Friday, July 26, 2013

Miranda Cuckson, eine Violinistin mit Elan


Miranda Cuckson Foto: J. Henry Fair
Als Teil des diesjährigen Golandsky Institute Summer Symposium and International Piano Festival in Princeton erschien die Geigerin/Bratschistin Miranda Cuckson zusammen mit dem Pianisten Yegor Shevtsov  beim Vortrag des renommierten, zeitgenössischen Komponisten Steven Mackey wie auch bei der Konzertveranstaltung des Abends auf der Bühne.
Obwohl die Methode sich ihrem Ursprung nach an Pianisten richtet, ist es dem Symposium in jüngster Zeit gelungen, die Anwendung der Prinzipien des Taubman Ansatzes auszuweiten und auf andere Instrumente anzuwenden. Dank des aktiven Engagements eines Fakultätsmitglieds, der britischen Violinistin Sophie Till, und der Mitbegründerin des Instituts und künstlerischen Leiterin Edna Golandsky ist der Ansatz auf innovative Weise für Violinisten verwirklicht worden.

Während das Festival seinen Schwerpunkt vornehmlich auf ein klassisches Auftrittsprogramm und Repertoire ausrichtet, stellt Edna Golandsky ein überzeugendes Aufgebot an Jazz mit Auftrittskünstlern des Berklee Global Jazz Institute unter der künstlerischen Leitung von Danilo Perez, wie auch einige neue Musik zeitgenössischer Künstler vor; Golandsky, eine allem Neuem gegenüber aufgeschlossene Musikerin steht hinter der Inklusivität ihrer Programmauswahl. Der Schwerpunkt liegt auf der Vortrefflichkeit des Auftritts, egal um welches Genre es sich handelt.
Miranda Cucksons Teilnahme vereint all diese Fähigkeiten auf eine besonders bemerkenswerte Weise. Ihre Fähigkeit, das traditionelle Violinen Repertoire darzubieten ist recht überzeugend und mit großartigem Glanz gelingt es Cuckson mit ihrer virtuosen Darbietung der im Jahre 1996 von Steven Mackey geschriebenen Sonate für Violine und Piano ohne Mühe eine Verbindung zum Publikum herzustellen.
Der sympathische Steven Mackey stellte vor der Darbietung sein Werk beim Vortrag am Golandsky Institut vor; die Präsentation war eine wunderbare Gelegenheit, eine persönlichen Begegnung mit dem Komponisten, Grammy Preisträger und derzeitigem Leiter der Musikfakultät an der Princeton University zu erleben. Mackey wies mit der Hilfe von Cuckson und Shevtsov auf die Unterschiede zwischen dem Ansatz eines klassisch ausgebildeten Auftrittskünstlers und der emotionalen Reaktion eines in der Improvisation geübten Musikers hin, zum Beispiel bei einem Musiker mit einem Rockmusikhintergrund, wie es bei ihm selbst der Fall ist..
Cuckson, Mackey, Shevtsov
Shevtsov, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, für Cuckson eine einfühlsame und elegante, pianistische Begleitung zu bieten, traf anfangs nicht intuitiv die sonderbaren Effekte in Mackeys Konzept mit, aber schließlich stellte er sich auf großartige Weise darauf ein. Von einer tradititionellen, sich an der Partitur orientierenden Musik kommend, sah sich der ausgezeichnete Pianist in Mackeys Musik zwar einer musikalischen Linie, aber einem Mangel an Melodie gegenüber. Sein Takt war fast “zu gut, zu akkurat”, um eine Besänftigung der Tempi und Tonhöhen, wie sie von Sibelius, der computergenerierten Kompositionssoftware konzipiert worden waren, zu erlauben und so in eine Aufführung der Komposition zu übersetzen. Mackeys joviale Haltung reflektierte den Rat seines eigenen Theorielehrers, der ihm für den fall dass er mit Perfektion ringen sollte, gesagt hatte: “Du musst einen trinken gehen.” Nach ihrem ersten Durchgehen des Stückes hatte Shevtsov dann keine Schwierigkeiten das Material mit der nötigen Lässigkeit wiederzugeben, die er beim Auftritt am Abend, mit großer Flexibilität und Sensibilität demonstrierte.
Die Gegenwart des Komponisten erschien für die Konzeption des Stückes von außerordentlichem Wert. Er betrachtet seinen eigenwilligen Stil durchaus als ein individuell ersonnenes, buntes Gemisch musikalischer Stile, die entsprechend struktureller Prinzipien durch einen langen Kompositionsprozess  seine eigenen, höchst persönlichen, musikalischen Ideen optimieren. Ebenso bemerkenswert ist Mackeys Verständnis seiner Rolle als Wegbereiter, der die zwei Musikwelten überbrückt, die eine traditionell und von der Partitur bestimmt, eine Welt, in die er im Alter von 19 Jahren zum ersten Mal eintauchte, als für ihn, einen Improvisationsmusiker, der in Rockbands spielte, die Faszination mit klassischer Musik seinen Anfang nahm.
Für Cuckson, die mit der Leidenschaft für die Musik im Haus eines Pianisten und eines Komponisten/Pianisten aufwuchs, schien die Dialektik zwischen traditionellem und zeitgenössischen Vokabular nie einen Einfluß auf ihr breites musikalisches Spektrum gehabt zu haben; sie fühlt sich gleichermaßen in beiden Welten wohl. ‘Ich war mir immer der Musik, die zur Zeit geschaffen wird, bewusst, besonders während meines Graduierten-Studiums bei Julliard; die Leidenschaft meines Lehrers Robert Mann für neue Musik, für die er sich mit dem Juilliard Quartet einsetzte, hatte einen großen Einfluß auf meine Begeisterung,” meint die junge Künstlerin.
Geschäftig trat Cuckson mit einigen unterschiedlichen Kammerkonzertgruppen auf, eine von ihnen war ACME, die ein spezielles Interesse an zeitgenössischer, amerikanischer Musik haben und dieser einen herausragenden Platz einräumen. Zu dieser Zeit ergaben sich so viele Gelegenheiten, es gab einen Boom neuer Ensembles, die in jüngter Zeit von größeren Institutionen eingeladen wurden und es ermöglichten, Musik zu machen  und sich auch damit zu ernähren.“ Die Leute verlieren auch langsam ihre Angst vor neuer Musik … es gibt so viele Arten Musik zu komponieren, die es sich lohnt zu verfolgen.”
Sie besitzt eine ganz natürliche Selbstsicherheit , die ihr hilft, die Botschaft jeglicher Musik, die sie aufgreift, zu vermitteln und so dieses Material zu neuen Höhen bringt. Cuckson sieht sich auch weiterhin als einflußreiche Kraft in der Musik in ihrer Rolle: als Auftrittskünstlerin, sowohl als Solistin und Kammermusikerin an der Bratsche und Geige, als Wegbereiterin, indem sie Werke in Auftrag gibt, und auch als Lehrerin. Sie gibt ihr Können bereits in ihrer Rolle als Fakultätsmitglied des Mannes College an die jüngere Generation weiter.
Während des Abendauftritts im Princeton McCarter Berlind Theater fand Cuckson, die am Konzerflügel nur mit wenig Abstand vom Keyboard entfernt stand, um so ein harmonisches Wechselverhältnis mit Shevtsov zu gewährleisten, schnell mit ihrer Bühnenpräsenz die Verbindung zum Publikum her. Bei der Probe gab sie eine Bemerkung zum Blendeffekt ab, der ein Ergebnis zu starken Bühnenlichts war: “Ich möchte gerne in der Lage sein, zumindest einen Teil des Publikums sehen zu können!” Diese Kommunikation zwischen Künstler und Publikum ist spürbar bei ihrem Spielen, welches durch und durch lebendig ist. 
Cuckson ist bereits in die Produktion von zwei CDs einbezogen, die von dem neuen Urlicht Audio Visual Label bald herausgegeben werden sollen. Die erste, Melting the Darkness, ist eine Zusammenstellung von Werken lebender Komponisten für Solo Violine und Elektronik.  Cuckson spielt Werke, indem sie Mikrotöne verwendet, die besonders ausdrucksstark, technisch anspruchsvoll und für das Ohr veredelt klingen. Die elektronische Musik beinhaltet verschiedene Software Programme und unterschiedliche Ansätze. Herausgestellte Komponisten auf diesem Album sind Iannis Xenakis, Georg Friedrich Haas, Oscar Bianchi, Christopher Burns, Alexander Sigman, Ileana Perez-Velazquez und Robert Rowe und mit allen hat Cuckson während der letzten zwei Jahre zusammengearbeitet.
Die zweite Zusammenstellung ist eine Disk, die amerikanische Komponisten zum Thema hat, mit dem Pianisten Blair McMillen, welche sowohl “Roger Sessions: Sonata for Solo Violin” seine erstes Fortsetzungsstück aus den Fünfziger Jahren als auch Elliot Carters “Duo,” ein umfangreiches Werk, das in den Siebzigern Jahren geschrieben wurde, herausstellt; die CD bietet auch Jason Eckardts “Strömkarl,” das für diese Aufnahme in Auftrag gegeben worden war und im Mai 2013 seine Premiere hatte. Die gesamte Auswahl bietet für Cuckson eine willkommene Gelegenheit, ihre Beherrschung der komplizierten Organisation und musikalischen Komplexität zu demonstrieren.

von Ilona Oltuski

Monday, July 15, 2013

’The Blind’ – Lera Auerbachs A-Cappella- Oper beschwört ein rituelles Erlebnis herauf

 

“Ich bin kein Cheer leader,“ meint Auerbach bei unserem Treffen am Tag nach der Premiere von ’The Blind’ am 9. Juli, im Rahmen des Lincoln Center Festivals (bis zum 14. Juli). “Ich versuche nicht, es irgendjemanden recht zu machen, was - nur nebenbei - nicht das Ziel irgendwelcher künstlerischer Anstrengungen sein sollte. Dennoch sollte einem Kunst etwas geben, was man noch nicht auf dieselbe Art und Weise erlebt hat und von dem man verändert werden möchte.”
Trotz Auerbachs künstlerischer Absichten sind kritische Stimmen aufgetaucht, die die ‘politische Korrektheit’ der zentralen Methapher von ’The Blind’ angreift, die zu einer Debatte über ein Symbol führen, die weitgehend ihres Kontextes enthoben ist.
Ich frage sie “warum die verbundenen Augen? Warum die potentielle aufsehenserregende Wirkung?” Sie erklärt: “Es geht mir nicht darum, die Leute zu schockieren; bei ’The Blind’ handelt es sich nicht einfach um eine ausgefallene Idee, vielmehr versucht das Stück dem Aufruf von Maeterlinck (dem Dramatiker) dem symbolischen Aufbrechen von Barrieren zu entsprechen und es bemüht sich um ein tiefgehendes psyychologisches Verständnis. Es bezieht sich auch auf einen religiösen, meditativen Zustand des Seins, das eine bestimmte, ans Licht gebrachte Erfahrung der Orientierungslosigkeit umfasst, was von der Abwesenheit des visuellen Elements noch bestärkt wird. ’The Blind’ lässt das Publikum der materiellen Welt entweichen, indem es durch die ritualistischen Elemente der Musik mentale Kommunikation erkundet und das Publikum hoffentlich mit einer persönlichen Lernerfahrung weggehen lässt, die ihm verhaftet bleiben wird und die das Potential hat, es zu verändern.
Die New Yorker Produktion unter der Leitung von La Bouchardière, die Auerbach angesichts des Fehlens einer präziseren Beschreibung als A-Capella-Oper bezeichnet, verzichtet auf ein traditionelles Bühnenbild, wie es im Jahre 2011 bei den Produktionen ihrer Partitur und Librettos im Berliner Konzerthaus und dem Moskauer Stanislavsky Theater verwendet wurde. Diese neue, innovative Produktion geht mit ’The Blind’ einen Schritt weiter, indem es die verdunkelte Bühne vorheriger Produktionen zugunsten einer extremen isolierenden Wirkung entfernt: dem Verbinden der Augen des Publikums; diese theatralische Methode richtet sich an unser extremes Vertrauen auf visuelle Wirkung und hat zum Ziel, die Fähigkeit zu hören, zuzuhören, zu riechen und die Temperatur zu fühlen beim Publikum herauszufordern und so eine erhöhte sinnliche und emotionale Erfahrung hervorzurufen. “Ein Teil der Konzeption von Maeterlinck ist eine spezifische, religiöse Assoziation und beinhaltet Zufallselemente, die in dieser Produktion auch zu einer separaten Sitzanordnung von Frauen und Männern führen,” sagt Auerbach und fügt hinzu, dass sich bei jedem Zuhörer die Erfahrung des Stückes auch etwas unterscheide, abhängig davon, wo man sitze. “Jede Inszenierung verlangt verschiedene Elemente, in dieser Besonderen war die zeitliche und räumliche Anordnung für den Fluss und den individuellen Eindruck eines jeden Zuhörers im Publikum wesentlich.”
                                                                                                                                   Foto: Illustration von Lera Auerbach
Die physische Erfahrung der Inzenierung ’The Blind’ ist wahrlich einzigartig und bemerkenswert ausgeführt. Nachdem die Zuhörer alle persönlichen Sachen zusammen mit ihrem Gefühl etwas kontrollieren zu können, schon an der Garderobe abgeben, betreten sie mit verbundenen Augen den Konzertsaal vom Rose Penthouse und empfinden einen zunehmenden Mangel an Gewissheit, wenn sie nacheinander einzeln vom ernst wirkenden Personal an ihren Platz geführt werden. Es ist erst nach anhaltender Stille, die dem 60-minütigen Auftritt folgt, dass es dem Publikum in den Sinn kommt, die Augenbinden abzunehmen, was es in die Lage versetzt, ein Gespür für die eigene Positionsbestimmung innerhalb des ungewöhnlichen Auftrittsraumes zu gewinnen. Als der Applaus langsam und zunächst zurückhaltend einsetzt, blicken die Mitglieder der Zuhörerschaft auf nicht miteinander verbundene Stuhlgruppen, die Rücken an Rücken stehen und müssen erkennen, dass sie selbst wenn sie mit einem Partner gekommen sind, sich nun allein sitzend wiederfinden.
Auerbach komponierte ’The Blind’ für 12 Stimmen ohne instrumentelle Begleitung (A Capella) mit liturgischen Begleitstimmen, die im Chor auf Latein singen und die harmonische Basis schaffen, die es den Stimmsolisten praktisch ermöglicht, ihre Tonlage zu finden. Sie erläutert, dass der Soundtrack, ihr elektronisches Werk ‘Nach dem Ende der Zeit’ aus dem Jahre 1992, der als Auftakt zum A-Capella-Auftritt gespielt wird, eine Trennung von zwei verschiedenen Genres bildet, die am Ende des elektronischen Bandes miteinander zu interagieren beginnen, was dem Publikum einen Übergang in einen akustischen Bereich erlaubt, und dazu dient die durch die Augenbinden entstandene visuelle Atmosphäre zu ergänzen. Die Sänger interagieren in ständig wechselnden Konstellationen, die zu großen, alle Sänger umfassenden Crescendos heranwachsen und über ausgiebige Zeiträume hinweg kuliminieren oder sich abschwächen und die Zuhörer mehr zu hören wünschen lässt. Auerbachs tonale und atonale Strukturen suchen ständig danach, sich selbst zu erneuern und schaffen mitten im Chaos eine verzweifelte Einheit.
Die akribisch choreographierten Fortbewegungen der Sänger durch das Publikum erlauben es, dass fast jedem Gast äußerste individuelle Aufmerksamkeit zukommt; man befindet sich sozusagen in der eigenen Welt. Die Auftretenden hinterlassen unterschiedliche Gerüche und bringen bemerkenswert spezifische Klänge in Verbindung mit ihren Bewegungen hervor, indem sie sich in ihrem Spielen auf die sensibilisierten Sinne der “Zuhörer” beziehen und diese vordringlich auf den nächsten vorbeikommenden Sänger warten lassen.

Zeitweise kann man Geräusche ausmachen, die das Gehen auf Kieselsteinen nachahmen sollen. Manchmal ist es eine beunruhigende Berührung scheinbar aus dem Nichts heraus, die das Rauschen im Wind andeutet. Es sind diese Details, die noch mehr die symbolische Stimmung des Einakters von Maurice Maeterlinck aus dem Jahre 1890 für jeden Zuhörer personalisieren. Die Atmosphäre ist recht frostig; es war kalt, genau wie die Charaktere im Stück, die die Kälte bejammern - natürlich ein bildlicher Ausdruck für eine tiefergehende Kälte, mit der sie ringen müssen: der Verzweifelung der Vereinsamung, physische und seelische Verlassenheit Aussetzung und dem Tod.
“Dialog im Dunkeln”, eine Ausstellung und Workshop beim ’Global Leadership’ Treffen in Davos in der Schweiz war eine Inspiration für Auerbachs Darstelllungwahrnehmung von ‘The Blind’. Die Ausstellung beinhaltete ein Kommunikationsexperiment, das es unmöglich machte, andere Teilnehmer im Workshop zu sehen. Der Gefühlszustand “plötzlich unsicher zu sein, wie miteinander zu kommunizieren sei, sich dessen bewusst zu sein, wie wenig wir einander zuhören und den visuellen Einfluss vieler Nuancen zu bemerken” hinterliess bei Auerbach einen starken Eindruck. ’The Blind’ beim Lincoln Center Festival drücken diese Erfahrungen in Form einer zusammenhängenden und dennoch beängstigenden Weise aus, zollen auf eine sensitive Weise der formalen Sprache Maeterlincks Tribut und sind, wie alles in Auerbachs Werken, mit persönlicher Überzeugung und Enthusiasmus ausgeführt.