Thursday, October 31, 2013

‘Peoples Symphony’ Konzerte –Frank Salomons Musikoffenbarung für das Volk



’Town Hall’
Für die ‘Peoples Symphony’ Konzerte wird nicht wirklich geworben und dennoch sind die Veranstaltungsreihen an den beiden Spielstätten, tagsüber die ‘New York City Town Hall’ und am Abend die ‘Washington Irving High School’ dank ihres begeisterten und treuen Publikums, das diese weitgehend durch Abonnements unterstützt, normalerweise ausverkauft.
Angeregt durch die Lehren, durch den intimen Kontakt mit den Großen in der Welt klassischer Musik erlernt, ist es die anhaltende Aufgabe von Impresario Frank Salomon, diese großen Werte jedem Publikum zugänglich zu machen, wie er sagt: “im guten alten sozialistischen Geiste.” Die Idee, es jedem recht zu machen, der sich nach großartigen Konzerten sehnt, unabhängig wie hoch auch das Einkommen sein mag, ist die Botschaft, der Konzerte der ‘Peoples Symphony’ seit ihrer Gründung im Jahre 1913.
Das Zielpublikum ist gleichermaßen jung und alt und die Vorstellungen zielen besonders auf Musikliebhaber mit einem geringen Einkommen ab, die das Privileg zu schätzen wissen, eine hervorragende Auswahl von Künstlern zu hören, unter ihnen Superstars der klassischen Musikszene, die alles möglich machen, indem sie nur für den Bruchteil des gewöhnlichen Honorars auftreten.
Es ist das ethische Prinzip, das es allen möglich sein sollte, aus ihrer kulturellen Wertschätzung Nutzen zu ziehen, die es dieser sehr etablierten Reihe erlaubt hat, zu bestehen. Klassische Musik wird oft dafür kritisert, nur seinem elitärem Establishment zu gehören, aber dieses Brandmal gilt mit Sicherheit nicht für die ‘Peoples Symphony’ Konzerte.

Die Konzerte werden in drei verschiedenen Reihen vorgestellt’.  Die Arens und Mann Reihe finden an der ‘Washington Irving High School’ und die Festival Reihe findet Sonntag nachmittags in der historischen ‘Town Hall’ statt, einem Saal, in dem Isaac Stern, Janet Baker und viele andere großartige Künstler ihre New York Debüt Auftritte hatten. Die zwei Reihen am Samstag Abend, die nach Franz Arens, dem ursprünglichen Gründer der ‘Peoples Symphony’ Konzerte und nach Joseph Mann, der 59 Jahre lang der Organisation als Manager diente, benannt worden sind, haben so legendäre Künstler wie Claudio Arrau, Gina Bachauer, Josef Szigeti und Isaac Stern vorgestellt. Nach seinem Tod im Jahre 1973 wurde Frank Salomon der Manager der ‘Peoples Symphony’ Konzerte.
Als die Reihe im Jahre 1900 ihren Anfang hatte, fanden die Konzerte im alten Saal der ‘Cooper Union’ statt.” Diese Konzerte wurden von Gönnern wie Nora Godwin, Henry Clay Frick, William K. Vanderbuilt, Mrs. Otto Kahn und Solomon und Danile Guggenheim gesponsert. Der erste Vorsitzende der ‘Peoples Symphony’ war Severo Mallet-Prevost. Im Jahre 1918 wurde das Orchester, das der Reihe seinen Namen gegeben hatte, aus Kostengründen in den Ruhestand versetzt und nur die Kammerkonzerte und die Solo Konzert Programme wurden fortgeführt. In den Siebziger Jahren wurde die Festival Reihe von der ‘Washington Irving High School’ an Samstag Abenden in die ‘Town Hall’ an Sonntag Nachmittagen verlegt, um Familien und den Mitgliedern des Publikums entgegenzukommen, denen es unmöglich war, abends auszugehen.
Bei den Konzerten der ‘Peoples Symphony’ kosten die Eintrittskarten jeweils 13 Dollar, aber bei sowohl der Arens als auch der Mann Reihe’, werden die Eintrittskarten für jeweils eine Reihe von sechs Konzerten für einen Preis von 37 Dollar verkauft, und bei den Festival Reihen für 39-59 Dollar.  Für diese geringe Gebühr bekommt man bei vielen anderen Konzerten gerade mal eine Eintrittskarte, also ist das Abonnement für die Stammgäste seinen Preis wert, selbst dann, wenn ein oder zwei Auftrittstermine verpasst werden. Wenn das passiert oder ein Abonnent sein Abonnement kündigt, mag ein begeisterter Kunde in der letzten Minute das Glück zusätzlicher Verfügbarkeit haben. “Oft erfahren wir einen Ansturm auf die Stehplätze,“ meint Salomon während unseres Interviews in seinem bescheidenen Geschäftsführungsbüro, dem Ort von ‘Frank Salomon and Associates’ im siebten Stock des unscheinbaren Gebäudes in der West 27th Street. Ein kleiner Konferenztisch, der von wenigen Arbeitsbereichen für Büromitarbeiter umgeben ist, scheint an Größe zu gewinnen, als sich Salomon vorstellt, sich hinsetzt und damit beginnt, einige seiner Anekdoten kundzutun, indem er eine Erzählung spinnt, die mit vielen Namen großartiger Musiker gespickt ist, mit denen er während seiner langwährenden Karriere in Berührung kam und ihm viele Türen geöffnet haben. Ohne sein großes Talent, seine Freunde hinter den Kulissen mit den Auftritten der Künstler auf der Bühne in Verbindung zu bringen, wäre die moderne Geschichte der ‘Peoples Symphony’ Konzerte unvorstellbar. Die Künstler in Salomons Leben sind unumstößlich mit seiner Vision für die Reihe verbunden, die eine der wenigen ist, die die Wichtigkeit, Musikprogramme günstig und zugänglich zu machen, befürwortet.
Salomon ruft die festen Wurzeln in Erinnerung, die seine Eltern im Bereich deutscher Hochschulen und der Medizin hatten, bevor sie sich 1935 auf Ellis Island ankommend als jüdische Immigranten wiederfanden. Gefühlsgeladen beschreibt er, wie hart es für sie war, ihr Leben im amerikanischen Exil wiederaufzubauen, nachdem der Vater, ein gelehrter Soziologe und ein Opfer von Kinderlähmung, von dem Mitbegründer und Präsidenten Alvin Johnson engagiert worden war, der neu gegründeten Graduierten Fakultät an der ‘New School’ in New York beizutreten. Seine Mutter war Ärztin, aber praktizierte nicht in den USA und seine Großtante Alice Salomon gründete in Berlin die nun ‘Alice Salomon University’ genannte Lehreinrichtung für Sozialarbeit, von der angenommen wird, die erste in der Welt zu sein.  Salomon erinnert sich, als Fünfjähriger an einem Abendessen ihr zu Ehren, in einem der großen New Yorker Hotels teilzuhaben, und sich den ganzen Abend zu fragen, ob er eine der amerikanischen Fähnchenen, die als Tischdekoration dienten, mit nach Hause zu nehmen dürfe.  Nach all den Ansprachen wurde er aufmerksam, als drei Musikerfreunde seiner Großtante hervortraten, um zu spielen - das Busch-Serkin Trio.  Wer hätte ahnen können, dass achtzehn Jahre später der kleine Junge eine mehr als dreißig-jährige Beziehung zu Rudolf Serkin und eine noch immer andauernde, mehr als fünfzigjährige Beziehung mit der ‘Marlboro Music School’ und dem Festival in Vermont aufbauen würde und sein Leben verändern würde. Er beschreibt die Weltanschauung seiner Eltern und ein Milieu in dem Kultur im Allgemeinen, und Musik und Theater im Besonderen eine lebhafte Rolle spielten, was die Richtung für sein späteres Mitwirken bei der darstellenden Kunst tonangebend war.
Salomon ist nicht selbst ein Musiker, sieht man von einem kurzen Beitag als Mitglied des ‘Interracial Fellowship Chorus’ ab, während er seinen Studienabschluss am College der New York University absolvierte. Er hatte aber immer die Gabe, Konzertveranstaltungen zu organisieren. Er arrangierte Interviews für den Dirigenten des Chors und Besprechungen ihrer Konzerte mit der New York Times und dem Radiosender WQXR und er half dabei, die Auftritte des Chors zu arrangieren und schmiedete so schon früh eine Verbindung zum Veranstaltungsort ‘Town Hall’.
Dennoch, nach seinem Reservistenprogramm bei der Nationalgarde im Alter von 22 Jahren war Salomon sich noch unsicher, welchen Weg er einschlagen sollte. Es war 1959 und Eva Simons, die Ehefrau des Präsidenten der ‘New School’ Hans Simons hatte damit begonnen, dort mit Alexander Schneider, dem energetischen Virtuoso Violinisten des berühmten Budapest Quartetts und einer aktiven Kraft in der klassischen Musikwelt, eine Konzertreihe zu beginnen. “Schneider wollte 1 Dollar pro Eintrittskarte,” erinnert sich Salomon. Schneider war auch eine Hauptfigur beim Marlboro Festival und als Mrs. Simons dort im Jahre 1958 als Freiwillige mithalf, konnten sie beide Rudolf Serkin davon überzeugen, einem Auftritt bei einem Benefiz-Konzert für die beiden Organisationen zuzustimmen. Salomon wurde angestellt, um die Veranstaltung zu organisieren und für diese zu werben. “Es gab so einen zu großen Zulauf an Zuschauern für Schneiders reguläre Konzerte für 1 Dollar, so dass zwei Auftritte anberaumt werden mussten – eines fand um 3 Uhr, das andere um 9 Uhr statt. Schwer vorstellbar, Serkin hatte zugestimmt, sein immenses Programm – die Waldstein und die letzten drei Beethoven Sonaten zweimal am Tag zu spielen!” Salomon ist noch jetzt darüber erstaunt. Dieses bemerkenswerte Benefiz-Konzert am 17. Mai 1959, stellate ausserdem eine Ausnahme hinsichtlich des üblichen 1 Dolloar pro Eintrittskarte Grundsatzes dar, und brachte dadurch sowohl der New School als auch dem Marlboro Festival einen erheblichen Profit ein.  Es kennzeichnete ebenso Solomons offiziellen Einstieg in das Musikgeschäft.

                                                                                                                                 Foto:@getclassical - Frank Salomon
Nachdem er Rudolf Serkin von Mrs. Simon vorgestellt worden war, begann Salomon im folgenden Jahr bei Marlboro als Teilzeitkraft neben Fagottist Anthony Checchia, der die schnell anwachsende Verwaltung von Marlboro übernommen hatte. Marlboro wurde zu viel mehr als nur einem Job, war es doch zugleich ein Kennzeichen Salomons Zugehörigkeit und lebenslangen Verpflichtung einer Wahlfamilie gegenüber und seiner unablässlichen Begeisterung.
Heute arbeitet Salomon immer noch eng mit Anthony Checchia zusammen, den er als einen teuren Freund beschreibt: “Ich mache Witze, dass wir miteinander sogar länger als mit unseren Ehepartnern verheiratet sind, die wir beide bei Marlboro kennengelernt haben.” Salomon beschreibt mit großer Bewunderung Marlboro zu Zeiten seines Gründungsveteranen Rudolf Serkin. “Er hatte Intuition und eine großartige Vision,” meint er. Als wir das sechzigjährige Jubiläum von Marlboro feierten, wurde mir klar, dass die Art und Weise, wie man sich hier mit Musik befasst, ebenso mit den Lehren des Lebens selbst als auch mit den Musiklehren zu tun hat.“ Zusammen Kammermusik zu spielen, erfordert von einem nicht nur, seinen eigenen Anteil zu kennen, sondern die gesamte Partitur. Man muss zuhören lernen – und lernen, Kompromisse zu schließen. Man muss in der Lage sein, viele Stimmen zu einer zu bündeln, um die Vision des Komponisten wahrhaftig rüberzubringen. Man hat die Chance, die Musik ständig neu zu entdecken und damit einher geht ebenso viel Selbstfindung. “
Salomon erklärt die einzigartige Situation, die Marlboro bietet, unterscheidet dessen Atmosphäre von der üblichen Eile und dem Mangel an Zeit für Proben an anderen Orten und erklärt, wie es ein ruhige, großartige Umgebung darstellt, in der es den Künstlern möglich ist, die Musik intensiver zu erkunden. “Manchmal arbeiten die Musiker die gesamten sieben Wochen an einem Stück und man entdeckt vieles mehr als nur die Noten und die notwendigen Techniken, das Stück zu meistern. Es geht wahrhaftig um die Musik und deren Menschlichkeit und soweit ich weiß, findet das bei keiner anderen Einrichtung eine Entsprechung, auf der gleichen Ebene.”
Ein weiterer menschlicher Aspekt von Marlboro, der es so vielen nah ans Herz legt, ist das Gefühl, einer größeren Familie anzugehören, die man erlebt, wenn man das Festival besucht. “Serkin selbst hatte sechs Kinder und seinen Famile verhalf zu einem Gefühl dieser erweiterten Gross-Familie. Eines der großartigen Momente für jeden ist das Zusammensein im Speisesaal, wo viele Generationen ihre Mahlzeit miteinander teilen und miteinander ins Gespräch kommen. Und dann gibt es natürlich die Idee, die von Marlboro ihren Ausgang nahm, dass junge Künstler mit dem Meister zusammenspielen sollen, statt von ihm betreut zu werden  - wie ein Lehrling im Mittelalter - das Lernen durch diePraxis, wird hier noch praktiziert.” Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, das dieses einen Austausch schafft, der wirklich begeistern kann und das sich hier eine neue Generation selbstbewusster und kreativer Auftrittskünstler entwickeln kann.
                                                                                                                                                                                                                   Foto:@getclassical - Frank Salomon
Im Jahre 1964 führte eine Sache zur anderen und Salomon begann mit seiner eigenen Management Firma, deren Liste von Pianisten allein schon Meister wie Leon Fleisher und Richard Goode umfasst. “Alle Einflüsse in meinem Leben kamen zusammen und die Tatsache, dass ich alle die fantastischen Talente durch Marlboro kannte, half mir enorm dabei, ein besserer Manager und Verwalter zu werden.”
“Alexander Schneider nun, der als Mitglied des Budapest Quartetts bei der ‘Peoples Symphony’ aufgetreten war freundete sich mit Joseph Mann, meinem Vorgänger bei der ‘Peoples Symphony’ an. Mann kam zur Schneider Konzert Reihe und wir lernten uns so kennen.
Er lud Schneider jedes Jahr dazu ein, mit Künstlern seiner Wahl zu kommen, einschließlich von Pianisten wie Peter Serkin, Rudolf Serkins Sohn, und Murray Perahia, neben anderen Marlboro Musikern.  Als ihn seine Gesundheit im Stich ließ, bat mich Mann, nach einer kurzen Zusammenarbeit in der Saison 1972-1973 darum seine Nachfolge anzutreten. Wir arbeiteten bis zu seinem Tode im Jahre 1973 zusammen.” 
Salomon entwickelte eine wahre Leidenschaft und die ‘Nase’ dafür, wirkliche Talente zu entdecken. Etwas   was er als eine ‘periphere Sicht’ bezeichnet. Als solches Talent schätzt er etwa Künstler ein, die mit ganzem Herzen die Absichten des Komponisten kommunizieren können und dadurch die Fähigkeit besitzen, andere zu bewegen, ohne sich selbst in den Vordergrund zu stellen.
Schneider selbst war von der Geschäftsseite des Musikgeschäfts enttäuscht und wollte es als eine Leidenschaft erhalten wissen. Gelegenheit brachte die vielen verschiedenen Rollen die Salomon, als Manager, Verwalter und Produzent vereinte, unter einen Hut. In seinem Fall vereinigt sich sein Wunsch durch Musik einen Unterschied im Leben der Leute auszumachen auf einer kleinen Visitenkarte. Er bringt eine großer Reichweite an weltbekannten Künstlern mit sich, die ebenso das Massenpublikum als auch das Nachwuchstalent anziehen; und er agiert mit voller Kraft sowohl bei Marlboro, bei ‘New School’ Konzerten (der ehemaligen Schneider Konzertreihe) und bei den ‘Peoples Symphony’ Konzerten.


Der neu renovierte ‘Washington Irving High School’ Konzertsaal - Foto:@getclassical
“Unser Publikum ist begeistert und Künstler genießen es hier, fast jedes Mal vor einer Menge von 1300-1400 Zuschauern aufzutreten. Es ist Dank dieser großartigen Künstler, die uns helfen, die Eintrittskarten zu verkaufen und das Publikum anzulocken und es uns möglich machen, auch junge und weniger namhafte Künstler vorzustellen. Wer möchte nicht Radu Lupu bei seinem einzigen New Yorker Konzert in diesem Jahr, in der ‘Town Hall’ hören? Es funktioniert dank dieser großartigen Künstler, die die ‘Peoples Symphony‘ Konzerte finanzieren, indem sie minimale Gebühren akzeptieren…weil sie an unsere Mission glauben: an den Wert großartige Musik zu erschwinglichen Preisen zu präsentieren,” meint Salomon.
Salomons Verständnis der unterschiedlichen Bedürfnisse und Vorlieben seines Publikums machen kein Halt vor dem Portemonnaie: Die Sitzplätze in der ‘Irving High School’ sind nicht reserviert, so dass man zusammensitzen kann, selbst dann, wenn man in letzter Minute kommt. Die Sitze in der ‘Town Hall ‘sind dagegen gepolstert und reserviert und sind auf ein Publikum zugeschnitten, das den Nachmittag vorzieht,” bemerkt Salomon.
Salomon liebt seine großen Namen, die meisten von ihnen alte Freunde, aber letztendlich geht es bei den Konzerten der ‘Peoples Symphony’ ebenso um die jungen Künstler, die sich noch einen Namen machen müssen, wie um die Großen.  Salomon ist darauf unglaublich stolz: “Die Leute kaufen ihre Eintrittskarten wegen der Namen, die sie kennen – aber sind dann oft überrascht, wenn sie neues Talent hören und die Vorstellung ebenso oder noch mehr genießen. Es liegt etwas Aufregendes in der Luft – die Vorstellung von etwas Neuem.”  Eines dieser aufstrebenden Talente, die bemerkenswert sind, ist das ‘Israeli Chamber Project’. Das junge Ensemble wird 2014 in der ‘Town Hall’ auftreten.
Mitglieder des Publikums haben der ‘Peoples Symphony’ großartige Dinge zugeschrieben. “Eine Frau im Publikum, die vor kurzem ihren Ehemann verloren hatte, schrieb: “Ihr, die Leute mit den wunderbaren Konzerten, die ich besuchen kann, ihr haltet mich am Leben” teilt Salomon mit und strahlt dabei ein bisschen.  In der Tat eine wertvolle Kritik und eine Anregung, das nächste Konzert zu planen!  Foto:@getclassical - Bühne der ‘Washington Irving High School’

Wednesday, October 30, 2013

Wagners Juden – Ein Dokumentarfilm von Hilan Warshaw

Richard Wagners zweihundertster Geburtstag in diesem Jahr war und ist Gegenstand einer ganzen Reihe kultureller Aktivitäten. Einer der interessantesten Beiträge ist Hilan Warshaws Dokumentarfilm “Wagners Juden”. Overtonefilms
Die Wagner Society of New York präsentierte den 55-minütigen Film kürzlich am Barnard College der renommierten Columbia University in New York. Hauptgegenstand des Films sind Wagners Beziehungen zu den jüdischen Mitgliedern seines Kreises. Der Dokumentarfilm wurde in Deutschland, Italien und der Schweiz gedreht und stellt jüdische Künstler vor, die zu leidenschaftlichen Anhängern des Komponisten wurden, und eine kritische Rolle für dessen Erfolg spielten.
 
Es mag überraschen, dass Wagner sich mit jüdischen Künstlern und Freunden umgab, hatte er doch durch die Veröffentlichung seiner zutiefst antisemitischen Schrift unter dem Titel “Das Judenthum in der Musik” keinerlei Zweifel daran aufkommen lassen, wie sehr er die Juden verachtete. Filmautor Warshaw erläutert, dass es jenseits der Betroffenheit seiner jüdischen Anhänger und Unterstützer über die Schrift genau dieser Antisemitismus war, der oftmals zu einer geradezu pervertierten gegenseitigen Abhängigkeit zwischen Wagner und seinen jüdischen Freunden führte. Es besteht wenig Zweifel darüber, dass Wagner die tiefstliegendsten Verletzlichkeiten seiner jüdischen Freunde ins Visier nahm. “Wagner umgab sich nicht mit Juden, obwohl sie Juden waren, sondern weil sie Juden waren”, sagt Warshaw. Und er fährt fort: “Wissenschaftler, die Wagners intensiven Antisemitismus angesichts seines Umgangs mit Juden in Frage stellen, übersehen viele der Nuancen dieser sehr speziellen Beziehungen. Der Angstfaktor motivierte die Psyche des deutschen Judentums, das gerade erst seine politische Unabhängigkeit gewonnen hatte, und seine kulturelle Gleichstellung erst noch unter Beweis stellen musste; dies zu einer Zeit, in der sich der Antisemitismus verschärfte. Wagner nutzte den Eifer der Juden, sich zu beweisen, schamlos aus, und ‘erlaubte seinen Juden’, sich selbstlos für seine Interessen einzusetzen. So durften sie Partituren kopieren und Gelder beschaffen, und somit ihren Beitrag zur deutschen Kultur leisten.”
Viele junge jüdische Musiker wurden zu glühenden Anhängern Richard Wagners, und trugen nicht nur zur Verbreitung seines Werkes bei, sondern sorgten auch dafür, dass die finanzielle Grundlage seines Schaffens gesichert war.
Unter ihnen waren Künstler wie der hochbegabte junge Pianist und Komponist Carl Tausig, sowie der Orchesterdirigent und Komponist Hermann Levi, Sohn eines Rabbi, der seinen Vater dazu drängte, Mitglied der Wagner-Gesellschaft zu werden. Levi widersetzte sich jedoch Wagners Forderung, zum Christentum überzutreten, und drohte, dessen Mission nicht länger zu unterstützen. Der Bariton und Theaterintendant Angelo Neumann machte sich europaweit mit Wagnerinszenierungen einen Namen, und der junge Joseph Rubinstein, viele Jahre lang Teil der Familie Wagner, nahm sich nach Wagners Tod das Leben.
Stellungnahmen heutiger Künstler zu Wagners Antisemitismus fallen oft differenziert aus. So meint der jüdische Star-Pianist Evgeny Kissin in Christopher Nupens Holocaust-Film “We Want the Light” (2004), dass “… ein Talent oder Genie und dessen Persönlichkeitsmerkmale  einfach nicht dasselbe [sind].” Und Zubin Mehta, Dirigent des Israel Philharmonic Orchestra, gibt zu bedenken, dass ein Verzicht auf Wagner - Wegbereiter von Komponisten wie Bruckner, Mahler und Schönberg - dem Genuss von Früchten eines Baums, dessen Wurzeln man ignoriert, gleichzusetzen ist. (ebenfalls in Nupens “We Want the Light”). Andererseits respektiert Mehta die Gefühle der Generation von Überlebenden des Holocaust.
Warshaw sagt, dass ihm der Film die Möglichkeit bot, seine eigene Ambivalenz Wagner gegenüber zu erkunden. Gross geworden ist er in einer Musikerfamilie, in der dem jungen Hilan eine Begegnung mit der Musik Wagners verwehrt blieb; erst seine Musikstudien in Violine und Komposition gaben ihm die Gelegenheit, sich mit Wagners Werk auseinanderzusetzen. “Es gab derart viele Assoziationen zu Wagner, die mit den Verlusten meiner Familie und den Tragödien der Nazi-Zeit zusammen hingen, und darum wurde das Radio bei Wagner ausgemacht. Als ich dann die Möglichkeit hatte, Wagners Musik zu studieren und zu spielen, fand ich sein Werk sehr markant, ja geradezu elektrisierend. Und als ich anfing, Filme zu machen, wurde mir klar, dass Wagner, was die Verbindung zwischen Musik und Film angeht, eine sehr prägende Gestalt war. Frühe Filmkomponisten wie Erich Korngold und Max Steiner, (“Gone with the Wind”) haben auf Wagners Leitmotiven und seiner unendlichen Melodie aufgebaut.”
Sein formales Musikstudium gab Warshaw eine emotionale Distanz zur Person Wagners, und er lernte, Wagners Kreativität zu schätzen.
“In gewisser Hinsicht denkt Wagner wie ein Filmkomponist”, sagt Warshaw. “Seine dramatische Vision ist eine Art Vorläufer der Filmkunst. Wagners Opern sind niederschmetternd für mich, und ich mache mir keine Illusionen darüber, dass sein Antisemitismus tief im Konzept seiner Kunst verankert ist. Das beunruhigt mich, und muss mich beunruhigen. Aber das ist der Preis, den ich für den Genuss seiner Musik zahle.”
Natürlich gab es auch andere Komponisten, die antisemitische Ansichten vertraten, wie Chopin. Wagner war in dieser Hinsicht jedoch schonungslos offen, und stellte ausserdem eine politische Figur dar.
Der Film thematisiert auch die Wagner-Politik Israels. Obwohl es keinen offiziellen politischen Kodex gibt, der Wagner-Aufführungen verbietet, ist es Musikern und Dirigenten wie Daniel Barenboim, Zubin Mehta und anderen bisher nicht gelungen, Wagners Werk weiten Kreisen von Israelis zugänglich zu machen; dies im Gegensatz zu israelischen Rundfunksendern, wo Wagners Musik oft  gespielt wird. Eine vehemente Opposition beruft sich auf grössere und übergreifende Themen, und es scheint, dass viele Israelis den Neinsagern das Wort erteilt haben.
Der Beginn dieses Konflikts reicht in das Jahr 1938 - das Jahr der Kristallnacht - zurück. Damals war eine Aufführung von Wagners Overture zu “Die Meistersinger von Nürnberg” des späteren Israel Philharmonic Orchestra abgebrochen worden; weitere Aufführungen wurden ebenfalls verhindert. Die Nürnberger Rassengesetze und die Erinnerungen an das gnadenlose Dröhnen von Wagner-Musik aus den Lautsprechern deutscher Konzentrationslager, von denen Überlebende des Holocaust berichteten, führten dazu, dass Wagner aus allen Konzertprogrammen gestrichen wurde…
Selbst die Tatsache, dass viele Wagner-Experten und aufführende Künstler sowie deren Fangemeinde Juden sind, und ein gewisser Jonathan Livny 2011 einen Wagner-Verband in Israel gründete, konnte den Aufschrei der Presse anlässlich der Bayreuth-Reise des Israel Chamber Orchestra unter Roberto Paternostro im Jahre 2011 in keinster Weise mindern.Interview Roberto Paternostro
 
Warshaws Film kann und will nicht alle Fragen zu diesem komplexen Thema beantworten. Der Film setzt jedoch eine Diskussion in Gang und gibt Musikliebhabern und anderen Interessierten Anstösse zu eigener Reflektion. “Das Ziel ist nicht, lediglich die Anklage oder die Verteidigung zu vertreten, sondern es geht um die Darstellung des gesamten Prozesses,” sagt Warshaw.
“Wagner’s Jews” wurde am 19. Mai auf ARTE gesendet; der WDR wiederholt den Film am 18. November 2013.
In den USA wurde der Film bisher an den Universitäten von Yale, Boston und Columbia, sowie am Simon Wiesenthal Center in New York gezeigt, in London am Barbican Centre und am London Jewish Cultural Centre.
In den USA wird der Film von First Run Features vertrieben.

Wagners Juden – Ein Dokumentarfilm von Hilan Warshaw


Richard Wagners zweihundertster Geburtstag in diesem Jahr war und ist Gegenstand einer ganzen Reihe kultureller Aktivitäten. Einer der interessantesten Beiträge ist Hilan Warshaws Dokumentarfilm “Wagners Juden”. Overtonsfilm
Die Wagner Society of New York präsentierte den 55-minütigen Film kürzlich am Barnard College der renommierten Columbia University in New York. Hauptgegenstand des Films sind Wagners Beziehungen zu den jüdischen Mitgliedern seines Kreises. Der Dokumentarfilm wurde in Deutschland, Italien und der Schweiz gedreht und stellt jüdische Künstler vor, die zu leidenschaftlichen Anhängern des Komponisten wurden, und eine kritische Rolle für dessen Erfolg spielten.
Es mag überraschen, dass Wagner sich mit jüdischen Künstlern und Freunden umgab, hatte er doch durch die Veröffentlichung seiner zutiefst antisemitischen Schrift unter dem Titel “Das Judenthum in der Musik” keinerlei Zweifel daran aufkommen lassen, wie sehr er die Juden verachtete. Filmautor Warshaw erläutert, dass es jenseits der Betroffenheit seiner jüdischen Anhänger und Unterstützer über die Schrift genau dieser Antisemitismus war, der oftmals zu einer geradezu pervertierten gegenseitigen Abhängigkeit zwischen Wagner und seinen jüdischen Freunden führte. Es besteht wenig Zweifel darüber, dass Wagner die tiefstliegendsten Verletzlichkeiten seiner jüdischen Freunde ins Visier nahm. “Wagner umgab sich nicht mit Juden, obwohl sie Juden waren, sondern weil sie Juden waren”, sagt Warshaw. Und er fährt fort: “Wissenschaftler, die Wagners intensiven Antisemitismus angesichts seines Umgangs mit Juden in Frage stellen, übersehen viele der Nuancen dieser sehr speziellen Beziehungen. Der Angstfaktor motivierte die Psyche des deutschen Judentums, das gerade erst seine politische Unabhängigkeit gewonnen hatte, und seine kulturelle Gleichstellung erst noch unter Beweis stellen musste; dies zu einer Zeit, in der sich der Antisemitismus verschärfte. Wagner nutzte den Eifer der Juden, sich zu beweisen, schamlos aus, und ‘erlaubte seinen Juden’, sich selbstlos für seine Interessen einzusetzen. So durften sie Partituren kopieren und Gelder beschaffen, und somit ihren Beitrag zur deutschen Kultur leisten.”
Viele junge jüdische Musiker wurden zu glühenden Anhängern Richard Wagners, und trugen nicht nur zur Verbreitung seines Werkes bei, sondern sorgten auch dafür, dass die finanzielle Grundlage seines Schaffens gesichert war.
Unter ihnen waren Künstler wie der hochbegabte junge Pianist und Komponist Carl Tausig, sowie der Orchesterdirigent und Komponist Hermann Levi, Sohn eines Rabbi, der seinen Vater dazu drängte, Mitglied der Wagner-Gesellschaft zu werden. Levi widersetzte sich jedoch Wagners Forderung, zum Christentum überzutreten, und drohte, dessen Mission nicht länger zu unterstützen. Der Bariton und Theaterintendant Angelo Neumann machte sich europaweit mit Wagnerinszenierungen einen Namen, und der junge Joseph Rubinstein, viele Jahre lang Teil der Familie Wagner, nahm sich nach Wagners Tod das Leben.
Stellungnahmen heutiger Künstler zu Wagners Antisemitismus fallen oft differenziert aus. So meint der jüdische Star-Pianist Evgeny Kissin in Christopher Nupens Holocaust-Film “We Want the Light” (2004), dass “… ein Talent oder Genie und dessen Persönlichkeitsmerkmale  einfach nicht dasselbe [sind].” Und Zubin Mehta, Dirigent des Israel Philharmonic Orchestra, gibt zu bedenken, dass ein Verzicht auf Wagner - Wegbereiter von Komponisten wie Bruckner, Mahler und Schönberg - dem Genuss von Früchten eines Baums, dessen Wurzeln man ignoriert, gleichzusetzen ist. (ebenfalls in Nupens “We Want the Light”). Andererseits respektiert Mehta die Gefühle der Generation von Überlebenden des Holocaust.
Warshaw sagt, dass ihm der Film die Möglichkeit bot, seine eigene Ambivalenz Wagner gegenüber zu erkunden. Gross geworden ist er in einer Musikerfamilie, in der dem jungen Hilan eine Begegnung mit der Musik Wagners verwehrt blieb; erst seine Musikstudien in Violine und Komposition gaben ihm die Gelegenheit, sich mit Wagners Werk auseinanderzusetzen. “Es gab derart viele Assoziationen zu Wagner, die mit den Verlusten meiner Familie und den Tragödien der Nazi-Zeit zusammen hingen, und darum wurde das Radio bei Wagner ausgemacht. Als ich dann die Möglichkeit hatte, Wagners Musik zu studieren und zu spielen, fand ich sein Werk sehr markant, ja geradezu elektrisierend. Und als ich anfing, Filme zu machen, wurde mir klar, dass Wagner, was die Verbindung zwischen Musik und Film angeht, eine sehr prägende Gestalt war. Frühe Filmkomponisten wie Erich Korngold und Max Steiner, (“Gone with the Wind”) haben auf Wagners Leitmotiven und seiner unendlichen Melodie aufgebaut.”
Sein formales Musikstudium gab Warshaw eine emotionale Distanz zur Person Wagners, und er lernte, Wagners Kreativität zu schätzen.
“In gewisser Hinsicht denkt Wagner wie ein Filmkomponist”, sagt Warshaw. “Seine dramatische Vision ist eine Art Vorläufer der Filmkunst. Wagners Opern sind niederschmetternd für mich, und ich mache mir keine Illusionen darüber, dass sein Antisemitismus tief im Konzept seiner Kunst verankert ist. Das beunruhigt mich, und muss mich beunruhigen. Aber das ist der Preis, den ich für den Genuss seiner Musik zahle.”
Natürlich gab es auch andere Komponisten, die antisemitische Ansichten vertraten, wie Chopin. Wagner war in dieser Hinsicht jedoch schonungslos offen, und stellte ausserdem eine politische Figur dar.
Der Film thematisiert auch die Wagner-Politik Israels. Obwohl es keinen offiziellen politischen Kodex gibt, der Wagner-Aufführungen verbietet, ist es Musikern und Dirigenten wie Daniel Barenboim, Zubin Mehta und anderen bisher nicht gelungen, Wagners Werk weiten Kreisen von Israelis zugänglich zu machen; dies im Gegensatz zu israelischen Rundfunksendern, wo Wagners Musik oft  gespielt wird. Eine vehemente Opposition beruft sich auf grössere und übergreifende Themen, und es scheint, dass viele Israelis den Neinsagern das Wort erteilt haben.
Der Beginn dieses Konflikts reicht in das Jahr 1938 - das Jahr der Kristallnacht - zurück. Damals war eine Aufführung von Wagners Overture zu “Die Meistersinger von Nürnberg” des späteren Israel Philharmonic Orchestra abgebrochen worden; weitere Aufführungen wurden ebenfalls verhindert. Die Nürnberger Rassengesetze und die Erinnerungen an das gnadenlose Dröhnen von Wagner-Musik aus den Lautsprechern deutscher Konzentrationslager, von denen Überlebende des Holocaust berichteten, führten dazu, dass Wagner aus allen Konzertprogrammen gestrichen wurde…
Selbst die Tatsache, dass viele Wagner-Experten und aufführende Künstler sowie deren Fangemeinde Juden sind, und ein gewisser Jonathan Livny 2011 einen Wagner-Verband in Israel gründete, konnte den Aufschrei der Presse anlässlich der Bayreuth-Reise des Israel Chamber Orchestra unter Roberto Paternostro im Jahre 2011 in keinster Weise mindern.Interview Roberto Paternostro
Warshaws Film kann und will nicht alle Fragen zu diesem komplexen Thema beantworten. Der Film setzt jedoch eine Diskussion in Gang und gibt Musikliebhabern und anderen Interessierten Anstösse zu eigener Reflektion. “Das Ziel ist nicht, lediglich die Anklage oder die Verteidigung zu vertreten, sondern es geht um die Darstellung des gesamten Prozesses,” sagt Warshaw.
“Wagner’s Jews” wurde am 19. Mai auf ARTE gesendet; der WDR wiederholt den Film am 18. November 2013.
In den USA wurde der Film bisher an den Universitäten von Yale, Boston und Columbia, sowie am Simon Wiesenthal Center in New York gezeigt, in London am Barbican Centre und am London Jewish Cultural Centre.
In den USA wird der Film von First Run Features vertrieben.

Friday, October 18, 2013

Scarlatti neu erschaffen - Sandro Russo - Klavier, Transkriptionen und Ehrerbietungen


 

Sandro Russos Scarlatti Recreated, das am 24. Sept, 2013 beim ‘Musical Concepts Label’ herausgegeben wurde, wird durch ein ‘neu erschaffenes’ Repertoire, das höchst originell ist, zu einem ambitiösen und phantastischen Vorhaben. In der Tat gibt es auf dem Album vier Weltpremieren-Aufnahmen, die sich auf Domenico Scarlatti (1685-1757) beziehen. Scarlatti war ein Zeitgenosse von Händel und seine barocken Kompositionen, die größtenteils in Vergessenheit geraten waren, haben jedoch in der Mitte des Zwanzigsten Jahrhunderts neue Popularität erlangt, worauf im Beiheft zur Aufnahme hingewiesen wird. Bei dieser Aufnahme hat es Russo mit extrem schwierigem Material zu tun und er löst dessen Knifflichkeiten mit seinem meisterhaften Verständnis des Genres.  Es gelingt ihm, mit der elegantesten Ehrerbietung, sich den unterschiedlichen stilistischen Kommentaren von Komponisten anzupassen, ohne jemals seine eigene, sensible und persönliche Note zu verlieren.
Der in Italien geborene und in New York beheimatete Sandro Russo ist als außergewöhnlich poetischer Pianist mit einer Begeisterung für die neuentdeckte Freude an den Transkriptionen gepriesen worden. Im Jahre 2005 traf er Vladimir Leyetchkiss auf der Internationalen Konferenz der Rachmaninow Gesellschaft in London, dessen Transkriptionen von Rachmaninows Walzer und Romanze aus seiner zweiten Suite für zwei Klaviere Russos Interesse auf sich zogen. Leyetchkiss sprach Russo an, um einige der Sätze von der Transkription der zweiten Suite während des Konzertabends zu spielen. Leyetchkiss hatte ursprünglich dieses Oeuvre Cyprien Katsaris zugedacht, der es letztendlich nie spielte; Russo hatte sowohl den Walzer als auch die Romanze während der 2008/2009er Konzertsaison mit großem, entscheidendem Erfolg und enthusiastischer Zustimmung von Leyetchkiss uraufgeführt.
Zu Scarlatti Recreated bemerkt Russo: “Die Idee Scarlatti neu zu erschaffen, basierte hauptsächlich auf der Tatsache, dass sein Werk nicht für das moderne Klavier, sondern für das Cembalo konzipiert worden war.” Scarlattis bedeutsamster musikalischer Beitrag ist sein Oeuvre von 555 Klaviertasten – Sonaten, die für Cembalo geschrieben und durch das umfassendste Bezifferungssystem seines Werkes chronologisch katalogisiert wurden, das von Ralph Kirkpatrick im Jahre 1953 geschaffen worden war. Mit einem scharfen Gespür für die geschichtliche Komponente des Klavierspiels, bereitete es Sandro Russo Freude, historische Instrumente zu spielen und das Erleben am Klavier in einen soliden historischen Rahmen zu stellen.Sandro Russo, Foto:Ilona Oltuski@getclassical
Offensichtlich gab es etwas in den intimen und harmonischen Melodien, was eine historische Antwort anregte, eine, die ebenso ein Zeugnis über die Stilrichtungen der Zeit abgibt, in der verschiedene Transkriptionen angefertigt wurden – ob virtuos, romantisch oder ausdrucksstark – wie auch über die Feinheiten von Scarlattis Musik selbst.


Eine  Transkription ist durch eine ihr inhärente Komplexität geprägt. Basierend auf dem Quellenmaterial ruft die Transkription das Original in Erinnerung, aber versucht oft, über sie hinaus zu gehen und fügt einen persönlichen Kommentar hinzu. Dieses hat oft zum Ergebnis, dass harmonische Stimmen oder melodische Ausschmückungen hinzugefügt werden, die sich in komplexe technische Anforderungen an den Pianisten umwandeln. Russos CD stellt Transkriptionen des Materials Scarlattis von Pianisten des 19. und 20. Jahrhunderts vor.  Der in der Mitte des Neunzehnten Jahrhunderts lebende Transkriptionist Carl Czerny erwies Scarlatti zusammen mit anderen Komponisten seine Ehrerbietung, während er im Zentrum der Wiener Klavierkunst arbeitete. Die Piano Virtuosen Carl Tausig und Louis Brassin, die am besten für ihrer Wagner Transkriptionen bekannt sind, fügten Scarlattis Stoff ihr eigenes virtuoses Flair hinzu und nahmen ihre eigenen Interpretationen in eine breitgefächerte und mehrstimmige, orchestrale Konfiguration der ursprünglichen Musik auf.  Zur Jahrhundertwende machte sich Enrique Granados daran, eine Reihe von Scarlattis Sonaten zu transkribieren. Der berühmte Virtuose und Komponist der Mitte des Zwanzigsten Jahrhunderts Ignaz Friedman war zusätzlich zu seinem Spielen von Chopin für seine Bach und Scarlatti Transkriptionen bekannt; der polnische Pianist brachte viele von Chopins harmonischen Einflüssen in die Klangwelt von Scarlatti mit ein. Die Kompositionen des exzentrischen Charles-Valentin Alkan, einem Kollegen von Chopin und Teil des gleichen Bohème-Zirkels in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, ist dafür bekannt, selbst die Grenzen des virtuosesten Klavierspielens auszutesten. In einem seiner Manuskripte bezog er Hinweise auf “Alla D. Scarlatti” mit ein.” Etwas mehr an einer historischen Ansicht des Zwanzigsten Jahrhunderts sind Jean Françaix, Rayomond Leventhal und Michael Habermann interessiert, ein jeder von ihnen nähert sich Scarlatti mit ihrer persönlichen, historischen Perspektive.
Russos eigene Offenbarungen faszinierender Details werden mit großer Souveränität auf Scarlatti Recreated pojiziert, vielleicht am hervorragendsten ausgedrückt in seinem Spielen von Marc-André Hamelins Etüde VI: Esercizio per Pianoforte (Omaggio a Domenico Scarlatti).  Marc-Andrè Hamelin ist bekannt dafür, die Werke weniger bekannter Komponisten (einschließlich von Alkan) und Werke mit Stücken vorzustellen, die viele als schwierig zu spielen ansehen, und dabei unbeeindruckt von ihren unglaublichen Schwierigkeiten, deren besonderen Character, alle Feinheiten inclusive,  zum Ausdruck zu bringen. Der zeitgenössische Pianist/Komponist und Arrangeur erweist Scarlatti in seinen eigenen Worten eine “rein liebevolle Huldigung”, wie im Beiheft bemerkt wird.
Russo gelingt es, den Zuhörer durch die verschiedenen Bezugnahmen hindurch zu fesseln, die sich auf Scarlattis zugrundeliegenden Einfluss auf die Klarheit und Finesse beziehen, was dem Zuhörer ebenso dazu verhilft, einen tieferen Einblick in den ausgefallenen Prozess des musikalischen Komponierens zu gewinnen.
Die Aufnahme ist ein ergreifendes Beispiel von Russos durchdachten und bedeutungsvollen Programmen, die mit großem Einfallsreichtum und musikalischer Fingerfertigkeit ausgeführt werden.
Ilona Oltuski