Monday, February 20, 2012

Erno Kallai - Geiegenspielen in der alten Tradition


Erno Kallai und Itzhak Perlman
Der ungarische Violinist Erno Kallai hat als Schüler des legendären Violinisten Itzhak Perlman bei ‘Julliard’ sicherlich eine schwere Aufgabe in dessen Fußstapfen zu treten. Bei dem Meister zu studieren rückt Kallai in den Mittelpunkt einer andauernden Tradition, die Generationen emminenter Violinisten inspirierte – Meister die große Persönlichkeiten waren. Als ich vor dem Eingang zu seinem Studio im fünften Stock der ‘Julliard School’ darauf warte, Perlman zu treffen, ertappe ich mich dabei darüber nachzudenken, dass dies einschüchternd für jeden jungen Violinisten sein könnte, selbst dann, wenn es, wie im Falle von Kallai, einen Traum offenbart, der wahrgeworden ist.
Das Unterrichtsstudio mit Blick über seinen eigenen kosmischen, klassischen Musikbezirk rund um das Lincoln Center, gehörte einst Dorothy DeLay, die Generationen begabter Violinisten unterrichtet hatte, die aus aller Welt zu ihr kamen, einschließlich von Perlman selbst seit seinem 13. Lebensjahr. Die große Dame und Pädagogin, die als Assistentin bei Ivan Galamian begonnen hatte, eine anscheinend immens verehrte, wenn nicht sogar gefürchtete Autorität der Violine, brachte fortwährend eine Liste von Studenten hervor, die sich wie das ‘Who’s Who’ der oberen Ränge der Violinen Prominenz las. (Ihr Vermächtnis wird sehr gut in Barbara Lourie Sands “Teaching Genius” beschrieben.)
Bezeichnenderweise gelang es ihr, jeden einzigartigen Stil, jede Individualität und spezifisches musikalisches Ich eines Studenten intakt zu lassen. Es gab keine Fließbandproduktion von seelenlosen Getreuen einer bestimmten Methode. Viele liebe- und humorvolle Ehrerweisungen, die sich von “ihren Wunderkindern” auf ihre Eigenheiten bezogen, halten dieser großartigen, treibenden Kraft zugute, ihre Erfolge angeregt zu haben und zollen Anerkennung für ihre Gabe sie zu unterstützen und vor allem darin zu bestärken, unabhängig funktionierende Musiker und Menschen zu werden.
Herr Perlman, der ihr Assistent wurde, bevor er später selbst ihr Studio weiterleitete, eignete sich ihren erfolgreichen pädagogischen Ansatz an. Laut Schilderungen und meinen eigenen Eindrücken von Herrn Perlmans innerer Einstellung dem Unterrichten gegenüber und seiner eingehenden und persönlichen Beschäftigung mit den Studenten, scheint es für die ehrgeizigen Violinisten kein besseres Zuhause fern von zuhause zu geben. Diese zugetanen Musiker sind, und das ist genau so wichtig, wahre Menschen und die Herangehensweise muss flexibel und persönlich bleiben. Perlman meint: “Studenten wie Lehrer gibt es in verschiedenen Kategorien. Ich selbst war ein anderer Student bei Galamian; ich war so eingeschüchtert, dass ich kritiklos jede Anweisung befolgte. Ich rebellierte nicht oder ignorierte seine Ratschläge; ich akzeptierte einfach nur alles, ohne es zu analysieren. Bei DeLay gab es hilfreiche Anregungen und individualistisches Denken. Das ist die Art von Unterricht, an die ich mich zu halten suche – obwohl ich auch viel von Galamians autoritativem Ansatz gelernt habe – und Erno ist die Art von Student, die ich bei DeLay war,” erläutert Perlman. “Wir haben viele gute Diskussionen; es gibt immer Anregungen und Möglichkeiten, musikalisch gesehen. Erno weiß, was er macht. Man schaue nur auf seine Hände und man weiß, dass er sein Instrument versteht.”
Perlman war immer Kallais Idol. Er begann im Alter von zwei Jahren auf der Spielzeuggeige zu spielen und wuchs sein ganzes Leben von Musik umgeben, auf. Nie stellte sich die Frage, etwas anderes als ein Violinist zu werden.
In Budapest geboren und aufgewachsen, als Sohn eines Violinisten der sich auf Zigeunermusik spezialisiert hatte, sah Kallai eine Werbeanzeige für das ‘Perlman Music Program’ auf Long Island. Dieses Programm gab es seit 1993 und war dank der Intiative von Toby Perlman (selber eine ehemalige Studentin von Delay) gegründet worden, um ein Ferienlager für vielversprechende 8- bis 18-jährige Violinisten zu schaffen, das ein unterstützendes, musikalisches Umfeld bieten sollte.
Kallai hat für Perlman als einen Lehrer äußersten Respekt. Perlman vermittelt durch seine Expertise wertvolle musikalische Botschaften und besorgt für Studenten freigiebig die notwendigen Kontakte. Bei vielen Gelegenheiten bietet er ihnen die Möglichkeit, mit ihm auf der Bühne das Rampenlicht zu teilen. Aber es gibt noch ein weiteres Element, die seine berühmte Popularität zu kongenialer Zuneigung und Respekt von seinen Studenten wie Kallai erhebt und das ist sein Enthusiasmus. Perlman suchte Kallai nach dem Hören nur weniger Noten auf einem technisch nicht einwandfreien Vorspielband aus, das im Jahre 2003 dem ‘Perlman Music Program’ zugeschickt worden war. ”Ich hörte mit Toby, meiner Frau dem Band zu. Das ‘Perlman Music Program’ ist ihre Idee! Wir sagten uns beide sofort: ‘Wir werden ihn aufnehmen!’ Es gab etwas an seinem Spielen, was wir sehr gern mochten; er war ein Virtuose mit einem guten technischen Fundament und einem guten Klang und sein Stil und seine Haltung gegenüber dem Instrument waren besonders, in einer Art großen Tradition, genau wie ich Geigenspielen hören mag.”
Locker in seinem elektrisch betriebenen Rollstuhl sitzend – so als wäre es gerade mal die nächst verfügbare Sitzposition, erlaubt es Perlmans starker, freier Geist, nicht auf seine physischen Einschränkungen, die eine Folge seiner Ansteckung mit Kinderlähmung im Alter von vier Jahren sind, begrenzt zu sein oder von diesen definiert zu werden. Mit einem enormen Fundus an Stärke und Würde hat Perlman jede anfänglich antizipierte Beschränkung überwunden. Er hat nicht nur den größten Erfolg als Auftritts- und Aufnahmekünstler erreicht, sondern ist ein geselliger Lehrer, der an erster und vorderster Stelle beispielhaft die Bedeutung aufzeigt, ein echter “Mensch” zu sein.

Foto von Itzhak Perlmans Website
Sein Aktivismus für die Belange Behinderter ist weltbekannt und es ist teilweise dank seiner großen, künstlerischen Statur, dass ‘Carnegie Hall’ – wie auch andere öffentliche Institutionen – die Notwendigkeit erkannt haben, Sessellifte zu installieren, als Ergebnis seiner Bemühungen, in gleicher Weise Zutritt zu haben.
“Ich hatte genug davon, mein Leben hinter der Kulisse in den Frachtfahrstühlen der Konzerthallen Amerikas zu verbringen.” (zitiert von Sand – ‘Teaching Genius’ S.190)
Bei Juilliard ist sein Studio mit einer Tür, die mit Fernsteuerung zu bedienen ist, ausgestattet, was ihm leichten Zutritt garantiert.
Itzhak Perlmans Mitwirkung am Unterrichten und dabei, das Orchester seines eigenen Programms zu leiten, führte zu einem umfassenderen Denken. Aus seinen Bemühungen auf Long Island entwickelte sich das Perlman Musik Programm des aus Israel Gebürtigen auch in Jerusalem und eine kürzere Winterversion in Sarasota.
“Mein erster Sommer auf Long Island fand im Jahre 2003 statt,” erinnert sich Kallai. “Ich war so begeistert, in das Programm aufgenommen worden zu sein und genoss jede Minute seiner sechs Wochen von intensiven Meisterklassen, Kammermusikgruppen und Orchesterproben und es gab auch die Teilnahme am Chor. Der ganze Tag war mit musikalischen Aktivitäten und etwa vier Stunden Privatunterricht an jedem Morgen angefüllt. Ich schloss viele Freundschaften; einige dieser Freunde studierten ebenfalls bei ‘Juilliard’. Danach wurde ich im folgenden Sommer wiedereingeladen und dann ebenso zum Winterprogramm in Florida. Als mich Herr Perlman im zweiten Jahr ansprach, ob ich mich nicht bei ‘Julliard’ als sein Student berwerben wollte, fühlte ich mich sehr geschmeichelt. Die Tatsache, dass er einen Student empfiehlt, ist natürlich eine großartige Chance, aber die anderen der sechs Jurymitglieder müssen ebensfalls zustimmen,” erklärt Kallai. Im Jahre 2006 machte sich Kallai auf den Weg nach New York zu Julliard, wo er in diesem Jahr 2012 im Mai sein ‘Master’ Programm abschließen wird.

Foto: Tamas Revesz
Kallai beschreibt Itzhak Perlmans Spielen als: ”Verschieden von dem eines jeden anderen. Aber er möchte nicht, dass ihn seine Studenten nachahmen oder irgendjemand anders. Er schafft es wirklich, dass man selbst nachdenkt, er sagt nicht alles, wir diskutieren viel und sehen, was inspiriert. In seiner Gegenwart zu sein, ist einfach großartig. Ich habe gelernt, mir selbst und der Musik im allgemeinen auf eine andere Weise zuzuhören. Nachdem ich ihn getroffen habe, kann ich nun klarer hören, wie die Struktur in der Musik verlangt, aufgebaut zu werden, wie man verschiedene Nuancen, mehr Farben und Klang hervorbringt. Selbst wenn diese Dinge in einem selbst sind, braucht man doch das richtige Feedback, damit diese sicher herauskommen, um dir Selbstvertrauen zu geben.”
“Als Erno den Juilliard Wettbewerb mit dem Prokofjew Konzert gewann,” sagt Perlman, und bezieht sich auf Kallais ‘Carnegie Hall’ Auftritte im Jahre 2008 von Prokofjews zweitem Konzert, ”war es recht offenkundig, dass er das Zeug zum großen Auftrittskünstler hat. Er ist in der Lage, während eines Auftritts seine Spontanität durch seine musikalische Inspiration aufrechtzuerhalten. Während des Auftritts passieren diese extra Sachen. Das Adrenalin, das auf der Bühne im Spiel ist, verhilft einem dazu, Dinge etwas anders zu machen. Es kann bis zu einem bestimmten Grade eingeübt werden, aber man fühlt das im Moment. Es ist dieser gewisse Gemütszustand, wo man tatsächlich – musikalisch gesprochen – improvisiert. Ich erzähle immer meinen Schülern – obwohl für sich allein genommen er nervenaufreibender ist, ist der erste Auftritt sehr leicht, weil, na klar, es das erste Mal ist. Aber was macht man beim zweiten, dritten Mal … um involviert zu bleiben. Genau dann ist es, wenn die eigene musikalische Inspiration gefordert ist…genau das und das aufmerksame Zuhören.” erläutert Perlman.
Foto: Nick Granito
Perlman steht hundertprozentig zu seinen Worten des Lobes. Im November nahm Kallai an Perlmans Arsht-Center Kammerkonzertauftritt in Miami teil. Während des 2012 Semesters wird Kallai auf einer Kammermusik-Tournee Perlman begleiten, die sie nach Mexiko, Toronto und Virginia führen wird. Seite an Seite mit seinem Mentor zu spielen, ist ein Erlebnis, das Kallai wertschätzen kann: ”Er nimmt wirklich seine Studenten als Musiker und Menschen ernst. Er fördert den individuellen Ausdruck in der Musik – genau wie er es am Abendtisch in seinem Hause tut. Wir – seine Studenten – fühlen uns schließlich wie zu seiner Großfamilie gehörig und lieben es vorbeizukommen, um zu spielen und mit ihnen zu sprechen, und oft kocht Toby – seine Frau – für uns, was immer etwas besonderes ist.”
Für Kallais kommende Auftritte, wie zum Beispiel sein Konzert im September im Louvre siehe seine Website: www.ernokallai.com

Monday, February 13, 2012

Oh so Goode! Und noch besser mit Musik!



Photo: Deborah Feingold
Alles am Pianisten Richard Goode strahlt Freundlichkeit, Höflichkeit, einen guten Sinn für Humor und Geduld aus. Vorallem aber, vermitteln seine lebendigen Augen eine Neugierde, die mit einer Vitalität und Jugendlichkeit leuchten, die einen leicht über sein Alter hinwegtäuschen — im letzten Sommer wurde er 68 Jahre alt.

Ich hatte die Chance, ihn bei zahlreichen Gelegenheiten spielen zu hören, nicht nur bei einem seiner zahlreichen Konzerte in der Carnegie Hall, wo er aus einer Handvoll herausragender Auftrittskünstler bei Carnegies jährlicher ‘Keyboard Virtuoso’ Reihe vorgestellt wird, sondern auch in intimeren Settings, wie dem ‘92nd Street Y’. Er schafft es immer wieder, das Publikum mit seinen Interpretationen voller Einsicht zu überzeugen. Die Financial Times nannte seine Aufnahme aller fünf Beethoven Konzerte, die er mit dem ‘Budapest Festival Orchestra’ unter der Leitung von Ivàn Fisher (herausgegeben von ‘Nonesuch Records’ im Jahre 2009) spielte, eine “richtungsweisende Aufnahme der Beethoven Konzerte”. Er ist ein Auftrittskünstler, der es schafft, sogar dem bekanntesten Repertoire einen persönlichen Stil und besondere Nuancen abzugewinnen.

Als ich seine Wohnung in der ‘Upper East Side’ betrete, wurde ich gebeten, bitte meine Schuhe auszuziehen und von seiner Frau, der Violinistin Marcia Weinfeld und dem ehrwürdigen Pianisten selbst begrüßt, der entscheidend dabei mitgeholfen hat, das hohe Niveau der internationalen Piano- Szene zu prägen. “Meine Frau unterrichtet ihre Schüler im anderen Wohnungsflügel,” sagt er und schließt die großen, schweren Türen zu seinem Studio, das mit gut gefüllten Bücherregalen ausgestattet ist, die Teile der berühmten Goode Buchsammlung, Aufnahmen und viele Musikpartituren, eine gemütliche Couch und natürlich seinen Klavierflügel beheimatet.

Wie viele zu dieser Zeit aus der Bronx Stammenden, kommt Goode aus einer jüdischen osteuropäischen Familie — beide seine Großmütter wanderten mit ihren Kindern direkt vor dem Krieg aus der Ukraine nach Amerika aus und es dauerte einige Jahre bis ihre Ehemänner ihren Familien nach New York folgen konnten. Goodes Großmutter mütterlicherseits war jüdisch-orthodox und strenggläubig, was seine Mutter rebellieren und einen recht sekulären, amerikanischen Lebenstil annehmen ließ. Goode beschreibt seinen Vater als sehr musikalisch, obwohl er nie eine Musikausbildung erhielt. Seit dem sich der talentierte Sohn ernsthaft dem Klavierstudium widmete, begann der Vater Klaviere zu stimmen, “was wirklich schwer ist — ich versuchte es, aber konnte es nicht machen” fügt Goode lächelnd hinzu.

Goodes erste Lehrerin, an dessen Hausbesuche er sich noch erinnert, entsprach nicht den Vorstellungen seinens Vaters. Einen passenderen Einfluss übte Elvira Szigety, eine Tante des gefeierten Violinisten Josef Szigety, aus und leitete den sechseinhalbjährigen Jungen für die nächsten drei Jahre weiter an.

Die berühmte Kunstmäzenin Rosalie Leventritt hatte auf Richard Goodes frühe Laufbahn den größten Einfluss. Die Leventritt Stiftung war landesweit maßgeblich daran beteiligt, die Musikerziehung zu fördern (siehe die Geschichte der Young Audiences unter http://www.youngaudiences.org ). Durch die Vermittlung von Leventritt wurde Goode dem Pianisten Rudolf Serkin vorgestellt, der zusammen mit Leventritt dem Vorstand der Young Audiences angehörte und willens war, dem jungen talentierten Jungen zuzuhören, wie er für ihn im Haus von Leventritt spielte.

“Serkin brachte mich zu Claude Frank,” sagt Goode, ”der ein Schüler von Schnabel war. Ich hatte Unterrichtsstunden in Leventritts Haus. Dann begann ich das ‘Mannes College’ zu besuchen, das zu dieser Zeit auf der ‘East Side’ beheimatet war. Ich hatte in meinem Leben das Glück, durch meine verschiedenen Lehrer vielen Einflüssen ausgesetzt gewesen zu sein, wie zum Beispiel meinem Theorielehrer Carl Schechter bei ‘Mannes’ und Nadja Reisenberg, die eine Assistentin von Hoffman war, und später, als ich zu Curtis ging, Mieczyslaw Horszowski und natürlich Serkin selbst. Lehrer prägen einen unweigerlich und dann möchte man ihnen entkommen,” gibt Goode zu Bedenken. Rudolf Serkin bleibt eine herausragende Persönlichkeit mit “seiner intensiven und dramatischen Art des Spielens, seiner vollständigen Hingabe an die Absichten des Komponisten und dessen besonderem Stil … er war eine sehr starke Persönlichkeit, die ich bewunderte und von der ich mich gleichzeitig absetzen musste. Ich bin eine ganz andere Person.” Der andere gewaltige Einfluß auf Goode – obwohl nur durch seine Aufnahmen übertragen – er hat ihn nie persönlich kenengelernt – war Schnabel selbst. “Stellte Serkin die Hitze da, war Schnabel das Licht”, meint er. Der österreichische Artur Schnabel war legendär für seine intellektuelle Beherrschung von Beethovens und Schuberts Musik und den Verzicht auf jegliches aufdringliches Prahlen mit der persönlichen bravourösen Technik.

“Es ist für mich eine Erleuchtung, der man folgen konnte, in Hinsicht darauf, wie er Musik sah und wie er intellektuell mit größter Klarheit seine Musik auswahl interpretierte. Jahre nachdem ich aufhörte bei Curtis zu studieren, gab Schnabels Sohn Karl Ulrich Meisterklassen bei ‘Mannes’”. Goode war voller Ehrfurcht solch enge Begegnungen mit dem Sohn seines Idols zu haben. “Und was für eine witzige und angenehme Person er war – und was für ein genauer Lehrer. Sein Unterricht dauerte stundenlang und er gab alles in so einer ungemein warmherzigen und großzügigen Art und Weise. Seine Unterrichtstunden hielten eingie Stunden an und er war danach erschöpft” erinnert er sich. “Ich besitze immer noch Partituren, die von ihm mit Notizen versehen sind.”

Goode übernahm zusammen mit der Pianistin Mitsuko Uchida, (András Schiff machte ursprünglich ebenfalls für einen kurze, anfängliche Zeitspanne mit) Rudolf Serkins historische, vierzig Jahre andauernde künstlerische Leitung des Marlboro Festival nach Serkins Tod im Jahre 1991. Goode begann im Alter von 14 mit dem Besuch von Marlboro, idyllisch im ländlichem Vermont gelegen – einer der Haupt - Nachwuchförderungsstätten der nächsten Generation großartiger Musiker an der Ostküste. Während neun aufeinanderfolgenden Sommern spielte er Kammermusik und lernte von Lehrern, die dafür bekannt sind, zu den Besten zu gehören.

Ich fragte ihn, ob sich unter seiner Leitung das Leben in Marlboro verändert hätte. Er antwortete ein wenig zögernd: ”Der Ton mag sich ein bisschen verändert haben, aber die grundsätzliche Idee blieb bemerkenswerterweise die gleiche. Wir bekommen das Talent, bieten einen Platz zum arbeiten und natürlich eine gute Anleitung und der Geist all dessen schafft eine gute Atmosphäre, wo man auch Spaß haben kann. Wir errichten die Strukturen für Disziplin und Freiheit und dann überlassen wir alles sich selbst. Eine große Veränderung von den alten Weisen ist eine harmonischere, akzeptierendere Haltung gegenüber Musikern, die es einem erlaubt, sich nicht so zu fühlen, als wäre man auf Bewährung hier. Leute hatten früher mehr davor Angst beurteilt zu werden – nun ist alles ein bisschen legerer. Generell haben wir viele Streichinstrumentalisten, aber unglücklicherweise sind wir, was Pianisten betrifft, an der Zahl beschränkt. Wir haben ‘auditions’ und 4-5 der älteren kommen normalerweise für 3 Jahre. Das lässt den Raum für ungefähr 5-6 Newcomer zu. Alles in allem gibt es jeden Sommer 10 Pianisten vor Ort. Alle Teilnehmer proben ausgiebig zusammen und, wenn alles gut geht, hat man schließlich viele Auftritte.” Aber vielleicht ist für alle vielbeschäftigten Musiker hier in Marlboro der wichtigste Faktor das bemerkeswert Einfache und dennoch Erfrischende, das heutzutage in der schnelllebigen, geschäftigen Welt fehlt, die keine Zeit lässt: “Es ist ein Ort, an dem man Zeit hat!”

Photo:Matthew Murphy for the NYTimes
Darüberhinaus bietet Marlboro nicht nur ein sehr willkommenes Lernerlebnis, sondern auch viel Spaß mit anderen jungen Musikern; es ist ebenfalls eine großartige Gelegenheit, sich als aufstrebender Musiker einen Namen zu machen. Viele Pianisten haben dies, als Musicians from Marlboro, mit einer Vielzahl von Auftrittsmöglichkeiten über das Festival hinaus erricht, wie zum Beispiel durch eine, dem Festival angeschlossene Tournee bei der Kammermusikreihe des New York Metropolitan Museums. Unter den weithin bewunderten Teilnehmern des Festivals sind die Marlboro-Asolventen Jeremy Denk und Jonathan Biss, ein Freund von Denk, der im Februar 2010 zusammen mit Richard Goode ein außerordentliches Duo Konzert beim ‘92nd Y’ gab.

Hinsichtlich der anscheinend anwachsenden Menge unermäßlichen musikalischen Talents hat Goode Folgendes zu sagen:”Die immerwährende Fähigkeit zur Musik hat sich gewandelt; es ist bemerkenswert, was für einen Unterschied das Internet uns gebracht hat. Ich selber bin immer noch bei diesem Prozess hinterher,” gibt er lachend zu. “Ich habe bei Marlboro über die letzten 10 Jahre solche Finesse bemerkt. Leute bauen auf dem auf, dem sie ausgesetzt waren, das was sie hören und sie entwickeln eine größere Fähigkeit und Affinität. Gute technische Beherrschung war immer schon weit verbreitet. Technische Herausforderungen werden immer irgendwie überwunden werden. Ein großes Ziel vor Augen zu haben, ist aufregend und Musiker stellen sich den Herausforderungen. Aber das Niveau von musikalischem Können hat sich definitiv erhöht. Ich sehe, dass Musik im klassischen Stil zu machen, viel schwerer für die jüngere Generation zu meistern ist als vielleicht ein Werk aus dem späten 19ten oder frühen 20ten Jahrhundert. Grundsätzliche Elemente liegen viel mehr offen – jede Note zählt und Beziehungen sind vielleicht subtiler. Musiker brauchen die Öffentlichkeit, mehr Interaktion mit anderen Musikern anderer Disziplinen und mehr Kommunikation. Wir haben einige Innovationen mit bei Marlboro einbezogen, zum Beispiel ein wundervolles Programm für Vokalisten, die zuvor ein bisschen wie Bürger zweiter Wahl behandelt worden waren. Wir bieten nun einen Opern- ‘Workshop’, der von Ken Noda von der ‘Metropolitan Opera’ eingerichtet wurde, wie auch ein Programm für begabte Nachwuchs-Künstler.“

Goode unterrichtet auch am ‘Mannes College’ und gibt Meisterklassen mit Ursula Oppens am City College. “Es wurde mir zunehmend klar, dass das Unterrichten und das Spielen nur verschiedene Aspekte der selben Sache sind - ein Musiker zu sein, sich in die Musik hineinzuversetzen und, wie es Horszowski ausdrückte, das Lesen der Partitur mit einzuschließen und zu sehen, was es darin gibt!” Und er fügt hinzu, “die Sache, die ich bei Serkin gelernt habe, dass es das Resultat am Ende ist, das zu entdecken, was versteckt ist; aber um das zu tun, muss man erst die Partitur auskundschaften und darüber Bescheid wissen, was es darin gibt!”

Photo: Sasha Gusov
Und da wir über die Partitur sprechen, erzählte ich ihm von meiner Liebe für das Schumann Konzert. Er berichtet mir von einer wunderbaren Überraschung, die er eines Abends nach der Aufführung meines Lieblingskonzertes erlebte:” Nach meinem Auftritt kommt Richard Roe, der Musikexperte von Sothebys, hinter die Bühne und fragt mich, ob ich die Orginalpartitur von Schumann Konzerts sehen möchte. Ich brannte vor Freude und Neugierde und meinte, ‘natürlich, wann kann ich kommen, um sie zu sehen – vielleicht morgen?’ Und da war sie, die Orginalpartitur, direkt bei Sothebys, voll von Überarbeitungen in Schumannns sorgsamer Handschrift.” Und damit gingen wir hinüber zu seinem Bücherregal, suchten ein bisschen und kamen dann mit einer gedruckten naturgetreuen Kopie der Originalversion zurück, die so klar Schumanns Bemühungen aufzeigt, beim Übergang vom zweiten zum dritten Satz eine von vier Versionen auszuwählen. Am Anfang stand ein anderer Anbeginn, mit dem Klavier anfangend und dem Orchester den dritten Takt gebend. Goode erzählte mir von einem Auftritt, der dessen Publikum erstaunte, dem Spielen der ursprünglich ersten Version der Partitur in der ‘Carnegie Hall’ von dem Pianisten Malcom Freger, der ein Schüler von Karl Friedberg war, der seinerseits bei Clara Schumann studiert hatte. Traditionen verpflichten und die Partitur ist ein Kapitel für sich. Um dieses zu bezeugen, erzählt mir Goode, dass er sich dazu entschlossen hat, öfter mit der Partitur aufzutreten. Für ihn ist es so, dass das Auswendiglernen den Prozess des Hervorbringens von Musik beschneidet: “Besser, ich spiele entsprechend der Musik. Vieles in meinem Spielen (in der Kammermusik) liegt in der Musik selbst. Warum soll man drei Haydn Sonaten auswendig lernen, wenn man mit der Partitur vorliegend 15 spielen könnte? Ich empfinde ein großes Maß an Freiheit und weniger von der Angst, vor einem Erinnerungsfehler eingeschüchtert zu werden. Solange man die Musik verinnerlicht, macht es nichts aus, dass sie vor einem steht, es sollte so sein, wie es für einen jeden Auftrittskünstler am besten ist, das auszudrücken, wovon man denkt, das es den richtigen Klang vermittelt. ”

Es ist an der Zeit, dass sich jemand von dem emanzipiert, was zu einem ungeschriebenen Gesetz der Spielpraxis geworden ist. Zu guter Letzt geht es darum, wie gut man der Musik Gehör veschafft.



Richard Goodes nächste Auftritte in New York City:

24. April 2012 - Carnegie Hall, Isaac Stern Auditorium, New York, NY.



Während der Tournee

12. Februar 2012 - Royal Festival Hall, South Bank Centre, London

2. März, 2012 - University of Buffalo Lippes Concert Hall, Buffalo, NY.

4. März, 2012 - Chicago Symphony Center, Chicago, IL.

5. März 2012 - Lutkin Hall, Northwestern University, Evanston, IL.

9. März 2012 - Kauffman Center for the Performing Arts, Kansas City, MO.

18. März 2012 - Shriver Hall, Baltimore, MD.

20. März 2012 - SOPAC, South Orange, NJ.