Sunday, April 17, 2011

Eine Konzertsaalerfahrung - weit mehr als eine Partitur






Musik auf kreative Weise in ihrem Kontext zu zeigen und ihrer Entstehung eine visuelle Textur hinzuzufügen, scheint das heiße Rezept zu sein, wenn es um die Bemühungen geht, ihre Attraktivität für das heutige Musik Publikum zu vergrößern. Das gilt für Live-Auftritte, die in alternativen Settings stattfinden, ebenso wie für motivierende Herangehensweisen in traditionellen Veranstaltungsorten, sprich dem Konzertsaal. Dieser vielseitige Ansatz erreicht einen Höhepunkt, wenn man “Beyond the Score”, dem ‘Chicago Symphony’s Outreach Program’ zuhört und zusieht. Darauf ausgerichtet, Neulinge auszubilden und ihre Neugier zu vergrößern wie auch das reguläre Publikum einzubinden, hat sich “Beyond the Score” als attraktiver und effizienter Aufmerksamkeitserreger für das ‘Chicago Symphony Orchestra’ und andere, die diesem Beispiel folgten, erwiesen. Der Einfallsreichtum seiner “sexy” Produktionen, wie auch deren hoher künstlerischer Standard, hat “Beyond the Score” eine Reputation beschert, welche weit über ihren pädagogischen Wert hinausgeht. Jetzt in ihrem sechsten Jahr, wählt jede Multimedia Produktion eines “Beyond the Score” Programms ein bestimmtes Musikwerk aus, stellt Aspekte dieses Werkes vor, indem live verschiedene Beispiele gespielt werden und diese einer theatralischen Geschichte eines Erzähler folgend und mit Bildern integriert, die über der Bühne auf eine Leinwand projeziert werden, und/oder mit unterschiedlichen Klangeffekten, die sich auf ihren historischen Hintergrund und ästhetischen Inhalt beziehen. Nach der intensiven und kreativen Auseinandersetzung mit dem ausgewählten Werk kehrt das Publikum nach der Pause zurück, um dann das Werk in vollständiger Länge zu hören und so neben dem Konzertsaalerlebnis einen neuen Einblick und Verstehensebene mit sich bringt. Von Playbillarts (http://www.playbillarts.com/features/article/8173.html) als “edutainment” [als bildende Unterhaltung] bezeichnet, wurde “Beyond the Score” im Jahre 2009 von seinem Hauptdirigenten Charles Dutoit zum ‘Philadelphia Orchestra’ gebracht, nachdem er einige diese Präsentationsarten in Chicago dirigiert hatte. “Ich mag sehr diese Art und Weise Musik in ihrem historischen und politischen Kontext zu präsentieren,” wurde Dutoit zitiert. “Auf diese Weise würde ich mir etwas beibringen und diese spezielle Reihe ist auf viel höherem Niveau als alles, was ich jemals zuvor gesehen habe… dies ist keines dieser ‘Blahblahs’ über Musik. Und er fügt hinzu, dass es gerade das theatralische Element ist, das diese Serie zu einem Vergnügen und überzeugend macht.” Pierre Boulez, spricht auf [der Webseite] http://beyondthescore.org/, solche Fragen an wie: ist es wirklich notwendig, eine Partitur wieder neu zu erfinden, ihren Zeitgeist zu analysieren und und diesen dem Publikum gegenüber in jeder Einzelheit zu erklären? Ist denn die Musik nicht genug? Er führt an, dass ein Kunstwerk nie einfach aus dem Nichts kommt wird: Es drückt mehr in seiner Tiefe aus , wenn man etwas über die Sprache des Komponisten weiß, darüber, was er ausdrücken will und wie er es ausdrückt.” Die Reihe nahm offiziell in Chicago im Jahre 2005 ihren Anfang, als Idee des aus England stammenden Gerard Mcburney und sie wurde vom ‘Chicago Symphony Orchestra’, unter seinem Vize-Direktor für künstlerische Planung und Publikumsentwicklung und Martha Gilmer, der geschäftsführenden Direktorin von “Beyond the Score” übernommen. Chicago Symphony Hall Ich hatte die Gelegenheit, Gilmer in ihrem Revier zu treffen, zwischen den Orchesterproben mit dem gefeierten Ricardo Muti, dem Dirigenten, der jüngst von der Chicagoer ‘Symphony Hall’ willkommen geheißen wurde. Gilmer erläutert: ”Es gibt Hunderte von Orchestern, die sich an ihr Publikum wenden, aber unsere Art und Weise, sich an das Publikum zu wenden, ist einzigartig. Die Gelegenheit, verschiedene kulturelle Kunstformen zu erleben, Geschichte, Literatur, Poesie, die bildenden Künste, Poster, Graphiken, Film…das geschriebene und das gesprochene Wort, dramatische Darbietungen, die in den Bereich einer Live Performance eines musikalischen Werkes integriert werden, bringen ein völlig neues Erlebnis mit sich und unser Publikum ist darauf wirklich angesprungen. Als ich im Jahre 2004 aus Anlaß der Eröffnung der ‘Walt Disney Hall’ Mcburney’s Vorstellung von ‘Strange Poetry’ mit der ‘Los Angeles Philharmonic’ und zu der Zeit mit dem Musikdirektor Esa-Pekka Salonen sah, wusste ich, dass ich meinen Partner gefunden hatte, klassische Musik einem größeren Publikum näher zu bringen. Ich hatte etwas gesehen, was mein Verständnis von Berlioz’ Symphonie Fantastique änderte und zu einem völlig neuen Erlebnis machte.” Diese Produktion war eine Zusammenarbeit von Gerard McBurney mit dem Bruder von Mcburney, dem Theaterdirektoren Simon Mcburney, mit dem er bereits die sehr erfolgreiche Produktion “Noise of Time” am Lincoln Center geschaffen hatte, einer Multimedia Vorstellung für das Schostakowitsch Konzert / des Emerson Quartetts im Jahre 2000. Gilmer beschreibt die emotionelle Reaktion des Publikums und wie sie diese als Teil der Attraktivität sah. Sie erinnert sich an eine besonders ergreifende Reaktion auf einer Schostakowitsch Vorstellung, die die politische Repression der Stalin Ära in Erinnerung rief und zu der Zeit, als es komponiert wurde, eine Aufführung seiner vierten Symphonie verbot. Das Bühnenbild stützte sich auf typische Propaganda Poster aus der Kommunisten-Ära, auf denen stand: ”Ist Musik gefährlich?” Ein Mann im Publikum stand während Mcburneys Erzählung auf und rief: ”Lang lebe die dritte Internationale!”, wovon die Leute glaubten, es handele sich um einen Teil des Skripts der Aufführung. Dieser Wutausbruch zeigte mir, dass, in der Tat, Musik potentiell gefährlich ist. “Es ist emotional ergreifend,” schenkt man der Darstellung von Gilmer Glauben. Schließlich wurde Gerard Mcburney im Jahre 2009 künstlerischer Berater und künstlerischer Direktor von “Beyond the Score” Mitarbeiter beim ‘Chicago Symphony Orchestra’. Er besitzt sicherlich die Gabe, seine Begeisterung für “Beyond the Score” mitzuteilen, was selbst während unsereres kurzen Gesprächs klar wurde. In seinen kreativen Händen wird die Partitur ein Entwurf mit vielen Möglichkeiten. Die Herausforderung liegt darin, dasjenige zu finden, dass am meisten über das eigentliche Wesen des Musikwerkes aussagt und dann diese wesentlichen Elemente in einem größeren Kontext zu präsentieren. In diesem Prozess zerlegt er die Partitur in all ihre Facetten, indem er in jedes Detail sich hineindenkt, was für eine überzeugende Neuschaffung”…und bei jedem Werk wird das etwas anderes sein …und es ist sowohl von der Verfügbarkeit von Künstlern wie auch von glücklichen Zufällen abhängig.” Als Beispiel beschreibt er die Produktion von Stravinskys Frühlingsritus [Le Sacre du Printemps], für den er, anstatt die historisch uns bekannte skandalöse Balletproduktion bildlich darzustellen, lieber eine andere inhärente musikalische Komponente auswählte. Die Melodien, die von Stravinsky verwendet wurden, basierten auf Volksliedern, und waren in traditionellen ukrainischen Hochzeitsliedern verwurzelt, wie nach weiterer Erkundigungen herausgefunden wurde. Ein Spezialist dieser aussterbenden Kunstform war in der Ukraine beheimatet – und wurde, dank der Chicago Verbindung ,und mit einem lokalen Chor in der Gegend von Chicago gesendet. “Es hatte erstaunliche Wirkung,” erinnert sich Mcburney, der jenseits der auf das Detail gerichteten Orientierung eine faszinierende Perspektive hat, was das große Ganze angeht. ”Ich weiß nie ganz genau, was dabei herauskommen wird, bis es aufgeführt wird, Jedes Stück Kunst ist individuell, hat seine eigene Sprache und muss auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen Mitteln wiedergeschaffen werden.” Für Vivaldis Vier Jahreszeiten hat Mcburney nach Mitteln /Möglichkeiten gesucht, um die verschiedenen Vogelarten, die in der musikalischen Partitur in Erinnerung gebracht wurden, visuell in Verbindung zu stellen. Verfügbare Drucke von Vögeln passten nicht zum Musikstil des 18..Jahrhunderts, bis er die Vogel Verzierungen fand, die Teil einer aus dem 18. Jahrhundert stammenden Originalsammlung venezianischer Drucke waren. Kopien mussten gemacht werden und am nächsten Tag von der italienischen Sammlung geschickt werden, gerade rechtzeitig zur Aufführung. ”Sachen wie diese funktionieren nur aufgrund der Freundschaften, die ich in den 35 Jahren meiner gesammelten Erfahrungen aufgebaut habe; ich habe in vielen verschiedenen Feldern als Schriftsteller, Komponist, Produzent gearbeitet….ich sehe mich als einen Zigeuner in der Welt der Musik und das ist es auch, wo alle Fäden für mich zusammenlaufen” meint Mcburney, als wir die ‘Symphony Hall’ verlassen und er auf dem Weg zu einem weiteren Termin ist. Das Lernerlebnis als eigene Kunstform mag selbst den Faktor ‘Community’ zurück in den Konzertsaal bringen. Etwas, das am meisten fehlt.

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