Wednesday, June 30, 2010

DIE ERFRISCHENDE HALTUNG DER PIANISTIN SOYEON LEE, AUF DER BÜHNE WIE HINTER DEN KULISSEN





Gegen ein bisschen Glamour und Eleganz kann man kaum etwas sagen, wenn es um die darstellenden Künste geht,“ meint die in Korea geborene außergewöhnliche Pianistin Soyeon Lee.

Es scheint auch so, als glaube sie, dass etwas Kontroverse nicht schaden könne, gerade dann, wenn die Wichtigkeit dessen, um was es geht, besondere Aufmerksamheit rechtfertigt.

Konzertbesucher werden sich an ihren Auftritt im Zankel Konzertsaal der Carnegie Hall im Jahre 2008 erinnern, als ihre Robe aus 6000 Saftbehältern für Schlagzeilen sorgte.

Indem sie die Bühne nutzt, um Dinge anzusprechen, die ihr wichtig sind, geht sie das Risiko ein, dass das Spektakel ihre Kunt überschattet.

Während unseres Interviews am 21. Mai nickt sie zustimmend: “All die Blicke auf das Kleid waren in der Tat ein bisschen zu viel.” Und dann fährt sie fort: “Meine Musik ist viel wichtiger, als all die PR-Aspekte der Konzertdarbietung, obwohl ich wirklich felsenfest an die Wichtigkeit unserer Umwelt glaube und diese zu schützen als eine äußerst wichtige Angelegenheit begreife. Obwohl das Konzert so erfolgreich darin war, was die öffentliche Beachtung und die Presse angeht, war es keineswegs als Aufmerksamkeitsheischerei gedacht.”

Und obwohl ihr Kleid kommentiert wurde, applaudierten die Kritiken des Abends ihrem großsartigem Talent. So sagt Anthony Tommasini in seiner Kritik in der New York Times vom 21. Februar “sie spielte mit Klarheit, Ehrlichkeit und einem geschmeidigem und doch vollem Klang. Sie bot eine artikulierte Darstellung von Bach-Busoni und eine rhapsodische Darbietung von Ravel’s ”Valse”, was auch als ein neu aufbereitetes Werk betrachtet werden kann: der Komponist überarbeitete seine Orchesteroriginalversion für das Klavier.

Laut Soyeon wussten ihre Eltern schon sehr früh, dass sie sehr starken Willens ist. Statt sie auf jeder Stufe ihres Weges zu bekämpfen, gaben sie ihr viel Freiheit. Ihre Schwester, die in ihrer Heimat Korea ein Popstar ist und derzeit an der Northwestern University Jura studiert, genoss die gleiche Freiheit, die beide Mädchen mit einer gesunden Dosis Selbstvertrauen und mit großer Freude austattete, wenn es darum geht, für andere aufzutreten.

Als sie über ihre Kindheit erzählt, erläutert Soyeon Lee: “Als Kind war ich sehr eitel und ich mochte es, mich während der Darbietung im Spiegel zu sehen. Ich dachte immer, wenn ich richtig, natürlich und entspannt aussähe, wären die Bewegungen ebenfalls richtig. Ich tanzte viel Ballett und traditionellen koreanischen Tanz, was mich lehrte mich selbstsicher und eben elegant zu bewegen. Heute mache ich viel Yoga und mir kommt es auf die Flüssigkeit der Bewegungen an.

Wie viele südkoreanische Kinder nahm Soyeon Lee im Alter von 5 Jahren Klavierunterricht. Obwohl sie nicht besonders ehrgeizig war, genoss sie diesen sehr.

Dann im Alter von 9 Jahren kam Soyeon mit ihren Eltern und ihrer Schwester nach Morgantown, einer kleinen Universitätsstadt in West Virginia. Dort gab es damals nicht gerade viele Leute internationaler Herkunft und Soyeon war sich bewusst, dass sie anders war und fühlte sich einsam.

“Mein Englisch war schlecht und andere Kinder machten sich konstant über mich lustig und so zog ich mich auf meine Musik zurück. Wir hatten kein eigenes Klavier, aber an der Universität schlich ich mich oft in die Übungsräume des Musikgebäudes. Während der Weihnachtsferien – als niemand im Gebäude war - erinnert sich Soyeon, kam diese Frau auf mich zu und bat mich für sie zu spielen.Diese Frau war die rumänische Klavierlehrerin Marina Schmidt von der Vorbereitungsabteilung der Universität. Soyeon sagt: “Sie wurde in den nächsten 5 Jahren nicht nur meine Klavierlehrerin, sie machte auch meine ersten Konzertkleider und vermittelte mir auch ein Verständnis von Klavierübungen.”

Als ihre Eltern 1994 nach Korea zurückkehrten, war es Soyeon erlaubt zurückzubleiben und ihren Träumen zu folgen. Während sie ein Internat in Interlochen, Michigan, besuchte, begann sie an Wettbewerben teilzunehmen und wurde schließlich von Victoria Mushkatol entdeckt, die nun in Juilliards Vorbereitungsschule unterrichtet.

“Wenn ich zurückschaue, war es die richtige Entscheidung für mich, obwohl ich meine Eltern, die mich gebrochenen Herzens verliessen, schrecklich vermisste. Aber vielleicht veranlasste mich das härter für meine Schulfächer und meinen musikalischen Fortschritt zu arbeiten. Ich schloss ebenfalls viele Freundschaften, die mich mein Leben lang begleiteten. Diese Freunde sind sicherlich nicht alle Musiker, aber sie kommen, wann immer ich auftrete.”

Soyeon fühlte sich wirklich an der Julliard School zuhause. Sie erhielt dort nicht nur ihren Bachelor und Master Abschluss im Fach Musik sowie ihr Kunstdiplom, sondern sie gewann auch den hausinternen Rachmaninoff Concerto Wettbewerb.

Zusätzlich gewann sie zwei aufeinanderfolgende ‘Gina Bachauer Scholarship’ Wettbewerbe und als Empfängerin des prestigeträchtigen William Petschek Piano Debut Preises machte sie ihr Lincoln Center Debüt in der Alice Tully Hall.

Seit 2004 tritt sie aktiv als Solistin und Kammerkonzertmusikerin auf und im Jahre 2006 erschien sie auf dem Titelbild des Symphony Magazines, welches sie als eine ‘aufstebende Künstlerin der nächsten Generation heraustellte.

Auch als Klavierbegleiterin gefragt, tritt Soyeon oft mit dem Violinisten, Komponisten und Grammy-Preisträger Mark O’Connor auf. Vor kurzem begleitete sie ihre Popstar- Schwester Soeun Lee.

Zum breiten Spektrum ihrer Auftritte kann man hier weitere Informationen finden: http://www.soyeanlee.com

Soyeon möchte gern die mit den Auftritten einhergehenden Reisen begrenzen und zieht es vor, ihre Auftritte in lokalerer Umgebung zu haben.

“Ich hatte nie die Absicht eine Konzertkarriere mit mehr als 150 Auftritten pro Jahr zu haben, die mich Tag für Tag auf Tour sein läßt. Für mich ist es gut, wenn ich einem regelmässigen Tagesablauf folgen kann - auf diese Weise bleibe ich auf dem Boden und emotional ausgewogen sagt sie.

Deswegen war sie auch sehr glücklich, als sie Assistenzlehrerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin ihrer ehemaligen Juilliard Lehrer Julian Martin und Robert Macdonald ausgewählt wurde.

Ihre eigene fortlaufende Ausbildung wird im Jahr 2011 mit einem ‘Doctor of Musical Arts’ Programm am Graduate Center der New Yorker City University beginnen, wo sie unter Ursula Oppens studieren wird. Sie freut sich ebenfalls darauf im Herbst eine Klasse für Musikverständnis am Bronx Community College zu unterrichten.

“Ich glaube wirklich, dass mir die Klasse viel bringt. Wie das Unterrichten von jungen Studenten mein eigenes Musizieren stark beeinflusst, so finde ich es sehr aufregend Kinder zu inspirieren, von denen einige klassische Musik zum ersten Mal hören werden. Als Künstlerin möchte ich einfach alles machen, was mit Musik zu tun hat.”

Soyeons nächster großer Klavierabend ist für den 8. Oktober 2010 in Carnegies Zankel Hall geplant. Betitelt “Fourtissimo” wird dieses einzigartige Erlebnis mit vier Pianisten Ran Dank, Roman Rabinovich und Vassilis Varvaersos, alle enge Freunde von Soyeon, präsentieren. Zwischen Solodarbietungen und unterschiedlichen Paarungen abwechselnd zielt “Fourtissimo” darauf ab, das Programm des Stils des Goldenen Zeitalters zurück auf die Konzertbühne zu holen.

Soyeon meint: “Es wird einen Erzählstrang geben, aber auch Interludien von Solostücken sowie einige eigene Arrangements der Gruppe. Und es wird ein breites Spektrum an Musikmaterial geben, von Beethovens Neunter Symphony bis Piazzola.”

Im Zuge der Vorbereitung dieser Veranstaltung hat das Quartett gerade eine Fotosession unter der Leitung der japanischen Fotografin Lisa Mazuko beendet.

Ich möchte mehr wissen, was die Details des vorgeschlagen Programms anbelangt, da ich neugierig bin. Aber an dieser Stelle lächelt Soyeon und schweigt. Die letzten Geheimnisse von “Fourtissimo” sind zur Zeit genau eben das: Geheimnisse.

Soyeon Lees Debütaufnahme, die bei Naxos im Jahre 2007 herausgegeben wurde, bietet eine ernsthafte und puristische Darbietung von Scarlatti Sonaten.

Ihre zweite CD, bei Koch International Classics erschienen, bietet ihr ‘wiedererfundenes’ Programm, und präsentiert Werke unter anderem der Komponisten Ferruccio Busoni, Isaac Albeniz, Maurice Ravel, Sergey Prokofiev und dem Julliard Alumnus Huang Ruo, (siehe dazu auch meinen Artikel über Huang Ruo http://blogcritics.org/music/article/huang-ruo-multi-dimensional-composing-between/)

Tuesday, June 29, 2010

Huang Ruo;Multidimensionale Kompositionen Zwischen Ost Und West






Er nennt es „gutes Karma“ - und vielleicht ist es genau das. Auf jeden Fall scheint es mir, als ob Huang Ruo seiner Umwelt ungewöhnlich intensiv begegnet – wie wenn er die Leute, die er trifft, seinem kreativen Universum einverleiben würde.
Ich habe ihn eigentlich nur vom gelegentlichen Grüßen – stets auf seine höfliche und freundliche Art –im Korridor von Juilliard gekannt. Meistens sind wir uns auf der Suche nach dem praktisch nicht aufzutreibenden freien Übungsraum im vierten Stock begegnet.
An einem von David Dubals beliebten Abendseminaren hörte ich einmal eine hervorragende Klavierperformance von Huang Ruo; das Klavier steht jedoch nur für eine der vielen Komponenten, mit denen er seiner musikalischen Welt Ausdruck verleiht.
Sein junges und frisches Oeuvre enthält einige hoch gepriesene Kompositionen, in denen er Gesang mit Instrumentalmusik und manchmal auch anderen Medien vereint. In seinen Partituren erkundet und vereint er musikalische Elemente aus östlicher und westlicher Tradition.
Ich habe mich oft gefragt, wie der „Schmelztiegel“ aus internationalen Studenten und Lehrpersonen, wie es die berühmte Juilliard-Schule ist, auf jemanden wie Huang Ruo wirkt, der aus einem so fremden und fernen Ort wie China kommt.
Dieser starke und einflussreiche traditionelle Kulturhintergrund muss in einem großen Gegensatz zu dem stehen, was einem an einer städtischen Schule in Amerika begegnet, zudem in einer Stadt, die so überaus intensiv ist wie NY. Und so stellt sich die Frage: Was muss jemand hinter sich lassen, um sich an die neue Umgebung anzupassen, und wo wird man ermutigt, den eigenen Hintergrund und die kulturellen Traditionen einzubeziehen?
Für einen Komponisten vom Range Huang Ruos haben diese Herausforderungen offensichtlich die Entwicklung seiner komplexen Musik gefördert, einer Kunst, in der er eine überzeugende Symbiose zwischen seinem asiatischen Kulturerbe und den westlichen, neu erprobten „Kontrapunkten“ kreiert.
Geboren wurde Huang Ruo 1976 auf der Insel Hainan in China. Bereits mit zwölf Jahren wurde er am Konservatorium Shanghai aufgenommen.
Nachdem er den Henry Mancini-Preis des Internationalen Film- und Musikfestivals 1995 in der Schweiz gewonnen hatte, zog er in die USA, um seine Ausbildung zu vertiefen und zu ergänzen. Er schloss mit einem Bachelor in Musik am Oberlin-Konservatorium ab und kam dann zu Juilliard, wo ihm zunächst der Mastertitel in Musik und danach der Doktortitel in Musikkomposition verliehen wurde. Unter seinen Kompositionslehrern finden sich berühmte Namen wie Randolph Coleman und Samuel Adler.
Er hat mit vielen Künstlern zusammengearbeitet, auch grenzüberschreitend mit „benachbarten“ Institutionen und Genres, wie zum Beispiel mit dem Solotänzer des New York City Ballet, Damien Wetzel, und dem Choreographen Christopher Wheeldon, aber auch mit dem Bewegungskünstler Norman Perryman.
Die Nähe der „School of American Ballet“, deren Studenten einige Räume sowie die Cafeteria mit den Musik- und Theaterabteilungen der Juilliardschule teilen, hat sicherlich die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Kunstfächern begünstigt und gegenseitige Bekanntschaften und Beziehungen ermöglicht, die unter Umständen für Karrieren vorteilhaft sein können.
Heute hält Huang Ruo die Verbindung mit Juilliard als Lehrer an der Pre-College-Abteilung aufrecht, obwohl er im Moment auch Mitglied der Abteilung für Komposition am SUNY Purchase College ist.
Für unser Interview, treffen wir uns in seiner Alma Mater Cafeteria, die auch einer meiner liebsten Orte ist, um mit andern Musikern zusammenzusitzen und mich mit ihnen über Musik und das Leben zu unterhalten.
Es stellt sich heraus, dass der größte Einfluss in Huang Ruos Leben, lange bevor er mit formalen östlichen oder westlichen Studien in Berührung kam, sein Vater war. Selbst ein Komponist traditioneller chinesischer Musik, vermittelte er Huang bereits zu Hause, was er über Musik wusste. So brachte Huang Ruo also nicht nur Teile der allgemeinen chinesischen Kultur mit, wie es viele seiner Generation tun, die aus Asien zur Weiterbildung in den Westen kommen, sondern er verfügte insbesondere auch über eine lebendige Vorstellung von traditioneller chinesischer Musik.
Er erinnert sich: „Als ich klein war, versuchte ich, meine eigene Musik zu schreiben. Ich war sehr stark von meinem Vater beeinflusst und wollte ihn beeindrucken, aber ich wollte auch meine eigene Musik schreiben. Er sagte immer zu mir: „ Du wirst ein Komponist werden wie ich“, denn er war sehr stolz auf mich, auch wenn es eine Weile brauchte, bis er meinen Zugang zum Komponieren verstand. Er meinte immer, dass meine Musik zuwenig chinesisch sei, denn er verstand das Konzept zeitgenössischer Musik und ihrer westlichen Einflüsse nicht. Aber eines Tages änderte sich das alles, als ich ihm eine Aufnahme des Geigers Cho-Liang-Lin schickte, der meine Komposition uraufführte. „Omnipresence“ ist ein Konzert für Sologeige, mit dem Ensemble und Orchester off-stage, also hinter der Bühne. Es wurde 2003 uraufgeführt. Meine Schwester rief mich an, um mir zu sagen, dass sie sich um meinen Vater Sorgen mache, denn er hatte sich in einem Zimmer eingeschlossen und hörte sich den ganzen Tag diese Aufnahme meines Violinkonzertes an. Nach dieser Erfahrung schrieb er mir, dass er endlich begonnen habe, das Wesen meines Komponierens zu verstehen und es auch zu schätzen – nach all diesen Jahren! Durch mein Violinkonzert konnte er einen Zugang zu meinen Ideen finden, auch wenn sie sich von seinen Ideen unterschieden und ihm, verglichen mit seinem eigenen Kompositionsstil, fremd waren.“
Es ist genau dieses Gefühl für die innovative Überbrückung von Gegensätzen zwischen Kulturen und Generationen, das dem Werk von Huang Ruo dieses individuelle und unverwechselbare „Flair“ verleiht: das östliche Kulturerbe, das mit der westlichen Ausbildung und den Kompositionstechniken untrennbar verschmolzen ist. Diese originelle Kombination macht seine Schöpfungen so enorm spannend und führt immer wieder zu verschiedenen Gelegenheiten, seine Werke erfolgreich aufzuführen und einem breiten Publikum zugänglich zu machen.
Ich versuche zu begreifen, inwieweit die chinesische Kultur seine Kompositionen direkt beeinflusst, und er erklärt: „Ich versuche nie bewusst meinen Standpunkt zu definieren. Ich mache, was ich spüre und woran ich glaube. Ich kann meine Herkunft nicht verleugnen, meine Kultur ist immer präsent. Ich spreche vier chinesische Dialekte, und ich habe keine Angst davor, chinesische Elemente zu benützen, aber nicht auf eine künstliche Art. Es ist mir wichtiger, dass das, was ich mache, einen neuen Inhalt hat. Den Ausdruck, den ich dafür erfunden habe, “Dimensionalismus“, versucht Verbindungen zwischen Raum, Zeit und Klang zu erfassen. Dieser Begriff steht auch in Verbindung mit Architektur und moderner Kunst allgemein, die ich übrigens sehr liebe.
Die Struktur der zweidimensionalen Kunst schreit meiner Meinung nach geradezu danach, durch tiefgründigere Erfahrungen, als auf der Leinwand sichtbar sind, ins rechte Licht gerückt zu werden. In der Architektur finde ich so viel Neues. Sie ist eine Kunstform, die sich selber immer wieder neu erfindet, indem sie den Bezug zur Umwelt ständig verändert - nicht nur äusserlich, sondern auch innerlich. Ich denke über Musik auf dieselbe Art nach, in vier Dimensionen, nämlich Raum, Zeit, Farbe und Klang. Ich spüre, dass Musik Leben ist, Atmen und Bewegung. Wenn du in einer Aufführung vor der Bühne sitzt, dann bist du gefangen. Man sollte um die Musikquelle herumgehen können oder von ihr umgeben sein. Aber weil der Ton sich auch bewegt, stelle ich mir lieber vor, dass Klang etwas Festes ist, und versuche dies mit abstrakten Formen und Farben zu beschreiben. Wenn man es durch wechselndes Licht sähe, dann würde sich die Erscheinung andauernd ändern und eine Vielfalt unendlicher Möglichkeiten schaffen.“
Das Chelsea Art Museum in New York wird eine Installation von Huang Ruos Komposition in Zusammenarbeit mit der griechischen Künstlerin Christina Mamakos zeigen, sie ist in New York von Ende Juni bis Ende Juli zu sehen, gefolgt von einer Ausstellung in Athen, Griechenland.
Huang Ruo beschreibt die Installation folgendermassen: „Christina hat das Meer auf Video aufgenommen, mit einer schlichten tragbaren und wasserdichten Digitalkamera. Die Aufnahme suggeriert die Oberfläche des Meeres von unten (...) Wenn man den Raum betritt, verändert sich die Erfahrung davon, was es bedeutet, sich im Wasser zu befinden. Die Sicht des Meeres von unten nach oben, die Veränderung der Sichtweise und des Tons, der aus vier Lautsprechern in den Raumecken kommt, wird einen Effekt jenseits der Realität haben, ein abstraktes Gefühl von „im Meer sein“, nicht vor einem Kunstwerk oder ihm gegenüber, sondern in einem Kunstwerk.“
Christina Mamakos beschreibt Huang Ruos “Dimensionalismus“-Technik so: Ruo schafft eine nahtlos ineinander übergehende Serie von musikalischen Werken, indem er seine Musik eine neue Stimme gibt, die gleichermassen von chinesischer Volksmusik, westlicher Avantgarde-Musik, Rock und Jazz inspiriert ist. Diese Musik existiert nicht notwendigerweise in der Klangwelt unseres täglichen Lebens (...) Die visuelle Klanginstallation erzeugt einen multidimensionalen Raum, in dem Bild und Ton vom einen zum andern fließen, indem sie auf einander reagieren und so einen Charakter erzeugen, der unmittelbar als Naturelement erkennbar wird und dennoch ein unbekanntes, aber eindeutiges Geschöpf mit einer Stimme, einer Sprache und einem Willen ist.“
Das Miller-Theater der Columbia Universität hat ihn im Jahre 2003 in seiner Reihe „Porträts von Komponisten“ vorgestellt, wo auch das „International Contemporary Ensemble“ (ICE) unter Huan Ruo als Dirigenten seine vier Kammerkonzerte als Zyklus uraufgeführt haben. Allan Kozinn, Kritiker der New York Times, stufte dieses Konzert als das zweitbeste auf seiner Liste der zehn besten klassischen Aufführungen im Jahre 2003 ein. Der Link dazu findet sich auf der Website von Ruos Vertrieb: http://www.presser.com/composers/info.cfm?Name=Huangruo
Allan Kozinn, der wiederholt über die Kompositionen von Ruo in der New York Times berichtete, stellte zur Beziehung zwischen Ost und West fest: „Wie in vielen seiner Partituren vermischen sich chinesische Artikulationsweisen – gleitende Noten und elegant sich biegende Töne – frei mit westlichen Rhythmen und diatonischen Harmonien.“
Das chinesische Element ist manchmal thematisch eingebunden, wie im Falle seiner Komposition „Leaving Sao“ für Sopran oder chinesische Volksmusikstimme und Kammerorchester, über das Anthony Tommasini in der New York Times berichtete: „ Das faszinierende „Leaving Sao“ von Huang Ruo für Vokalstimme und Orchester, eine Gedenkarbeit aus dem Jahre 2004 für die Großmutter des Komponisten, war ein verlockendes Patchwork von asiatischen Volksmelodien und westlichen klassischen Elementen. Huang war der gekonnt ausführende Solist, er sang in einer hohen Tonlage, in einem sozusagen klagenden, chinesischen Volksmusikstil.“
2008 wurde ihm der erste Preis des prestigeträchtigen internationalen Luxemburger Kompositionswettbewerbs verliehen.
2009 wurde das chinesische Musikfestival „Ancient Paths – Modern Voices“ (alte Wege – moderne Stimmen an verschiedenen Orten in diversen Stadtteilen und Bezirken New Yorks abgehalten. Es diente der Vorstellung und Erkundung chinesischer Kultur und ihres Einflusses auf die jüngere und westlich aufgewachsene Generation. Am 5. November 2009 sprach Huang Ruo, als Teil des Festivals, am China-Institut über die Integration chinesischer Volksmelodien in westliche Orchestermusik.
Huang Ruos Werke umfassen Orchester- und Kammermusik, Oper, Theater, modernen Tanz, Klanginstallationen, Multimedia- und experimentelle Improvisation, Folk-Rock und Film.
Kürzlich wurde im New Yorker als „einer der faszinierendsten Komponisten der neuen Generation asiatisch-amerikanischer Komponisten“ bezeichnet.
Ebenfalls im Jahre 2009 kamen zwei Soundtracks von Huang Ruo heraus, nämlich zu den Filmen „Emperor’s New Garden“ und „Stand up“.
Seine neueste Filmmusik begleitet den PBS-Dokumentarfilm „I. M. Pei: Building China Modern“, aus der Reihe ‚American Masters’. Dieser Dokumentarfilm geht der Frage nach, wie traditionelle Elemente der chinesischen Architektur angemessen in eine westliche Formensprache umgewandelt werden können.
„Für jene, die vom Verlust traditioneller Formen in der architektonischen Identität beunruhigt sind, ist er {I.M.Pei} zu modern. Für jene, die Chinas Vergangenheit einfach dem Erdboden gleichmachen würden, ist er zu traditionell. „I. M. Pei baut das moderne China“ aus der ‚American Masters’-Reihe spürt Peis Bestreben nach, diesen „unmöglichen Traum“ zu verwirklichen, nämlich Moderne und Tradition, aber auch regionale Einflüsse in seinem Werk zu vereinen, (...) und erforscht die prägenden Konflikte unserer Zeit – die Verführung der Moderne im Gegensatz zu der Anziehungskraft der Geschichte (...)“
Quelle: PBS American Masters
http://www.pbs.org/wnet/americanmasters/episodes/i-m-pei/building-china-modern/1542
Es leuchtet absolut ein, dass Huang Ruo ausgewählt wurde, um die Partitur für diesen Film zu schreiben. Er beschreibt die Arbeit an diesem Dokumentarfilm als eine „echt fantastische Erfahrung“. Auf der Grenzlinie zwischen Tradition und Moderne balancierend, ist auch er ein Anhänger des „unmöglichen Traumes“ – dem Traum von der Versöhnung oft gegensätzlicher Kräfte durch die Musik.
Der Dokumentarfilm ist auf der PSB-Website „American Masters“ zu sehen, und zwar noch bis zum 30. Juni 2010.
http://www.pbs.org/wnet/americanmasters/
Mehr zu Ruo Huang und seine Naxos-Veröffentlichungen finden Sie hier:
http://www.naxos.com/person/Ruo_Huang/29098.htm

Monday, June 28, 2010

Wie halten es die Komiker Igudesman&Joo mit der Klassischen Musik



Ein Staubsauger, der einen Violinbogen aufsaugt, trifft auf einen Flügel, der nur auf Kreditkartenzahlungen reagiert. Die Klingeltöne eines Handys treten gegen ein klassisches Geigenrepertoire an; ein Musiker führt einen Riverdance in Unterwäsche auf; auf Klaviertasten wird im Karatestil eingehauen - so überdreht das alles auch erscheint, es tönt fantastisch, was der in Russland geborene Geiger Aleksey Igudesman und der britisch-koreanische Pianist Richard Hyuang-ki Joo bieten.
Wer sind diese albernen und doch zum Denken anregenden Spaßvögel, die es wagen, die klassische Musik aus ihrem angestammten Terrain zu entführen?
Das klassisch geschulte Duo besuchte einige der besten europäischen Musikhochschulen, bevor die beiden 2004 ihre verschrobene Nummer lancierten. Als sie während einer Fragestunde im März 2010 ihre Show „A Little Nightmare Music“ beschreiben sollten, meinten sie: „Es ist nicht möglich, das in einem Satz zu sagen. Aber wenn es unbedingt sein muss, würden wir sagen: „Mozart trifft Monty Python“ ... Unser Ziel ist eher, den Leuten die klassische Musik näher zu bringen als zu versuchen, anders zu sein. Für uns ist der Mix aus Musik, Komik und Theater eine eigene Kunstform. Wir versuchen diese drei Komponenten zu kombinieren, um eine eigene Synergie zu schaffen.
Diese Synergie wie auch ihre virtuose Darbietung haben beim europäischen Publikum zweifellos Anklang gefunden. „Sie füllen die Konzerträume immer“, sagt die deutsche Kritikerin Julia Gass über die Auftritte des Duos, wie es kürzlich auch in der Show „Museumsnacht“ im Deutschen Dortmund der Fall war.
Einige ihrer Ideen sind echte Glanzstücke geworden. Zum Beispiel die kultigen, maßgeschneiderten Holzblöcke, mit denen der kleinhändige Pianist Joo die Probleme beim Greifen von schwierigen Klavierakkorden und Passagen löst, in diesem Fall vom großhändigen Rachmaninow komponiert. Die Pointe? Joo ruft auf ihrem bereits berühmt gewordenen YouTube Videoclip: „Nur Hände sind klein!“
Viele ihrer ausgefallenen Auftritte führen ihre ernsteren Anliegen vor Augen, wie der Sketch über den Musiklehrer zeigt, der gegenüber seinem Studenten ausfällig wird und dessen Selbstvertrauen arg auf die Probe stellt. Oder der „Cyber-Dirigent“ der Show ermöglicht dem Publikum einen flüchtigen Blick in die Orchesterwelt und auf die Beziehung eines schwachen Dirigenten zu seinem ungehorsamen Orchester. Ersetzen wir den Dirigenten durch einen niederträchtigen Tyrannen, so haben wir einen Sketch über einen „Dirigenten-Schuft“, der wohl das Chaos vermeiden kann, aber einige der Flötisten bloßstellt, indem er sie in die Knie gehen lässt, während er sie anschreit – und nachher sogar das Publikum anschreit. Diese Nummer spielt sowohl auf die Probleme an, die aus der Hierarchie zwischen Dirigent und Orchester entstehen, als auch auf die Dynamik eines Orchesterkonzerts, und zwar im Gegensatz zu den gleichmäßigen, aber auch sterilen Klängen einer CD. Meisterhaftes musikalisches Können verwandelt die verschiedenen Instrumente, indem in einer geschickten Orchesterdemonstration der Schnellvorlauf einer Fernbedienung imitiert wird.
Über die Sketche hinaus geht es den beiden auch um die Dekonstruktion von populären klassischen Melodien, die ihren Weg in das heutige Pop-Repertoire gefunden haben. Denken wir an Celine Dions „All by myself“ und die Akkordfolgen aus Rachmaninows zweitem Klavierkonzert, oder an das Libiam-Thema aus Verdis „La Traviata“ und einen berühmten James Bond-Jingle, oder betrachten wir das „Love Story“-Thema in der Parodie „Mozart Bond“ des Duos: jede Musikkategorie wird aus ihren Schubladen, in denen sie säuberlich getrennt gelagert werden, hervorgeholt und mit andern musikalischen Juwelen konfrontiert, was ein echt virtuoses Gemisch ergibt, gewürzt mit einer Prise menschlicher Verrücktheit.
In einem Interview am 15. September 2009 stellte John Stanton von den „Star News“ fest: „Vielleicht ist es eine Reaktion auf das, was oft als übermäßig formale Natur der klassischen Musik wahrgenommen wird, aber das Genre hat eine reiche Geschichte im Hervorbringen von komischen Nummern, in denen die Ernsthaftigkeit mit Humor ersetzt wird...“ Stanton fragt nach: „Was ist es denn an der klassischen Musik, das zur Satire führt?“ Und Igudesman & Joo – die übrigens auch komponieren, arrangieren, Aufnahmen machen und Kammermusik spielen –meinen dazu: „Es liegt nicht an der klassischen Musik selbst, dass sie sich zur Satire eignet. Es ist nur die Art, wie sie präsentiert oder gelehrt oder vermarktet wird, die zur Satire führt. Wir möchten dies gerne ändern, weil wir glauben, dass klassische Musik eine enorme Kraft und Schönheit besitzt.“
Ist es dieses gewisse Anmaßende der muffigen Rituale und der antiquierten Haltung, die die klassische Musik umgibt, über die sie sich lustig machen und die sie letzten Endes auch in Frage stellen? Versuchen sie mit ihren komischen Programmen die Essenz der klassischen Musik zu retten? Das Duo ist in guter Gesellschaft, wenn es sich diese Fragen stellt, denn von London bis New York findet eine anhaltende Diskussion über den Stellenwert von klassischer Musik in der modernen Gesellschaft statt.
Laura Silberman zum Beispiel plädiert in ihrem Artikel in der New York Times vom 4. März 2010 vor allem für das Über- und Umdenken und Analysieren jeden erdenklichen Aspekts, der mit einem Konzerterlebnis verbunden ist.
Vom Pianisten Emanuel Ax und seinen Überlegungen über das Publikums Applausverhalten bis zu den Kommentaren des New Yorker Musikkritiker Alex Ross, von der britischen Musikkritikerin Jessica Duchen, die die unterschätzte Rolle der Umblätterer bedenkt bis zur Klage des Musikwissenschaftlers Greg Sandow über die Zukunft der klassischen Konzertliteratur – die Sockel, auf denen die klassische Musik ruht, weisen ernsthafte Risse auf. Und ein Wechsel bahnt sich bereits an: Bemühungen, das Erleben klassischer Musik zu fördern, haben zu Initiativen geführt, die klassische Aufführungen in das Programm von alternativen Veranstaltungen aufnehmen, zum Beispiel in Eventlokalen, die der Rock- und Popkultur nahe stehen. Ein erfolgreiches Beispiel für diesen „Infusions-Ansatz“ ist „Le Poisson Rouge“ in New York unter der künstlerischen Leitung von Ronen Givony.
Leider ist eine gewisse Verunsicherung in allen Bereichen der klassischen Musik zu spüren, die tiefer geht als die gegenwärtigen Budgetkürzungen. Man kann sich geradezu einen Cartoon im New Yorker vorstellen unter dem Titel „Das Konzert geht zum Psychiater“, in dem der berühmte Musikkritiker Alex Ross von einem seiner Patienten – dem Konzert – gefragt wird: „Ach, Dr. Ross, was kann ich tun, um mein Selbstvertrauen zu stärken?“ Igudesman & Joo haben bereits ein wirksames Mittel gefunden – LOL (Laughing Out Loud) dürfte genau das sein, was der Doktor den klassischen Musikaufführungen verschrieben hat.
Auf die Frage, wie das Duo auf den einzigartigen Mix von klassischer Musik und Pop mit Komik gekommen sei, erinnern sie sich: „Schon damals, in der Yehudi Menuhin-Schule in England, wo wir uns als Zwölfjährige getroffen haben, haben wir immer auch große Komiker gesehen und gehört, neben den großen Künstlern. Wir wurden von Leuten beeinflusst, die sowohl wunderbare Musiker waren wie auch einen großartigen Sinn für Humor besaßen, wie zum Beispiel Victor Borge, Dudley Moore oder sogar Glenn Gould, der einige Sketches für das kanadische Fernsehen gemacht hat, die nicht viele Leute kennen. Sogar der große Geiger Yehudi Menuhin selbst, bei dem Aleksey das Glück hatte, Unterricht zu haben, ließ verlauten, dass er für alles offen sei, nicht nur für die klassische Musik... Wir beide haben Projekte auf und hinter der Bühne gemacht, Musik für Bühne und Film geschrieben und sind in Shows und Theaterstücken aufgetreten.“
Die New York Times zitierte in ihrem Nachruf auf Victor Borge im Dezember 2000 den verstorbenen Komiker und klassischen Pianisten, dessen Parodien einen starken Eindruck auf das Duo gemacht haben: „Ich habe immer für zwei verschiedene Zielgruppen gleichzeitig gearbeitet. Das eine war das gebildete, das andere das nicht musikorientierte Publikum. Ich habe bemerkt, dass die Profis am meisten lachen, wenn ich zum Beispiel meine Nummer mit Orchestern mache. Aber meine Witze müssen von jedermann verstanden werden, und niemand soll sich langweilen. Es ist eine Gratwanderung.“
Im Interview mit John Stanton stellen Igudesman & Joo fest, dass sie dasselbe Konzept verfolgen: „Wir versuchen immer, auf verschiedenen Ebenen zu schreiben. Ein Achtjähriger soll ebenso etwas zu lachen haben wie ein Kenner klassischer Musik oder jemand, der noch nie eine Note klassischer Musik gehört hat.“
Neben Borge hat eine ganze Reihe von Komikern die Kreativität des Duos befruchtet – von den Marx Brothers bis zu Monty Python. Terry Jones, Komiker und Regisseur von Monty Python, sagt über „A Little Nightmare Music“: „Es bringt Surrealismus in die Konzertsäle und lässt die Hosen runter!“
Andere Meilensteine auf dem Weg zum Ruhm sind das Kammermusik- und Comedyfestival in Kroatien, die „Cinema & Comedy“-Premiere 2008 mit Gidon Kremer und den Kremerata Baltica sowie eine Tour durch Deutschland, Holland und Belgien als Teil der „Night of the Proms“ 2009, bei der sie vor einer halben Million Leuten auftraten und die Bühne mit Rocklegenden wie Simple Minds, 10cc und Ultravox teilten. Ihr jüngstes Projekt ist ein „Mockumentary“, das „Everthing You Always Wanted to Know About Classical Music“ heisst und anfangs Juni 2010 in Europa auf 3Sat ausgestrahlt wird. Dieses „Mockumentary“ schließt Gastauftritte der Geiger Julian Rachlin und Janine Jansen, des Cellisten Mischa Maisky, des Pianisten Lang Lang sowie von vielen Gästen aus der Popwelt, zum Beispiel den „Tears of Fears“ mit ein.
Laut meinen Facebook- und Emailgesprächen mit dem Duo fand ihr erster Auftritt im Musikverein in Wien, Oesterreich statt. „Das war am 18. September 2000. Wir hatten einige Sketches auf YouTube geladen und der Rest ergab sich einfach“, sagte Aleksey Igudesman. Der „Rest“ ist eine beeindruckende Erfolgsstory, die in großem Maße auf der weltweiten Verbreitung ihres urkomischen YouTube-Videoclips beruht. Und was ist leichter zu vermarkten als Lachen?
Was als Musiknummer im Wiener Musikverein begann, ist nun zu einer gefeierten festen Größe der populären wie auch der klassischen Musikkultur geworden. Das Duo ist sowohl bei dem Publikum beliebt, das wenig oder gar keinen klassischen Musikhintergrund hat, wie auch bei der Menge der eingefleischten Klassikfans; professionelle Musiker bewundern die beiden, weil sie für ihren Humor eine besondere Vorliebe haben.Eine andere Fangemeinde findet sich in Musik- und Kunsthochschulen, wo die Studenten gewöhnt sind, per YouTube-Clips in Kontakt zu sein. Die „Students for Igudesman & Joo to Come Perform in the US“ Facebook-Fanseite, die von dem Collegestudenten und klassischen Musiker Kevin Hwang ins Leben gerufen wurde, hat sich mit großem Enthusiasmus seit 2007 für US-Auftritte des Komikerduos stark gemacht. Die über 1000 Fans dieser Seite (die offizielle Facebook-Seite des Duos zählt über 5000 Mitglieder) waren frustriert, weil es in den USA keine Live-Auftritte gab, weshalb sie sich entschlossen, aktiv zu werden. Ihre Anstrengungen wurden belohnt: 2009 traten Igudesman & Joo schließlich in den USA auf, auch wenn ihre Auftritte eher sporadisch und über Collegestädte und Musikfestivals verstreut waren, wie ihre Auftritte im März 2009 in Warren und Eire, Pennsylvania sowie am South-West Festival in Austin, Texas zeigen. Im Sommer 2009 kehrten sie für einen Auftritt im Saratoga Arts Performing Center und am Cooperstown Kammermusikfestival zurück, ebenso für Auftritte in der Thalian Hall am Louisburg College und dem Carolina Theater in North Carolina. Einen Monat später waren sie in Chico, Kalifornien zu sehen sowie an der California State University. Facebook-Kommentare berichten von Fans, die sechs Stunden und mehr an Reisezeit auf sich nehmen, um an einem der wenigen, über das ganze Land verstreuten Live-Auftritte dabei sein zu können.
In einem Interview im März 2010 mit Notes on the Road erzählt der Komiker, Pianist und Arrangeur Joo, auch bekannt als die „Jooische“ Hälfte des dynamischen Komikerduos, von seinem persönlichen Zugang zur klassischen Musik: „Ich bin und war schon immer verrückt nach klassischer Musik, und schon früh habe ich gespürt, dass dieses Ding, in das ich so verliebt war, in Gefahr ist, entweder ein Dinosaurier zu werden oder etwas, wozu es nicht gedacht war. Ich spürte irgendwie ..., dass die Welt der klassischen Musik sehr wenig mit dem Geist zu tun hatte, in dem sie geschaffen wurde.... So sehr ich es liebte, Aufführungen der berühmten Stücke von großen Künstlern unserer Zeit zu sehen, so spürte ich doch, dass das ganze Zeremoniell, das die klassische Musik umgibt, aufgeblasen und elitär war.... Ich wusste schon immer, dass klassische Musik eine große Wirkung auf Kinder und junge Leute hat – sie wirkt auf jedermann! – aber wenn sie weiterhin so präsentiert wird, in diesem so genannt traditionellen Setting, dann ist es unvermeidlich, dass schließlich das Publikum wegbleibt ...“
Jungen Musikern empfiehlt er: „Ich weiß, dass es viel zu tun gibt, dass man viel üben muss. Viele von ihnen sind ehrgeizig, aber manchmal beschränken sie ihr Leben auf den Übungsraum. Ja, man muss an seiner Kunst arbeiten und das Handwerk perfektionieren, aber wenn man nicht offen ist für die Erfahrungen des Lebens ... (denn das ist es, was)einem die Erfahrung geben wird, das Gefühl und die Fantasie, um hinauszugehen ins Leben und das zu machen, wozu man bestimmt ist.“ Es ist keine Überraschung, dass Joo es genießt, Workshops für junge Musiker zu leiten, die sie ermuntern sollen, aus dem Kästchendenken auszubrechen.
Wenn man die beiden fragt, ob es einen Ort gibt, wo sie am liebsten aufgetreten sind, dann sind sich Igudesman & Joo einig: „Die USA sind der Ort, wo wir immer auftreten wollten, da so vieles unserer Inspiration von amerikanischen Sitcoms und Komikern stammt! Das Publikum in den USA ist auch extrem aufgeschlossen, dankbar und sehr herzlich - eine echt fabelhafte Kombination!“

Thursday, June 24, 2010

Sean Hickey spricht über Naxos – ein visionäres Musikunternehmen






Sean Hickey
Als ich meinen Musikblog über New Yorks Musik- und Kulturszene im Sommer 2009 startete, nahm sich Naxos als erste Firma meiner Arbeit an und publizierte meine Texte auf ihrem deutschsprachigen Blog. Als ich dann zu ihrer regulären New Yorker Korrespondentin wurde, wollte ich mehr über die innere Dynamik von Naxos erfahren. Ich fand ein faszinierendes Geschäftsmodell vor, auf echten Gründergeist gebaut und mit einer klaren Vision von der ständigen Erweiterung des Unternehmens.
Das Unternehmen wurde treffend nach der griechischen Insel „Naxos“ benannt, der Wiege der westlichen Zivilisation und auch dem Ort, den man gerne mit Kunst und Kultur assoziiert, verweist doch der Name „Naxos“ auf die Oper von Richard Strauß „Ariadne auf Naxos“, die er 1912 geschrieben hat.
Naxos, das Label für klassische Musik, ist das geistige Kind des Unternehmers Klaus Heymann. Geboren und aufgewachsen in Frankfurt, Deutschland (übrigens auch meine Heimatstadt), kam er 1967 über eine Anstellung bei der amerikanischen Zeitung The Overseas Weekly nach Hong Kong.
In den frühen Siebzigern gründete er eine Importfirma für Elektronik, die Audioanlagen der Luxusklasse wie Bose-Lautsprecher und Revox-Aufnahmegeräte verkaufte. Er erkannte bald das Potenzial für neue Märkte im Fernen Osten und setzte auf innovative und kosteneffiziente Handels- und Marketingkonzepte in seinen Unternehmen in Hong Kong. Eines seiner Marketingkonzepte führte zur Organisation von klassischen Konzerten zu Werbezwecken, gesponsert von Bose und Revox.
Die Begegnungen mit den Musikern bei diesen klassischen Konzerten machten ihm erst bewusst, dass in Hong Kong ein eklatanter Mangel an Firmen für klassische Musik bestand. Eine neue Geschäftsidee war geboren, und so begann er mehrere klassische Labels zu importieren und zu vertreiben. Wegen seiner gut organisierten Konzerte wurde er 1973 eingeladen, dem Hongkong Philharmonic Orchestra, damals noch Amateure, als ehrenamtlicher Leiter beizutreten. In der Folge trug er wesentlich zu dessen Umwandlung in ein professionelles, Orchester bei.
Heymanns untrüglicher Sinn für Geschäfte und seine Leidenschaft für Musik begannen sich mit seinem Privatleben zu verflechten, als die japanische Geigerin Takako Nishizaki zum Orchester kam – sie verliebten sich und heirateten.
Um das Talent seiner Frau Nishizaki zu demonstrieren und zu fördern, nahm Heymann mehrere Werke mit ihr für seine neue Firma, Pacific Music, auf. Dazu gehörten das Gesamtwerk von Fritz Kreisler und – mit der Nagoya Philharmonie im Jahre 1978 – das berühmte chinesische Geigenkonzert, „The Butterfly Lovers“.
Als die Herstellungskosten für CDs 1986 zu sinken begannen, war das die Gelegenheit für Heymann, ein preisgünstiges CD-Label zu lancieren. Die ersten fünf Naxos-CDs wurden 1987 herausgebracht und im Detailhandel in Hong Kong für etwa $6.25 verkauft – der Preis der Konkurrenz lag bei ungefähr $15 - $20 für ein vergleichbares Produkt.
Statt auf berühmte Künstler zu setzen, die ein beschränktes Repertoire wiederholen, entschied sich Naxos klar dafür, ihren Katalog mit einem breitgefächerten Musikspektrum zu erweitern.
Die Firma investierte lieber in neue und häufig auch multikulturelle Projekte, als viel Geld für die Promotion eines teuren Künstlers auszugeben. Als Folge dieser Geschäftspolitik bietet Naxos heute die gesamte Palette von traditionellen bis zu sehr seltenen Titeln an, einschliesslich der Werke von neuen Komponisten.
Naxos World zeichnet sich aus durch die Vielfalt der vertretenen Musikgenres, darunter Folk, Pop, Klassik, amerikanische Klassiker und eine historische Reihe. Sicher brauchte es die leidenschaftliche Hingabe und eine langfristige Vision, um diese Nischen im Musikmarkt aufzuspüren. Und die äußerst leistungsfähigen und gut organisierten Teams in den vielen Bereichen von Naxos waren notwendig, um dieses multinationale und vielseitige Geschäft zustande zu bringen. Entsprechend Naxos’ Slogan „music first“ (der sich auf das Konzept von „Musik für das kleine Budget “ bezieht) hat das Unternehmen während der letzten 23 Jahre äusserst erfolgreich eine Lücke im Musikmarkt geschlossen, die Heymann – den andern weit voraus – bereits 1987 erkannte.
Und doch, über diese cleveren Geschäftsentscheide hinaus war es die Passion für klassische Musik, die Heymanns Berufsleben antrieb – „die Wahl eines Lifestyles“, wie er es nennt.
Aber wie kann man ein Unternehmen funktionstüchtig erhalten, das in wenig mehr als 20 Jahren zu einer bekannten und wichtigen Grösse im klassischen Musikgeschäft geworden ist?
Sascha Freitag, General Manager bei Naxos Deutschland, beschreibt, wie eine kooperative Zusammenarbeit funktioniert, ohne die Individualität der Beteiligten einzuschränken: „Ich stehe mit Naxos America wöchentlich in Kontakt, mit England und Skandinavien monatlich und mit den andern Zweigstellen von Fall zu Fall. Wir nutzen alle die Ressourcen aus Hong Kong und Indonesien, wo die Newsletters, E-Cards und andere Internet-Tools entwickelt werden.
Die Australier sind verantwortlich für das internationale Marketing von Naxos. Es gibt viele Verflechtungen, gleichzeitig trifft aber jeder Geschäftsführer seine eigenen Entscheide über Vertrieb und Vermarktung. Nur im Falle des Labels Naxos existieren verbindliche Abmachungen. “
Mehr Informationen zum Unternehmensprofil und der Marktposition finden sich auf der deutschen Website von Naxos: „ Mit über 40 Veröffentlichungen pro Monat ist Naxos das produktivste unter den aktiven Labels für klassische Musik. Naxos beabsichtigt, die Lücken im Repertoire zu schliessen, unbekannte Schätze von bekannten Komponisten zu retten und zeitgenössische Komponisten einem breiteren Publikum bekannt zu machen.“
„So weit möglich möchte sich Naxos an die Regel halten, kein Werk zweimal herauszubringen. Nur in Ausnahmefällen setzen wir uns darüber hinweg. (... ) Das Label ist ständig daran, die Kollektion zu erweitern und so mehr Künstlern zu ermöglichen, ein breiteres Repertoire aufzuführen, die Werke in verschiedenen Formaten aufzunehmen und zu vertreiben, an verschiedenen Orten aufzuführen und einem breiteren Publikum bekannt zu machen.“
Sean Hickey, der National Sales und Business Development Manager von Naxos Amerika, fügt dem hinzu, als ich ihn im Dezember 2009 bei dänischem Käseplunder im trendigen „Aroma“ an der Houston Street in New York traf: „Die Produktions- und Marktbedingungen haben sich verändert, so dass nun unterschiedliche Konzepte gleichzeitig erfolgreich sein können.“
Der sympathische Hickey, ein Liebhaber von klassischer Musik, ist in ständigem Kontakt mit Musikern und komponiert selber auch zeitgenössische klassische Musik.
„Die persönliche Beziehung ist immer ausschlaggebend“ sagt er, als er darüber spricht, wie wichtig die Beziehung zu den Künstlern ist, mit denen er zusammenarbeitet. Er gibt zu, dass die Performer die Vorstellung von einer „sexy Weltpremiere“ lieben. Über seine eigenen kreativen Werke meint er, dass er es schätzen würde, wenn ihre Lebensdauer über das kurzfristige Verfallsdatum hinaus anhalten würde.
Hier kommt nun eine weitere Initiative von Heymann ins Spiel: die Naxos-Musikbibliothek sowie die erst kürzlich lancierte Naxos-Videobibliothek. Sean Hickey gab mir eine Einführung in die beiden Bibliotheken, die als Fokus von Heymanns Bildungsbestrebungen dienen.
Hickey erkärt: „Mit einer 500-jähriger Geschichte macht es wenig Sinn, verschiedene Interpretationen von traditioneller Klassik, wie zum Beispiel von Chopins Nocturne oder Beethovens Symphonien zu veröffentlichen, vor allem weil es schon so viele ausgezeichnete und klassische Aufnahmen mit wirklich berühmten und namhaften Künstlern gibt. Die Musikbibliothek soll vor allem den Studenten Gelegenheit geben, verschiedene Interpretationen zu vergleichen, und wir hoffen, dass sie das auch nutzen. In der Naxos-Musikbibliothek ist die Aufnahme des Naxos-Labels nur eine von hunderten verschiedenen Aufnahmen. Anders als die kommerziellen Internetanbieter wie iTunes oder ClassicsOnline streamt die Naxos-Musikbibliothek ihren Bestand und stellt so den Bildungsinstitutionen in der ganzen Welt immense Ressourcen für die Forschung zur Verfügung. Sie ist zudem eine unglaubliche Quelle für vergleichende Hörübungen.“
Über den Zugang zu dieser „Schatztruhe“ sagt Hickey: “Mit jährlichen Subskriptionen können Bildungsinstitutionen, Orchester, Konzertveranstalter oder Musikfestivals jederzeit auf den Musikstream zugreifen und nach den gespeicherten Informationen suchen, die von einem Team von Musikwissenschaftlern eingegeben wurden. Dies hat die Art, wie wir Musik hören und Forschung betreiben, auf revolutionäre Weise verändert.“
Kein Zweifel, Hickey ist sehr begeistert von Naxos’ Leistungen, und er ist auch stolz darauf, dass er während der letzten acht Jahre mit seinem Expertenwissen und seiner Leidenschaft zu diesem Firmenprojekt beigetragen hat. „Es ist so aufregend, Teil dieses innovativen Umfeldes zu sein, gerade wenn es den meisten im Business nicht so gut geht. Allein 2009 hat Naxos 24 Labels zum Vertrieb erworben.“
Im April 2010 meinte Hickey in einem Interview für „Notes on the Road“ von Amanda von Goetz: “Sie haben ihre Liebe zur Musik in das Unternehmen eingebracht. Was inspiriert Sie am meisten an ihrer Arbeit mit Naxos?“ Er antwortete: „Ich bin unglaublich stolz zu wissen, dass ich – oder eher wir, nämlich Naxos als ein Unternehmen – von Beginn an dabei sind und sehen können, wie ein Projekt zum Leben erwacht und dann auch sehr erfolgreich ist. Es ist einfach fantastisch, wenn man zusehen kann, wie sich so ein Prozess entfaltet und entwickelt.“
„Ich persönlich bekomme pro Monat etwa ein Dutzend Vorschläge von Musikern, Komponisten, Künstlern – darunter einige der größten Namen der Welt – und alle möchten Aufnahmen machen für Naxos oder für Labels, die wir vertreiben. Ich finde es fantastisch, wenn ich sehe, wie sie den ganzen Prozess durchlaufen, und dabei weiß, dass ich das Endprodukt verkaufen werde. Ich habe nicht das letzte Wort bei dem, was wir in der Firma weltweit machen, aber ich habe einen gewissen Einfluss. Alles, was zu mir kommt, schicke ich an unser Team von Fachberatern weiter und die bestimmen dann letztendlich. An diesem Punkt hole ich auch das Feedback von meinen amerikanischen Kollegen ein. Um ein Beispiel zu nennen: Samuel Barber würde einem Amerikaner mehr sagen als einem Deutschen.“
Die Beschreibung Sean Hickeys kann als „Neo-Renaissance-Mensch“ von Amanda von Goetz ist ein Attribut, das zu seinem energischen Engagement passt und das auch für viele der anderen starken Persönlichkeiten dieses dynamischen Unternehmens gilt.
Getreu seinen Grundsätzen hat Naxos sich auch einen Namen als Plattform für angehende junge Künstler und Komponisten gemacht. Es genügt jedoch nicht, ein Forum für seine Kreativität zu finden. Um sich vermarkten zu können, gehört noch eine gehörige Portion Networking dazu. Tatsächlich ist letzteres ein äußerst wichtiger Teil des heutigen Künstlerlebens geworden. Hickey denkt, dass ein Künstler unbedingt in der Lage sein muss, sich selbst zu vermarkten und sich an die ändernden Marktbedürfnisse anzupassen - und das auch gerne tun muss: „Jedes Jahr schliessen Musiker an den Konservatorien ab, und es ist toll, dass sie Paganini spielen können (...) aber können sie sich auch als Paganini-Virtuosen vermarkten?“
Auf der andern Seite mag Paganini nicht gerade die erste Wahl eines jungen, professionellen Musikers sein. Viele von ihnen zieht es eher zu frischen Vorzeigeprojekten, und sie werden deshalb lieber mit neuen und unbekannten Kompositionen auftreten.
Auf Naxos' Website spricht Klaus Heymann darüber, wie wichtig es ist, gegenüber Neuem, worauf sie durch neue Künstler und Orchester stoßen, aufgeschlossen zu sein. Gleichzeitig spielt die Kontinuität in der Arbeit mit den „Hauskünstlern“ der Firma und dem Aufbau einer Musikergemeinschaft eine zentrale Rolle.
Um das alles zu erreichen, ist Kommunikationstalent wichtig. Kommunikation meint heutzutage vor allem, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die die neuen Technologien der Medien und die Cyberkultur bieten.
Auch Jim Selby, der Generaldirektor von Naxos Amerika, betont die Schlüsselrolle von Networking. Auf Tennessean.com spricht er im Februar 2010 über die Fragen, die er seinem Team, den Künstlern der Firma und den Werbeagenturen, mit den die Firma arbeitet, stellt: „Habt ihr einen YouTube-Kanal? Benützt ihr Facebook mit all euren Künstlern und seid ihr mit allen sozialen Medien verknüpft? Twittert ihr? Kümmert ihr euch um Blogger? (...) All dies zusammen scheint eine große Wirkung zu haben.“
Es kann gut sein, dass einige der Antworten auf diese Fragen einen Einfluss darauf haben werden, wie der 23-jährige Konzern künftige Herausforderungen bewältigen wird. Darüber hinaus ist es sicher der „Begeisterungsfaktor“, kombiniert mit Know-how, persönlichem Einsatz und Interesse an der Musikszene selber, der Naxos noch lange an der Spitze halten wird. Und diese Formel kann nicht durch Facebook Erfolge ersetzt werden. Letzten Endes reicht es nicht aus, über Events der klassischen Musikszene zu twittern, man muss dabei sein, es erleben, spüren und letztlich – lieben.

Tuesday, June 22, 2010

Privat:David Aladashvili : Ein Georgischer Abend In Der Carnegie Hall

Am 8. Februar diesen Jahres hatte mich der sympathische 19-jährige georgische Pianist David Aladashvili zu seinem Debutauftritt in der renommierten Weill Recital Hall der New Yorker Carnegie Hall eingeladen.

Sein Debut gab dem von der Georgian Association in den USA als “aufsteigender Star georgischer Kultur” gefeierten jungen Künstler Gelegenheit, sein frisches Talent unter Beweis zu stellen, sowie auch die Möglichkeit, die Bindungen innerhalb der georgischen Gemeinde New Yorks zu festigen.

Musikliebhaber jeden Alters füllten an jenem Abend die Weill Recital Hall, die meisten - jedoch längst nicht alle - georgischer Abstammung. Der bereits im Programmheft als “ein für die Bühne geborener einfühlsamer Virtuose” gelobte Künstler, fand denn auch ein aufmerksames und sehr unterstützendes Publikum vor. Leider war es Davids Eltern nicht möglich, das Konzert vor Ort mitzuerleben; sie konnten jedoch einen Teil des Konzerts per Handy mitverfolgen. Davids Lehrer Jerome Lowenthal vertrat die Juilliard School an diesem Abend.
David wurde im Jahre 1990 in Tbilisi (Georgien) geboren. Als Elfjähriger begann er seine Klavierstudien bei Leila Mumladze; mit 15 wurde er in die angesehene Tbilisi Special Music School aufgenommen, wo er unter Daredjan Tsintsadze studierte. Im Jahre 2005 erhielt er Georgiens ‘Presidential Scholarship Award for Piano Performance’, der es ihm ermöglichte, zwei Jahre später nach New York zu ziehen, und dort seine Studien an der Juilliard Pre-College Division fortzuführen. Inzwischen ist er Stipendiat der Juilliard School und studiert unter Victoria Mushkatkol.
Mehr als ein Jahr vor seinem Debut in der Weill Recital Hall traf ich David zum ersten Mal in der Cafeteria der Juilliard School. Schon bald waren wir in ein freundliches Gespräch über Davids Ideen und Ansichten zum Thema Klavier, seine Liebe zur klassischen Musik, und seine Ausbildung und Erfahrungen in der georgischen Heimat im Vergleich zu seinem New Yorker Leben und dem Studium an der Juilliard School vertieft.
Nach diesem ersten Gespräch teilte David seine aussergewöhnliche Freude am Klavierspiel noch oft mit mir – in den Übungsräumen der Juilliard School, bei einem Abendessen mit meiner Familie, oder auch mal während seiner Privatstunde und Studio-Klasse mit Jerome Lowenthal. Ich habe es David zu verdanken, dass ich Jerome Lowenthals engagierte Lehrmethoden hautnah erleben durfte.
Noch am Tag vor seinem Debutkonzert in der Weill Recital Hall war ich dabei, als er eine Auswahl aus Schumanns ‘Kinderszenen’ übte. Sein Klavierspiel war beeindruckend und zeigte tiefes Verständnis für das Material, das er dem 21-jährigen Rodler widmen wollte, der Tage zuvor in der Qualifikationsrunde für die Olympischen Spiele tödlich verunglückt war.
Den letzten Teil der ‘Kinderszenen’ unter dem Titel “Der Dichter spricht” verband David ganz besonders mit dem tragischen Verlust seines Landsmannes, dessen Tod ihm sehr nahe gegangen war.
Dies war nicht das erste Mal, dass ich Davids Respekt und tiefe Emotionen miterlebt hatte. Was mich schon immer an ihm beeindruckt hatte ist seine Feinfüehligkeit, und die Dankbarkeit und Würdigung seiner sehr besonderen Situation. Weit weg von zu Hause, zu Gast bei einer grossartigen Schule, die ihn nach Kräften unterstützt, aber doch gleichzeitig auf sich selbst gestellt, sind es seine sanfte Art und guten Umgangsformen, die ihn so sympathisch machen.
Vor allem aber glaube ich, dass Davids Offenheit, Begeisterungsfähigkeit und Bescheidenheit sein hohes Mass an Integrität stärken und zu seinem guten Ruf als Künstler beitragen.
In seiner künstlerischen Laufbahn nahm David bisher an vielen Wettbewerben und Festivals teil; beispielsweise am
International Competition for Young Pianists in Tbilisi (2001), am Vladimir Spikanov International Festival in Moscow (2005), und am Nikolai Rubenstein Piano Competition in Paris (2006), wo er den Grand Prix gewann. Er trat ausserdem mehrfach in Funk und Fernsehen auf.
Es war jedoch sein Debut in der Weill Hall - gleichzeitig sein erstes Solokonzert - das ihm am meisten bedeutete. Davids umfangreiches Programm bot einige der grossartigsten Werke der Musikliteratur. Seine Leistung war überzeugend, und seine Interpretationen einfühlsam und ausgereift. Von einigen fehlerhaften Anschlägen abgesehen, erfüllte seine Darbietung höchste Ansprüche. Ich persönlich habe weitaus erfahrenere Pianisten erlebt, die mit einigen der komplizierten Passagen von Chopins Ballade No.4 in F-Moll, Opus 52, oder auch der Sonate No.3 in B-Moll, Opus 58 zu kämpfen hatten.
In diesem Zusammenhang sei gesagt, dass Tiefe und Vitalität einer Darbietung meiner Meinung nach sehr viel mehr zählen als die lupenreine Wiedergabe eines Musikstücks. Man könnte sogar sagen, dass das hohe Level an Perfektion und makelloser Spieltechnik, wie es die moderne Aufnahmetechnik verlangt, ‘unnatürlich’ ist, und lediglich zu einer leichter verdaulichen Version wahrer Essenz führen.
Live-Aufritte bringen immer ein gewisses Risiko mit sich, einschliesslich des Risikos, dass es zu Fehlern kommt - und natürlich sind Fehler nicht immer angenehm. Doch trotz des allgemeinen Verständnisses, dass Fehler nichts in einem Konzert zu suchen haben, machen sie eine Darbietung letztendlich authentischer.
Dazu David: “Nach einem Auftritt fühle ich mich immer schlecht, wenn ich ein paar falsche Noten gespielt habe, denn jede Note ist wie ein Diamant; wenn ein Juwelier eine perfekte Halskette anfertigt, kann er nunmal kein Juwel auslassen. Doch selbst wenn ich einem Auftritt anderer beiwohne – egal, was für ein Auftritt es sein mag – dann zählt immer das Gesamtbild für mich.
Wenn ich rechtzeitig merke, dass ich einen Fehler gemacht habe, und der Fehler nicht die ganze Linie einer melodischen Passage zerstört hat, dann wird er zu einem Grammatikfehler in einer ansonsten gut ausgearbeiteten Rede. Das Ganze ist ein tagtäglicher Lernprozess, und ich lerne ständig dazu.”
Als wir uns ein paar Tage nach dem Konzert in der Juilliard-Cafeteria trafen, erzählte mir David von den stressvollen Tagen vor seinem Debut. Er hatte wenig Zeit zur Vorbereitung gehabt, da er auch zum Teil in die organisatorischen Details des Konzerts involviert gewesen war. Stattdessen war er zum Beispiel in der Stadt unterwegs gewesen, um einen Smoking zu finden, oder um sich um die Einladungen und Programmhefte zu kümmern.

Zum emotionalen Impakt, den sein New Yorker Debut auf ihn hatte, meinte er: “Ich war sehr aufgeregt, und ich muss sagen, ich hätte noch besser spielen können. Auch half es nicht gerade, dass das Klavier ziemlich durchschnittlich war. Um die hohen Melodie-Töne heraus zu bringen, musste man ganz schön hart arbeiten. Dabei habe ich sogar ein wenig meinen kleinen Finger verletzt.
Alles in allem habe ich sehr viel von der Erfahrung gelernt. Mit derart vielen Leuten zusammen zu arbeiten, und auch noch an der Organisation beteiligt zu sein … das war schon eine grosse Leistung, die mir zu einem positiven Abschluss meiner Teenagerjahre verholfen hat.

Und schliesslich gibt es viel Platz für weiteres Wachstum. Am Tag nach dem Konzert habe ich alle Teile, in denen ich Fehler gemacht habe, nochmal gespielt. Ich hatte das Gefühl, dass ich das den Komponisten schulde. Musik ist nie automatisch; sie drückt die Emotionen des jeweiligen Moments aus, und darum sind verschiedene Darbietungen nie genau gleich.”
David hat sein Debut aufgenommen, aber wollte sich die Aufnahme erst ein paar Wochen später anhören, dann nämlich, wenn er genug Abstand davon hätte. Auch wollte er in seiner Entwicklung als Pianist schon einen kleinen Schritt weiter sein, und neue Einsichten gewonnen haben, wie man ultimative Freiheit am Klavier erreicht. Die wiederum – da habe ich keinerlei Zweifel – werden ihn immer wieder zur Schönheit der Musik hinziehen.