisterklassen habe ich bisher ja eigentlich nur sehr begrenzt selbst unterrichtet“, räumt Schiff ein. „Hier hat sich einfach eine grosse Gelegenheit ergeben. Natürlich kann man noch nicht sagen, wie nachhaltig der Effekt für die einzelnen Künstler sein wird, aber es ist schon ein guter Start.“
Die drei ‚Auserwählten’ diesen Jahres leben allesamt in den USA und sind Curtis/Juillard Studenten, die zum Teil bereits durch die internationale Wettbewerbsmühle gegangen sind. So war zum Beispiel Roman Rabinovich „Erster Preisträger“ beim Internationalen Rubinstein Klavierwettbewerb 2008 in Tel Aviv.  Auf den Pianisten Kuok-Wai Lio wurde Schiff durch einen Auftritt aufmerksam;  er war bei der von Frank Solomon geleiteten Townhall-Konzertreihe 2014 für Radu Lupo einsprungen, und hatte das Publikum begeistert. Der dritte im Bunde ist der Leon Fleisher-Schüler Adam Golka.
Die Reaktion der diesjährigen jungen Pianisten ist von grosser Dankbarkeit gekennzeichnet: Sagt Golka: „[Schiff] nimmt sich unheimlich viel Zeit für uns, und betreut uns mit viel Liebe und Ausdauer. Manchmal ist es direkt unheimlich, wenn er sich ans Klavier setzt und ‚unser‘ Repertoire, was er ja gar nicht direkt vorbereitet hat, mit unglaublicher Präsenz erörtert.“
Adam Golka mit seinem neu gefundenen Mentor.
Und Rabinovitch schwärmt: “Andras Schiff verkörpert den Höhepunkt  künstlericher Integrität und ist ein leuchtendes Beispiel für alle Musiker. Seine Unterstützung war unschätzbar und bedeutet mir unglaublich viel.“

Die Auftritte der Reihe finden in kleineren, intimen Konzerthallen statt, wie in der Residenz des „Institut Francais“ in Berlin und im „Subculture“ in New York, einem legeren und ‚cool’ gehaltenem, alternativen Vorstellungsraum in Manhattans Downtown.
Sagt Schiff: „Die Charakterzüge eines Künstlers kommen beim Spielen durch: egoistische Tendenzen etwa, oder übertriebene Selbstdarstellung lassen sich sofort in der Art der pianistischen Wiedergabe erkennen. Als Pianist ist man zwar sehr bedeutend in der Rolle, die Werke des Komponisten erklingen zu lassen, aber wir müssen auch als Interpreten innerhalb des vom Komponisten gesetzten Rahmens bleiben – sonst werden wir zum Verbrecher! Da gibt es für mich nichts zu debattieren.“
Eine derartig eindeutige Forderung überträgt Schiff auch auf andere Kulturbereiche, wie etwa das zeitgenössiche Theater. Kürzlich warf er den Regisseuren deutscher Produktionen vor, es an Respekt bei der Umsetzung von Originalwerken mangeln zu lassen. Er selbst sieht seine Aufgabe darin, das Verständnis und die Möglichkeiten derjenigen Talente zu fördern, die seine Liebe zur Tradition teilen. Und da scheint das Interesse der jungen Generation in der westlichen Welt eher spärlich zu sein: „Trotz hervorragender Ausbildungsmöglichkeiten in europäischen und amerikanischen Institutionen setzt sich nur ein Bruchteil der Studenten aus der einheimischen Bevölkerung zusammen; fast neunzig Prozent der Musikschüler reisen heutzutage aus Asien an,“  sagt er und beklagt ein ähnliches Desinteresse an Konzertbesuchen und klassischer Musik ganz allgemein.
Einen Hoffnungsschimmer sieht er in der zunehmenden Anzahl junger Instrumentalisten, die neue, interessante Werke komponieren: “Ich selbst habe kein Talent zum komponieren, aber ich bewundere die junge Generation, von denen viele nicht nur hervorragend spielen, sondern auch das Feld der neuen Musik mit ihren eigenen Kompositionen bereichern. Da gibt es eine echte Rückkehr zum Komponisten/Pianisten des 19. und 20. Jahrhundert, ein überaus interessantes Phänomen.“
Eines dieser Talente ist der 27-jährige Juilliard-Alumnus Michael Brown; der US-amerikanische Pianist und Komponist und frisch gebackene Preisträger des renommierten Avery Fisher Career Development Grants wird in Schiffs nächster Konzertrunde mit dabei sein.
Etwas was Schiff seinen Schützlingen ganz besonders ans Herz legen möchte ist das Vertrauen in die Kunst. Claudio Arrau sagte einmal zu einem jungen Pianisten: “Haben Sie keine Angst langweilig zu sein! Verkrampft interessant oder originell sein zu müssen - das wird langweilig.“
Schiff meint, dass grosse Musik einfach Respekt verdient, und dass es da keinerlei übertriebener Gewichtung bedarf.
“Die Komponisten der Klassik geben einem viel Freiheit, die muss man wahrnehmen und dazu gehört auch viel Mut; da steht nicht alles in den Noten. Mich selbst nennt man oft altmodisch; zum Beispiel wenn ich beide Hände mit kleinen zeitlichen Verschiebungen voneinander benutzeIch mache das sehr häufig, ich empfinde es einfach stilistisch korrekt und angenehm, während die meisten Pianisten beide Hände völlig akurat synchronisiert spielen. Aber dies ist eine Tradition, sich Freiheiten einzubauendie selbst bis hin zu Bartòk bekannt ist; er selbst spielte Akkorde arpeggiert, obwohl sie als ein Akkord notiert waren – und man kann ja wohl nicht behaupten, er hätte nicht gewusst wie er seine Musik zu spielen hätte.“
Ein Künstler und Mensch wie Schiff, dem Kultur allgemein und besonders die pianisitische Tradition derart am Herzen liegen, fühlt natürlich auch ein gewisses Verantwortungsgefühl dafür, wie es weiter gehen soll und wie Traditionen erhalten werden können.
Mit seinem persönlichen Einsatz in Sachen Nachwuchsförderung leistet er einen Beitrag, dessen Bedeutung heute schon gewürdigt wird. Das Ausmass der wahren Ernte lässt sicher noch ein paar Jahre auf sich warten, aber eines ist fast schon sicher: Andràs Schiffs Vermächtnis wird in seinen Schützlingen aus aller Welt weiterleben …






Wednesday, May 13, 2015

Klassisches Rollenspiel: Der Pianist Inon Barnatan


Dieser Artikel erschien in PianoNews, 2015,3

Foto: Marco Borggreve

Alan Gilbert, Musikdirector der New Yorker Philharmoniker, beschrieb den 35-jährigen Israeli Inon Barnatan kürzlich als  “wunderbaren Pianisten und analytischen Kopf, der sich mit Leidenschaft seiner Kunst widmet und auch als zeitgenössiger Pianist sein Können unter Beweis stellt.”
Und mehr als das: Gilbert, der in der New Yorker Musikwelt eine führende Rolle spielt, liess Barnatan eine aussergewöhnliche Position zukommen: im März diesen Jahres spielt der Pianist Ravels Klavierkonzert in G-Dur mit den New Yorker Philharmonikern unter der Leitung von Alan Gilbert. Dies ist nicht nur Barnatans Debut mit dem Orchester, sondern gleichzeitig Startschuss für das neue Musikerlabel der New Yorker Philharmoniker,  “Artist-in-Association.”
Als erster Solist in der Geschichte der New Yorker Philharmoniker (und meines Wissens jeglichen Orchesters von Weltrang) wurde Barnatan im Rahmen dieses Programms für eine Reihe von Konzerten und Kammermusikterminen, die sich über drei Konzertsaisons erstrecken, unter Vertrag genommen. 
Für Barnatan kam Gilberts Angebot aus heiterem Himmel: “Ich fühle mich sehr geehrt, der erste Künstler zu sein, der für eine derart bedeutende Position ausgewählt wurde”, sagt der Pianist.
Ist es sonst eher üblich, verschiedene Solisten pro Saison vorzustellen, so beweisen Gilbert und sein Team mit ihrem Programmansatz, dass ihre Mission, eine tiefere Verbindung zu den jeweiligen Künstlern schaffen zu wollen, nicht nur Lippenbekenntnis ist. Über die neue “Artist-in-Association” - Reihe hinaus bezieht sich ihre innovative Planung auch auf das bereits etablierte  “Composer-in-Residence” - Programm.
Vor allem Nachwuchskünstlern bietet dieser Ansatz ein Kontinuum an gesicherten Auftrittsmöglichkeiten, was wiederum eine grössere Publikumsnähe entstehen lässt; zudem ermöglicht kontinuierliches Arbeiten dem Künstler, mit einem breiteren Spektrum an musikalischem Können risikofreudiger umzugehen.
“Normalerweise hat man sehr wenig Zeit, sich auf ein Debut vorzubereiten”, sagt Barnatan, “und bis man dann wieder eingeladen wird – und das lässt sich auf Grund bereits bestehender Terminabsprachen meist in kaum weniger Zeit als drei Jahren im Voraus planen – hat einen das Publikum bereits vergessen.” Genau an diesem Punkt setzt das Konzept an; hier geht es um das Kreieren interessanter Perspektiven, und nicht um den Neuigkeitseffekt eines Solisten - ein Anliegen, das Gilbert vor allem im Bereich zeitgenössischer Musik schon länger verfolgt.
Barnatan weiss es zu schätzen.  “Die New Yorker Philharmoniker bieten mehr als nur zeitgenössische Musik – sie bieten eine ganze Biennale”, lobt er.                                                                                                                                   Foto: Marco Borggreve
Es hat Barnatans Karriere sicher nicht geschadet, erster ‘offizieller’ Nachwuchskünstler der New Yorker Philharmoniker zu sein, doch sein Talent und seine Persönlichkeit waren bereits lange vor dieser Auszeichnung Wegbereiter für das Entstehen von Freundschaften innerhalb der New Yorker Musikszene. 
“Ich habe in letzter Zeit sehr viel in New York gespielt”, sagt er.  “Es ist schon erstaunlich, dass ich in dieser “dog eats dog” - Stadt schon sehr früh grosse Unterstützung gefunden habe.”    
Zu seinen wichtigsten Kontakten der ersten Stunde zählt Barnatan neben dem Direktor der Rockefeller Konzertserie John Gerlach, der ihn zu seinen ersten New Yorker Konzerten einlud, vor allem die Musikdirektorin des New Yorker Kulturzentrums 92Y, Hanna Arie-Gaifman. Als regelmässiger Gast der 92Y-Konzertreihe trat Barnatan seit 2009 unter anderem im Rahmen des Janáček – Kundera-Fests des Cleveland Orchesters und des dreijährigen Zyklus der Beethoven-Streichquartette zusammen mit dem Tokio String Quartet auf.
Im Dezember 2012 dann brillierte er mit Werken von Debussy, Adès, Britten und Ravel, die auch auf seiner CD “Darkness Visible” zu finden sind; die New York Times setzte die CD auf ihre Bestenliste für das Jahr 2012.
Kurz danach folgte Barnatans Version der Schubert- Sonaten in C-Moll D958 und A-Dur D959 auf dem Avie-Label (einschliesslich seines liebevollen Impromptu in G-Moll D899, No. 3);  das Magazin Grammophone lobte Barnatans “Sensibilität, Ausgeglichenheit und Fokus”, und nannte den Pianisten einen “geborenen Schubertianer”.
Bereits im Jahre 2006 hatte Barnatan mit dem “Schubert Recital” auf dem Bridge Label seine besondere Affinität für den Komponisten unter Beweis gestellt. 
Und 2009 - nach drei Jahren mit der Gruppe junger Musiker der Chamber Music Society des Lincoln Centers (CMS Two) - fungierte er als Ko-Kurator des CMS-Schubert-Projektes, das es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Schuberts kammermusikalisches Spätwerk zu erkunden; anschliessend nahm der Pianist an internationalen CMS-Konzerten teil.
“Inon ist voll und ganz Musiker; er ist engagiert und sehr interessant. Er hat jetzt schon Grösse und entwickelt sich weiterhin; es ist ein Vergnügen, mit ihm zu arbeiten”, kommentiert Gaifman ihre Erfahrung mit Barnatan.
Foto: Ruby Washington
Inon Barnatan im SubCulture
In einer Konzertreihe der New Yorker Philhamoniker (in Kooperation mit dem 92Y) beeindruckte Barnatan 2014 mit seinem Solo-Programm “Voices” im New Yorker “downtown” Musikclub SubCulture. Sein Repertoire reichte von Bach über Liszt bis hin zu Jazz, und als “resident pianist” des 92Y zeigte er mit Werken aus Brahms’ Kammermusik-Kanon im Rahmen des “Jerusalem Quartet and Friends”-Zyklus sein Können.
Kyril Zlotnikov, der Cellist des Jerusalem Quartets, schwärmt geradezu von seiner Zusammenarbeit mit Barnatan: “Die erste Kollaboration des Quartets mit Inon war vor etwa 12 Jahren an der London Royal Academy of Music. Seither ist es immer wieder ein grosses Vergnügen für mich gewesen, mit ihm zusammenzuarbeiten. Er ist sehr sensibel, feinsinnig und flexiblel, und ein äusserst kompetenter Musiker mit sehr viel Geschmack; vor allem kann er zuhören, und diese Eigenschaft schätze ich am meisten an ihm. Es macht einfach Spass, mit Inon Musik zu machen, und ich hoffe, dass wir noch oft die Gelegenheit haben werden, zusammen zu spielen.”
Barnatan vergleicht seine Auftritte als Pianist gern mit der Arbeit eines Schauspielers:  “Die Arbeit des Musikers wie die des Schauspielers besteht darin, eine Rolle auszufüllen, aber gleichzeitig hinter der Rolle zu verschwinden und den tieferen Sinn des Materials herauszuarbeiten und zu vermitteln”, sagt er.    
Und in der Tat ist der nuancierte Ausdruck eines Schauspielers mit seinen fast unmerklichen Details und seiner expressiven Palette durchaus mit dem Handwerk eines Pianisten vergleichbar. Um eine genau abgestimmte Koordination zu ermöglichen, bedarf es einer Choreographie der Bewegungsabläufe durch ein kontrolliertes Verteilen des Körpergewichts.
Nur so kann die emotionale Kraft und der Charakter der Klangbilder, die das jeweilige Werk eines Komponisten und die ganz spezifische Interpretation durch den Pianisten erforderlich macht, projiziert werden.
Nicht ohne Grund wird das klassische Repertoire der Meisterwerke immer wieder und durch eine Vielzahl an Pianisten vorgestellt: jede Aufführung ist einmalig und was die feinen Unterschiede betrifft, gleichen keine zwei Aufführungen einander.   
Es bedarf endloser Suche, um den Charakter eines Werks, der sich selten ausschliesslich in der Partitur offenbart, zu entdecken und so zu einer adäquaten Interpretation zu gelangen. Einem Filmdrehbuch nicht unähnlich definiert eine Partitur lediglich eine Ausgangsposition; bei der Aufführung des Werks ist es Aufgabe des Pianisten, eine überzeugende Richtung vorzugeben und die richtige Balance zwischen führenden und sekundären Stimmen auszuloten, und das alles ohne “replay” – ein wahrlich meisterliches Unterfangen.
Barnatan erwähnt einige der Meister, die ihn auf seine Aufgabe vorbereitet und seine musikalische Vision geformt haben, allen voran Maria Curcio, selbst letzte Schülerin Arthur Schnabels in Italien und Nadia Boulangers in Paris.
Auf der langen Liste der Pianisten, denen sie mit ihrem Können zur Seite stand, finden sich neben Barnatan Namen wie Martha Argerich, Radu Lupu and Leon Fleisher.
 “Ursprünglich wollte ich mit 17 Israel verlassen und in die USA gehen, wo ich mich bereits für Juilliard, Curtis, und Peabody beworben hatte”, erinnert sich Barnatan.
“Nach meiner Rückkehr nach Jerusalem sollte ich für Curcio spielen, sie musste aber absagen und hat mich dafür eine Woche nach London eingeladen. Ich war derart beeindruckt von ihr, dass aus der einen Woche ein Umzug nach London wurde; da arbeitete ich dann mit dieser Grand Dame des Klaviers. Sie war einfach unglaublich”, sagt Barnatan.
“Sie verkörpert den Geist Schnabels, und obwohl sie nie selbst als Auftrittskünstlerin Karriere gemacht hat, repräsentiert sie eine wundervolle Musikalität, eine wahre Verbindung von Klang und Wissen.”   
Ganz besonders schätzt der Pianist, dass ihm die grosse Mentorin beibrachte, verschiedene Klangbilder ins Leben zu rufen und so seine Klangpalette um viele Farben zu bereichern.
“Sie hat mich gelehrt, alles in meinem Arsenal zu nutzen, um zu spielen, als wäre man die erste Person, die das Stück je gespielt hat.” 
2000 traf Barnatan beim Ravinia Music Festival in Illinois den Pianisten und Pädagogen Leon Fleisher, auch er ein entscheidender Einfluss auf den jungen Pianisten.  Der Schnabel/Curcio-Alumni sagte ihm: ‘Wenn du tausend verschiedene Klangbilder anstrebst, musst du auf tausendfache Weise spielen.’
Im Rahmen des Festivals  arbeitete Barnatan auch mit Lehrern wie Miriam Fried, Claude Frank und Menahem Pressler, und spielte zum ersten Mal mit der jungen Cellistin Alisa Weilerstein.
“Alisa und ich hatten denselben Manager; der brachte uns zusammen und arrangierte 2008 unsere erste Rundfunk-Live-Übertragung.”   
Barnatan erinnert sich gern an seinen ersten Auftritt mit der dynamischen Cellistin: 
“Wir hatten nicht allzu viel Zeit, zusammen zu proben, aber alles ergab sich ganz natürlich. Wir waren uns in jeder Hinsicht einig und es gab einfach eine grossartige Chemie zwischen uns.
Die Radioaufnahmen fanden bei einem der grossen Sender statt, und nachdem wir mit den Aufnahmen fertig waren, meinte ein Journalist, dass unser Spiel offensichtlich das Resultat langjähriger Zusammenarbeit sei - woraufhin Alisa ohne mit der Wimper zu zucken antwortete: ‘Ja, ganze eineinhalb Jahre’.”Foto: Jamie Jung
Sagt Barnatan: “Ravinia hat mir in vieler Hinsicht die Augen geöffnet, und ganz besonders in Bezug auf mein Verständnis von Kammermusik.”
Vier Jahre nach Ravina 2000 und kurz vor seinem Carnegie Hall-Debut spielte Barnatan dann eine der letzten Schubert-Sonaten für Fleishers Carnegie Hall-Meisterkurs.
Im Publikum sass der damalige Senior Director und Artistic Advisor der Carnegie Hall, Ara Guzelimian. Er war von Barnatans Talent derart angetan, dass er ihn dem Cellisten und Artistic Director der Chamber Music Society des Lincoln Center, David Finckel vorstellte, was wiederum zu Barnatans Engagement mit der Chamber Music Society Two führte.

2007 brachte Barnatan zusammen mit der Violinistin Liza Ferchtman eine Duo-CD mit Werken von Schubert und Beethoven beim Label Challenge Classics auf den Markt. Die gute musikalische Chemie zwischen den beiden Künstlern wurde als Tour de Force des Ensemble-Spiels gelobt.
Entschlossen, die wenige Zeit, die ihnen angesichts ihrer anspruchsvollen Solo-Karrieren blieb, ausschliesslich füreinander zu nutzen, entwickelte sich auch Barnatans Zusammenarbeit mit Alisa Weilerstein weiter.
“Wir treten nicht zu oft zusammen auf; normalerweise planen wir eine Europa-Tournee pro Jahr ein, und eine in den Vereinigten Staaten, aber wenn wir dann zusammenkommen, fliesst unser Zusammenspiel so natürlich wie beim ersten Mal”, sagt Barnatan.  
Kürzlich nahmen die beiden in Berlin die Chopin- und Rachmaninoff-Sonaten für das Decca Label Teldex auf; das Album wird noch dieses Jahr auf dem Markt erwartet.
“Das Repertoire ist schwierig und könnte durchaus zu Problemen bei der Zusammenarbeit führen, doch dank unserer Dynamik ging alles sehr glatt”, sagt Barnatan.
In einer nach neuen Ikonen hungernden Industrie zeigt die Erfolgskurve der beiden steil nach oben; so wurde zum Beispiel Alisa Weilersteins Decca CD des Elgar und Elliott Carter Cello Concerto unter der Leitung von Daniel Barenboim als “BBC Album of the Year 2013” ausgezeichnet.
Foto:  Marco Borggreve
Das Einreihen in das Reich erfolgreicher internationaler Karrieren ist dem nachdenklichen israelischen Pianisten nicht immer ganz leicht gefallen. Ihm ist ein bisschen unwohl in einer Welt, in der das Dilemma zwischen Kunstbetrieb und hoher Kunst einen ständigen Balanceakt erforderlich macht.
Es scheint, dass Barnatans Einblicke in und Verständnis für die Rolle des Schauspielers diesem Balanceakt bereits die nötige Hilfestellung geben.   
“Es ist schon ein bisschen paradox – bei diesem ganzen Karriere-Kram dreht es sich ja angeblich um den Künstler”, sagt der mittlerweile in Harlem ansässige Barnatan. “Ich habe jedoch ganz stark das Gefühl, dass es bei einem Musiker nicht wirklich um die Person geht”.
Es ist diese Nachdenklichkeit und Bescheidenheit, die Barnatan so sympathisch macht.

Saturday, January 24, 2015

Der Pianist Alon Goldstein – persŏnliche Vision kommt nie aus der Mode

“Es ist fünfzehn Jahre her, seitdem ich meine letzte offizielle Lektion von meinem geehrten Lehrer Leon Fleisher erhielt,” schrieb im Juli 2013 der israelische Pianist Alon Goldstein in einem Blog-Eintrag, welcher seinem legendären Mentor aus Anlass seines fünfundachtzigsten Geburtstages gewidmet war. „Ich erinnere mich daran, ihm nicht lange, nachdem ich mich etwas Neuem zugewandt hatte, zu sagen, dass es meine beste Entscheidung im Leben gewesen war, zu kommen und mit ihm zu studieren und meine Zweitbeste, ihn zu verlassen,“ und fügte später in einem persönlichen Interview hinzu, dass er wüsste, dass er gehen musste, bevor es zu gemütlich wurde. Klar, dass alle diese Kommentare mit Liebe und Bewunderung dargebracht wurden.
Fleisher, der leicht zu den faszinierendsten Erzählern unter den großen Musikern seiner Generation zählt, machte jüngst folgende Kommentare, als er zu seinem ehemaligen Schüler befragt wurde: “Alon, nun ist er wirklich fantastisch. Er ist einer der aufgeschlossensten Musiker, die ich jemals getroffen habe und er ist nicht – wie so viele andere  – von irgendetwas verblendet; er hat eine Vision und sein Spielen ist recht aufschlussreich, tief und bedeutungsvoll. Er hat auch eine warmherzige Persönlichkeit; uns verbinden so viele unvergessliche Momente.”
Goldstein erlebte die Kraft der kommunikativen Gabe des Maestros während seiner vier Jahre, die er mit ihm eng als Student und später als sein Assistent – einer begehrten Stelle am ‚Peabody Conservatory,’ die nur den hervorragendsten Studenten vorbehalten war - zusammenarbeitete. „Auch wenn Fleishers Unterricht nicht ausgiebige Demonstrationen am Klavier beinhaltete, da er seit vielen Jahren nicht mit seiner rechten Hand spielen konnte, machte er sich seine deskriptiven Fähigkeiten zu Nutzen,“ sagt Goldstein und erklärt, wie Fleishers immense persönliche Erfahrung , die in seiner außergewöhnlichen Klavierkarriere verwurzelt ist, seine Studenten inspirierte. Ihm gelang es, seine musikalischen Anweisungen zu geistigem Eigentum zu machen, das seinen Studenten dabei helfen sollte, ihre eigene Interpretationen am Klavier auszudrücken.
“Musiker sagen in der Regel, dass sich Musik nicht in Worten beschreiben lässt. Das glaubte auch ich, bis ich Fleisher sprechen hörte. Er war so klar, so beredt und so unglaublich genau...“ meint Goldstein, wenn er Fleishers Absicht beschreibt, seinen Studenten beizubringen, wie man sich selbst durch seine hochgradig assoziativen Instruktionen etwas beibringt.
Eine dieser Beschreibungen ist besonders bei ihm hängengeblieben: „Während einer unserer Unterrichtsstunden, als ich versuchte einen Bezugspunkt in einer Phrase zu finden, lange Linien zu kreieren und an Dynamik zu gewinnen usw. lehnte sich Fleisher langsam in seinem Sessel zurück, schloss seine Augen, erhob sanft seine Augenbrauen und sagte: „Musik besteht aus physischen Kräften. Jeder Ton, jede aufsteigende oder absteigende Linie, kreisförmiges Muster oder auch großer Sprung ist von physischen Kräften umgeben. Sie sind ein Magnet zwischen den Tönen. Das ist es, woraus Musik besteht. Diese physischen Kräfte zu verstehen, zu wissen, wie man sie nutzt, ergibt eine Interpretation, die nicht nur unwiderstehlich, sondern auch unvermeidlich ist,“ belehrte Fleisher. Diese unwiderstehliche Musikalität demonstriert der Altmeister auf seiner letzten, Grammy-nominierten Veröffentlichung von linkshändigen Repertoire ‚All the Things You Are’ (Bridge, 2014)
„Er hat Röntgen-Ohren,“ meint Goldstein über Fleisher, und weil er einen dazu veranlasst, alles zu analysieren, erlaubt einem dieses Bewusstsein, direkt zum Pulsschlag des Stückes vorzudringen und sein eigenes Musizieren herauszufordern, um seine fundamentale Wahrheit immer wieder aufs Neue zu finden,“ erinnert er sich an die inspirienden Jahre, zurück.
Selbst die mitreißendsten Lektionen bedürfen fruchtbaren Bodens, um Motivation anzuregen. Goldstein übernahm diese Tradition mit großer Dankbarkeit und setzte in seinem Unterricht und seiner internationalen Karriere als Konzertpianist und gelegentlich in seinen schriftlichen Veröffentlichungen und seinen Konzertgesprächen einen inspirierten, lebenslangen Dialog mit lebhaft artikulierter Musik fort, die ihm vermacht worden war.
Im Jahre 1997 ging es für Goldstein an Großbritanniens  ‚Guildhall Music School’, weiter, wo er ein Protagonist von vierhändig-gespielten Klavieraufführungen wurde und dabei half, ein Kammermusikfestival ins Leben zu rufen. Sein pianistisches Talent und seine kreativen Aufführungskonzepte führten zu einer Einladung der ‚Theo Lieven International Piano Foundation’ am Comer See als ihr Artist-In Residence. Während der Zeitspanne von zwei Spielzeiten hatte er das Privileg, an privaten Meisterklassen mit weltberühmten Musikern teilzuhaben.
Gemeinsame israelische Wurzeln und die Sommer, die er bei den Marlboro und Vermont Musikfestivals verbrachte, führten zu einer Zusammenarbeit mit dem ausgezeichneten Cellisten Amit Peled und dem Klarinettisten Alex Fiterstein. Das daraus entsprungene Goldstein-Peled-Fiterstein Trio wurde bei vielen Gelegenheiten für die Fähigheit seiner Mitglieder gelobt, genau diese ursprüngliche Kunstfertigkeit als Solisten mit ihrer großen Sensibilität und ihren kommunikativen Fähigkeiten als Kammermusiker auszubalancieren.
Bildnachweis: Britt Olsen-Ecker
Zusammen mit dem Violinisten Ilya Kahler bildeten Goldstein und Peled das Tempest Trio, dessen virtuosen Auftritte bereits mit dem legendärem ‚Million Dollar Trio’ verglichen wurden, welches aus Arthur Rubinstein, Gregor Piatigorsky und Jascha Heifetz bestand.
Die Europa Tournee des Tempest Trio im Jahre 2012.

Sowohl Goldsteins musikalische Integrität, als auch seine liebenswürdige Persönlichkeit hat ihm eine Vielzahl von Allianzen und Engagements als Auftrittskünstler, sowie Einladungen von hochangesehensten Musikfestivals, einschließlich beim Verbier und Ravinia Festival, zugetragen. Als Empfänger zahlreicher Stipendien und Preise, einschließlich dem zehnjährigen Stipendium der ‚America-Israel Cultural Foundation’ hat Goldstein immer daran gedacht, auch andere davon profitieren zu lassen. Seine Loyalität bei der Unterstützung junger israelischer Komponisten, was zu einem Auftrag und Aufführungen von Avner Dormans „Lost Souls“ Konzert führte, ist ebenso ein integraler Bestandteil dieser Verpflichtung wie seine Community-Outreach Bemühungen, mit welchen er „jedem die Chance einräumen möchte, von der Schönheit und Kraft klassischer Musik eingenommen zu werden, und zwar sowohl innerhalb, als auch außerhalb der Konzerthalle.
Gleichzeitig bleiben einige der prägenden Momente von Goldsteins Vergangenheit eine wesentliche Quelle der Verehrung und sind Teil seiner persönlichen musikalischen Stimme geworden: „Nicht vor allzu langer Zeit“ schreibt er, „inmitten der Probe von Mozarts Konzert für zwei Klaviere an meiner Almer Mata, dem ‚Peabody Conservatory of Music’ bei der Vorbereitung für einen Auftritt mit dem ‚Chicago Symphony Orchestra’ später in diesem Sommer, betrat Fleisher unerwarteterweise den Saal,“ was für Goldstein eine willkommene Gelegenheit war, des Meisters Gegenwart wieder zu erleben, und noch bewusster auf sein Spiel zu achten , „...wie diese physischen Kräfte langsam erwachten – trieben uns Zentrifrugalkräfte nach außen, als ein aufsteigender melodischer Lauf seine Richtung änderte. Eine zentripetale Kraft zog uns nach innen, als eine abfallende Linie sich plötzlich nach oben wandte. Kreisförmige Muster wie auch winkelige, Durchbrüche,  Sprünge tragen die Töne,  –  all das brachte Kräfte hervor, die Töne an sich banden, um eine musikalische Phrase zu werden.”

Maestro Leon Fleisher mit Alon Goldstein

“Es gab aber eine Kraft, die vom ersten Moment an bestand, von dem an die ersten Note des Stückes ertönte bis zu dem Punkt, an dem die letzte Note verschwand. Als die Melodie hoch emporstieg und dann wieder abtauchte bis sie schließlich fast wieder den Boden berührte und dabei Schleifen und Sprünge durchlief und uns auf eine Achterbahnfahrt mitnahm, war es eine Reise ohne Schwerkraft ... und Fleisher kommentierte das so: „Man höre die Art und Weise, wie die langen Noten sich in ein Crescendo ergießen, nachdem sie angespielt werden, gefolgt von einem Diminuendo, bevor die nächste Note kommt. Jeder Physiker würde dies als unmöglich bezeichnen, aber wir Musiker sind keine Physiker, wir sind Illusionisten. Das ist ein vokales Spielen.”
Weitere Information über Alon Goldsteins verschiedene Konzertaktivitäten und CD- Veröffentlichungen findet man unter http://www.alongoldstein.com/. Sein Blog lässt sich unter der folgenden Webadresse finden http://blog.alongoldstein.com/.
Von Ilona Oltuski

Wednesday, November 12, 2014

Musik und Film – ‘Touching the Sound’

“Die Hauptsache ist es immer noch eine aussagekräftige Geschichte zu erzählen (alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Rosen Productions und dem ‘Close Encounters with Music’ Festival) Zusätzlich zu seiner Konzertreihe erkunden die jährlich stattfindenden ‘Close Encounters with Music’ des Berkshire Festivals, die von dem charismatischen Cellisten und Unterhalter Yehuda Hanani geleitet werden, die vielfältigen Themen klassischer Musikkultur. Als Teil des diesjährigen Musikfestivals stellte Peter Rosen seinen die Gefühle ansprechenden Dokumentarfilm Touching The Sound über den blinden japanischen Pianisten und den Van Cliburn Goldmedaillisten Nobuyuki Tsujii vor. “Dies ist ein Film über den Triumpf des Menschen wie auch den Triumpf der Kunst,” kommentiert Hanani. “Man denkt an Beethoven, der alle Widerstände überwindet. Ein gehörloser und ein blinder virtuoser Pianist … die Art wie Peter die Geschichte von der frühen Kindheit an entwickelt … ganz bis hin zum Van Cliburn Wettbewerb, ist ein inspirierendes Crescendo,” führt Hanani an, dessen wöchentliches Classical Music According to Yehuda bei den Round Table Discussions von WAMC, dem öffentlichen Radiosender im Nordosten der USA, ausgestrahlt wird Northeast Radio’s Round Table Discussions. In unserem ersten Gespräch über die letzte Veröffentlichung in seiner langjährigen Karriere definiert Rosen, der New Yorker Dokumentarfilmkenner, das “Geschichtenerzählen“ als wesentlichen Bestandteil eines jeden Films: eine Herausforderung, die sich nicht hinsichtlich der Botschaft unterscheidet, die ein Film in Bezug auf Musik hat. “Jedes Projekt hat ein anderes Thema und Konstellation, entsprechend der Art und Weise wie der Film entstand und wie seine Produktion erfolgte. Und dennoch bezieht sich im Grunde genommen die gleiche Struktur einer traditionellen Erzählung– ihre charakteristische Einteilung in drei Akte– auf alle Filme,” erklärt der Filmemacher, der von seiner Ausbildung her Architekt ist. Gleich ob Rosen Arthur Rubinsteins Leben oder Van Cliburns Internationalen Klavierwettbewerb porträtiert, zielt er nie darauf ab, die technischen Einzelheiten eines jeden bei der Beherrschung des jeweiligen Instrumentes zu zeigen, was letztendlich – so wichtig auch diese Details auch sein mögen – recht langweilig anzuschauen wäre. Außer den aufgezeichneten Live–Aufnahmen, die einen Auftritt in ihrer Gesamtheit zeigen, wie bei Tsujiis Live at Carnegie Hall, zeigt Rosen selten ein Musikstück in voller Länge, das auf Film festgehalten wird. “Es ist immer eine Gradwanderung, auf die man sich begibt, wieviel Musik man tatsächlich gebrauchen kann, ohne den Erzählfluss der Geschichte zu unterbrechen. Wir bekommen immer Zuschriften von Lesern, die sich gewünscht hätten, mehr Musikstücke hören zu können, aber die durchschnittliche Aufnahmebereitschaft eines Zuschauers erlaubt nur 2-3 Minuten, ohne dabei den roten Faden der Geschichte zu verlieren,” meint Rosen. Das trifft auch auf Touching the Sound zu, welcher dem Goldmedaillengewinner von den rührenden Beschreibungen seiner Mutter von den ersten Momenten an folgt, als seine Blindheit, wie auch seine außergewöhnliche Begabung klar wurden, bis hin zum Gewinnen von Gold und dem Gewinnen der Herzen: “Nobu” wie ihn seine Fans liebevoll nennen, behauptet sich auf der Konzertbühne. Foto: Nobu und seine Mutter Itsuko
Von seiner Geburt an blind, gewährt der nun 23-jährige Nobu Einblick in seine inspirierende, heldenhafte Reise und außergewöhnliche Begabung am Piano und zeigt die Facetten seiner Identität als internationaler Auftrittskünstler und als kultureller Botschafter seiner Heimat Japan. Seine Aufrichtigkeit kommt ebenso in seiner Kunst zum Vorschein wie auch im Filmmaterial, das während verschiedener Konzerttourneen aufgenommen wurde und seine Freude und wissbegierige Begeisterung darstellt, unterschiedliche Orte, Leute und kulinarische Überraschungen zu erleben. Zieht man in Betracht, dass er extreme Widrigkeiten bewältigen musste, , erscheint ein Vergleich seiner pianistischen Leistungen mit denen seiner “Kollegen” noch willkürlicher, als die bereits fraglichen und subjektiven Entscheidungen jeglicher Wettbewerbsjuroren. Die Van Cliburn Juroren, dem auch der ausgezeichnete Pianist Menahem Pressler angehörte, gaben zu, extra an ihrem Objektvitäts-Maßstab gearbeitet zu haben, um ihre prestigeträchtige Anerkennung nur auf der Basis künstlerischer pianistischer Exzellenz auszusprechen. Nobu selbst gesteht ein, dass er lieber als großer Pianist bekannt sei, als ein “großer blinder Pianist,” dessen erstaunliche Begabung etwas ist, über das über das die Leute staunen. Mit der Hilfe von Übersetzungen von Nobus ständigem Reisegefährten und Manager Nick Asano und Nobus Klavierlehrer aus der Kindheit, Masahiro Kawakami, drückt der Film viel von der aufrichtigen Leidenschaft aus, andere an seinen, ihm angeborenen musikalischen Talenten, an seiner Bescheidenheit, Dankbarkeit und Offenheit teilhaben zu lassen, mit denen er den Herausforderungen des Lebens begegnet und voller Freude dessen Sinnesfreuden annimmt. Der Film konzentriert sich schließlich auf sein tatsächliches Können an der Tastatur. Vor dem Hintergrund der Musik von Tschaikowski, Chopin, Rachmaninow, Liszt, Beethoven und Mussorgski richtet sich Rosens Kamera immer auf die menschliche Empfindung und ihr Blickwinkel wird darauf eingestellt: Nobus schweres Atmen mit dem ruhelosem Wunsche, direkt vor seinem Carnegie Hall Debüt die Bühne zu erobern, gefolgt von der Entladung all der aufgestauten Spannung in einer schluchzend-geführten und Tränen rührenden Zugabe, bestehend aus seinen eigenen Kompositionen, die zu Ehren der die japanischen Opfer der Tsunami geschrieben wurde. Rosen sucht sich seine Film-Charaktere entsprechend der Dramatik aus, der er Ausdruck geben will. Er sucht nach den Erzählsträngen, die von den Konflikten der Individuen, ihren Beziehungen mit anderen und vor allem von ihrer Erlösung herrühren: dem Überwinden ihrer individuellen Herausforderungen – das ist die Geschichte, die er erzählt, inmitten eines jeden spezifischen Soundtracks. Indem er den Fokus der Kamera auf die emotionalen Reaktionen der Charaktere richtet, die den Bogen spannen, um die sich die Geschichte rankt, zieht es Rosen vor, lieber etwas visuell aufzuzeigen, als zu erzählen. Rosen begann seine Karriere in den späten 70-igern mit USIA Projekten, die darauf abzielten, die kulturelle Reputation der USA in Übersee zu stärken. Einer dieser Aufträge – ein Porträt von Leonard Bernstein – wurde zum Meilenstein für Rosens Weg. “Ich bin nicht selbst ein Musiker. Voller Ressentiment überstand ich zwölf Jahre Klavierstunden, ohne das dabei viel herausgekommen ist - ich kann Musik lesen, aber ich kann nicht eine Sache spielen” gibt er freiwillig von sich.” Natürlich wusste ich von der enormen Rolle von Bernstein in der Musik, aber ich näherte mich seiner Persönlichkeit nicht vom Standpunkt eines Musikers – ich hatte nicht diese Art von hochgestochener Perspektive. Das war, wie er überzeugend weitergibt, sein Rezept zum Erfolg: “Während Filme über Musik im Allgemeinen auf ein bereits kenntnisreiches Publikum ausgerichtet sind, habe ich eine intuitive Ader dafür, was das Publikum sehen will und womit es sich identifizieren kann,” sagt er. Dies trifft sicherlich auf die Filme in Rosens umfassender Filmographie zu, die ich die Gelegenheit hatte, zu sehen. Ein gutes Beispiel wäre sein Meisterstück The Maestro, ein Film über den legendären Dirigenten Arturo Toscanini, in dem Rosen von dem üblichen Weg abweicht, die tatsächliche musikalische Karriere des Maestros darzustellen und stattdessen sich darauf konzentriert, wie der berühmte Dirigent seinen Status nutzte, um ideologisch den Faschismus zu bekämpfen. Natürlich ist es die Musik, die wesentlichen Soundtracks dieser Dokumentarfilme über Persönlichkeiten aus der Musikwelt, die die anhaltende Besonderheit der Geschichten ausmacht; der Instrumentalbegleitung, die der Entwicklung der Geschichte folgt und ihre Höhepunkte ausdrückt. Die wesentlichen Botschaften, die Rosens Filme mit scharfsinniger Perspektive vermitteln, gehen über seine Erkundung der menschlichen Natur durch die Anstrengungen der Charaktere unter widrigen Bedingungen hinaus, drücken ihre Entwicklung und individuelle Freundlichkeit aus und beleuchten die äußersten Höhen ihrer künstlerischen Leistung. Und das ist die Art emotionaler Beziehung, auf die das Publikum beim Musik- wie beim Filmemachen mit Applaus reagiert.
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Monday, November 3, 2014

Im Equilibrium der Künste: Der Pianist Roman Rabinovich

Dunkelheit, und dann der evokative, fast schon abstrakte Klang eines Tongemäldes für Klavier und Cello. Eine Leinwand zeigt den weiten Blick auf die New Yorker Skyline bei Nacht, und Bild und Klang scheinen wie im Gespräch. Die Kamera sucht und findet einen jungen Maler, zeigt, wie er in seinen Entwürfen zu verschiedenen Selbstporträts nach künstlerischer Perfektion strebt. Realität, Vision und Selbstzweifel verschwimmen, die Musik hält zusammen, was auseinanderzudriften droht … http://youtu.be/AQSbmf9-Pow (Selbstportrait : Roman Rabinovich)
“Portrait” heisst dieses Kurzfilmportrait des Pianisten und Malers Roman Rabinovich, das eine fast schon satirisch anmutende Mischung aus Chaos, Angst und Verzweiflung als essentiellen Teil des künstlerischen Prozesses darstellt. Im wirklichen Leben zeigt sich Roman Rabinovich jedoch als jemand, der diesen inneren Kämpfen nicht nur gewachsen ist, sondern fast schon geläutert aus dem Prozess hervorgeht. (Foto: Balazs Borocz)
Was natürlich nicht heissen soll, dass dem 1985 im usbekischen Taschkent geborenen israelischen Pianisten die Qualen eines konsequenten Strebens nach Perfektion unbekannt sind.
Sein Debut gab der 10-jährige Rabinovich mit dem Israeli Philharmonic Orchestra unter Zubin Mehta. Dem folgten Jahre intensivster Studien mit Lehrern wie Arieh Vardi an der Rubin Academy of Music in Tel Aviv, Seymour Lipkin am Curtis Institute of Music in Philadelphia und Robert McDonald an der New Yorker Juilliard School. 2008 dann der Triumph: Rabinovich gewinnt den Arthur Rubinstein International Piano Master-Wettbewerb. Der Lernprozess geht weiter.
“Mich inspirieren viele Dinge”, sagt Rabinovich. “Zunächst natürlich die Musik grosser Komponisten. Es ist ein aussergewöhnliches Privileg, durch die Musik in direkten Kontakt mit den Komponisten zu treten. Je mehr man über ihre Musik lernt, desto realer werden sie als Menschen. Und dann inspirieren mich die kreativen Musiker, mit denen ich arbeite. Manchmal ist es auch ein wunderbares Klavier, oder eine bestimmte Konzerthalle, oder die Energie, die vom Publikum ausgeht.”
Doch dann schränkt er ein: “Inspiration ist ein ausgesprochen mysteriöser und flüchtiger Prozess. Ein guter Auftritt basiert auf penibler Vorbereitung, harter Arbeit und strenger Disziplin.” (Foto: Balazs Borocz)
Auf seiner Zielgeraden in Richtung Exzellenz und Genauigkeit hatte Rabinovich kürzlich die Gelegenheit, den Pianisten András Schiff zu treffen. Dessen Können beschreibt er als ‘perfektes Gleichgewicht von Verstand, Händen und Herz’, und vor allem dafür bewundert er den Ausnahmepianisten. Im Rahmen von Schiffs Carnegie Hall-Meisterklassen unter dem Titel “Bach and Beyond” spielte Rabinovich schliesslich für sein Idol: “Es war ein Schlüsselerlebnis für mich”, sagt er. “Diesen grossen Künstler zu treffen hat zu neuen Impulsen in meiner eigenen Entwicklung geführt, und es ist eine grosse Ehre, mit ihm in Europa zu arbeiten und von seinen wertvollen Ratschlägen und profundem Wissen in Sachen Musik und Kunst profitieren zu können.”
Für die Eröffnungssaison 2014/15 seiner neuen Konzertserie András Schiff Selects: Young Pianists wählte Schiff Rabinovich als einen von drei jungen Pianisten aus, die er als die nächste Generation von Künstlern präsentieren möchte.
Das Programm mit Werken von Bach, Brahms, Bartók und Smetana bietet Rabinovich die Möglichkeit, sein Feingefühl für eine breite Palette von Klaviermusik unter Beweis zu stellen.
Während San Franciscos Classical Voice den Musiker für dessen individuelle, ja ergreifende Interpretationen lobte, und ihm “reifes und selbstbewusstes Spiel jenseits seines Alters” attestierte, erklärt Schiff seine Wahl wie folgt:
“Roman ist ein sehr talentierter junger Pianist, hochintelligent und pfiffig und wirklich authentisch. Er verdient es, gehört zu werden und ich hoffe, dass ich ihm dabei helfen kann.”
Die beiden anderen Pianisten in der Serie sind Kuok-Wai Lio, wie Rabinovich Absolvent des Curtis Instituts (Lio sprang kürzlich für den legendären Radu Lupo bei einem Town Hall-Konzert in New York ein), und Adam Golka, Gewinner des Gilmore Artist-Preises 2008.
Ein weiterer Meilenstein auf Rabinovichs Weg ist sein “Ballets Russes”-Album vom März 2013, für das er von der Classical Recording Foundation als ‘Künstler des Jahres’ ausgezeichnet wurde. Das Album ist nicht nur ein Beispiel für die gefühlsintensiven und eindrucksvollen Darbietungen des Pianisten, sondern auch für die einfallsreichen Arrangements von Werken, die bislang nicht als Solo-Material galten.
Prokovievs “Romeo and Juilliet”, Ravel/Rabinovichs “Daphnis und Chloe”, und Stravinskys “Petrushka” hatten es Rabinovich schon länger angetan, was letztendlich an der starken Verbindung der Werke zu den Ballets Russes liegen mag:
(Roman Rabinovich:Patrushka und Ballerina)
“Wenn auch zu unterschiedlichen Zeiten, und ästhetisch verschieden, ist doch der Einfluss eines Mannes immer spürbar: Sergei Diaghilev, eine Naturgewalt,” erklärt Rabinovich. “Die Werke sind Teil der Ära, in welcher der Schöpfer der Ballets Russes wirkte, und diese Ära beeinflusste die künstlerischen Trends der nächsten Generation auf entscheidende Weise, indem sie Avantgarde-Musik, Tanz und Kunst zusammenbrachte und neu interpretierte”, erklärt Rabinovich.
Leon Bakst, der das berühmte Bühnenbild für Diaghilevs Produktionen schuf, liefert die Inspiration für Rabinovichs Skizzen und Entwürfe, die figurative Motive aus den Balletten von Prokoviev und Stravinsky umgestalten, und so den Umformungen seiner Transkriptionen von Orchestermusik nicht ganz unähnlich sind: Rabinovichs Transkriptionen verwandeln wesentliche Elemente der Musik in eine intime Auslegung des differenzierten Texts; das komplexe Ballet wird zu einer gezeichneten Repräsentation seiner Hauptdarsteller.
“Visuelle Kunst und Musik haben eine ganze Menge Parallelen – Farben und Linien, Form, Struktur und Textur … sie ergänzen einander und beide Kunstformen fördern meine Kreativität. Ich würde weder die eine noch die andere missen wollen”, kommentiert Rabinovich sein Doppeltalent.
Seine künstlerischen Darstellungen der Petrushka, der Ballerina, die der Daphnis, oder die Zeichnungen von Romeo and Juilliet, sind - wie auch seine musikalischen Arrangements - Teil einer Homage an eine Zeit mit einem ganz spezifischen künstlerischen Flair: dem Paris des frühen 20. Jahrhunderts – einer Stadt voller künstlerischer Dynamik und gegenseitiger Bereicherung, eine Metropole, deren kreatives Ambiente weit über ihre Grenzen hinaus strahlte.
Vielleicht ist es genau dieses Ambiente, das junge Künstler wir Rabinovich in der heutigen zielorientierten Zeit vermissen.
Der Prozess künstlerischer Erkundung mit Gleichgesinnten, und Inspiration durch Interaktion sind denn auch die Elemente, die Projekte wie den Kurzfilm “Portrait” entstehen liessen. Wenn auch das Resultat etwas selbstgefällig scheint, so hat diese Dynamik, wie schon in den Pariser Künstlerkolonien der Zwanziger Jahre, das Potential, medienübergreifende Werke zu schaffen, die den Kern der künstlerischen Erfahrung authentisch wiedergeben.
Der Ausgangspunkt für den Film, der seine Premiere beim Morab Music Festival 2013 in Utah hatte, war eine Komposition von Michael Brown.
“Die Zusammenarbeit hat wirklich Spass gemacht“, sagt Rabinovich über seine Arbeit mit Cellist Nicholas Canellakis and Komponist und Pianist Michael Brown, mit denen er die Musik zum Film aufnahm.  Beide Musiker sind enge Freunde Rabinovichs, und haben vor kurzem ein Duo gegründet. Bekannt sind sie auch für ihre satirische Interview-Show auf YouTube, “Conversations with Nick Canellakis”. Die Gruppe trifft sich regelmässig, um zusammen zu spielen und zu komponieren.
“Nick und ich sind alte Freunde; wir haben uns 2003 am Curtis Institute of Music getroffen und seither spielen wir zusammen. 2008 dann trafen wir Michael, einen ausgezeichneten Pianisten, am Ravinia's Steans Institute for Young Artists in Chicago, und wir klickten sofort. Wir lieben es, zusammen zu improvisieren, und inspiriert durch meine ‘surface paintings’ schreibt Michael zur Zeit ein Klavierstück für mich.”  (Roman Rabinovich)
Man kann diese Art von Zusammenarbeit zwischen hochtalentierten jungen Künstlern nur begrüssen, und die polymorphe gegenseitige ‘Befruchtung’ über verschiedene Kunstformen hinweg stellt eine Bereicherung für die klassische Musikszene dar. Und vielleicht ebnet sie auch den Weg, auf dem Roman Rabinovich seinem Ideal näher kommt – dem perfekten Equilibrium zwischen Verstand, Händen und Herz, das er an András Schiff so bewundert …
Erschienen in PianoNews November 2014